Vom sündigen Poeten

(The Bad Lord Byron, GB 1949, 83 Minuten, Drehbuch: Lawrence Kitchen, Paul Holt, Terence Young, Anthony Thorne, Peter Quenell. Regie: David MacDonald)

Fünf Film-Autoren bemühen sich um den Bau eines filmischen Denkmals für den großen Dichter George Gordon Noel Byron, besser bekannt unter der Bezeichnung Lord Byron (1788-1824). Viel intellektueller Aufwand. Das lässt einen gespannt sein auf das Ergebnis.

Der Film zeigt den Dichter am Ende seines Lebensweges. Er klagt über die Kälte und den Regen und die verschlammte Landschaft, überhaupt nicht zu der Vorstellung passend, die er sich von Griechenland gemacht hat. Zum Allgemeinwissen gehört, dass der berühmt-berüchtigte britische Autor sich in Griechenland den Aufständischen anschließen wollte, die für die Befreiung vom türkischen Joch kämpften. Bekannt aber auch, dass den gerade erst Siebenunddreißigjährigen die Malaria umgebracht hat, ehe er zum Helden werden konnte.

Den mutigen Dichter, kaum in Griechenland angekommen, wirft eine Krankheit beinahe vom Pferd, als er zu einem Treffen mit einem griechischen Anführer reiten will. Seine Begleiter bringen ihn zurück in die Herberge und ins Bett. An der Stelle, im April 1824 im griechischen Misolongion, setzt die filmische Fiktion ein. Der Kranke fiebert. Und aus den Fieberträumen entwickelt sich eine Gerichtsverhandlung. Der Angeklagte steht in bester Verfassung, vornehm gekleidet und ungerührt da, als der Staatsanwalt ihm seine Verfehlungen vorhält. Wofür als Zeugen der Anklage eine schöne Frau nach der anderen auftritt, auch seine Ehefrau. Sie erheben schwere Vorwürfe gegen Lord Byron. Es geht um Rücksichtslosigkeit, Egozentrik, Herzenskälte und Untreue. Doch auf die Frage, warum sie das alles ertragen hätten, kommt regelmäßig die Antwort: Aus Liebe.

Der Verteidiger schickt einen Mann in den Zeugenstand, einen alten Freund des Angeklagten. Der stellt auf emotionslose Weise klar, dass der Dichter schon immer eine Schwäche für die Schwachen hatte, für die Armen und Unterdrückten.

Das typisch angelsächsische Kreuzverhör der Frauen und des Mannes lässt ein völlig widersprüchliches Bild des Autors entstehen. Aber in was für schönen Bildern. An immer wieder anderen Orten, sogar in einem venezianischen Palazzo finden rauschende Ballabende statt. Immer wieder ein neues Fest fürs Auge. Und immer wieder steht der berühmte Dichter mit dem steifen rechten Bein, das ihn am Stock gehen ließ, im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses.

Der Richter, bis dahin nur ein im Dunkeln zu ahnendes Gesicht unter der britischen Amtsperücke, wird am Ende des Films endlich ins Licht gerückt. Er sieht das Kinopublikum an und als ob er sich an die Geschworenen wenden würde, fordert er die Zuschauer auf, nun das Urteil über den Dichter zu sprechen. Obwohl der Originaltitel wie auch seine Übersetzung das Urteil vorwegnimmt, ist das eine bewundernswerte filmische Idee. Denn die Titel werden bekanntlich meist erst hinterher gefunden, und das nicht von den Filmmachern, sondern von den Filmfinanzierern, die besser zu wissen glauben, was gut ist und was nicht. Diese Aufforderung aus dem Mund des Richters, sich sein Urteil über den Dichter zu machen, bringt einen zwangsläufig zum Denken und in Verlegenheit. Weil man die Unmöglichkeit eines gerechten Urteils über diesen Mann spürt. Die Frauen, die Lord Byron glücklich und unglücklich gemacht hat, hatten ihn als Ausnahme-Persönlichkeit charakterisiert, von dem man nicht erwarten könne, dass er sich verhalte wie ein Normalmann. Deshalb liebten sie ihn immer noch. Er selbst hatte sein Anderssein damit erklärt, dass er schon durch sein körperliches Gebrechen nicht wie ein Normalmann sein könne.

Damit wird aus dem Film über Lord Byron im Grunde genommen ein Film über die sonderbare Kraft der Frau zu lieben, wenn nicht sogar ein Film über die Egozentrik des Menschen. Was leider von den fünf Autoren nicht ausgeführt wurde. Sie waren mehr an attraktiven Drehorten, schönen Menschen und ihrer Ausstattung interessiert. Deshalb vermisst man in diesem Streifen auch alles Menscheln. Beispielsweise stehen die Frauen im Zeugenstand dem ungetreuen ehemaligen Liebhaber im Angeklagtenstand gegenüber, aber es wird da wie dort keinerlei Reaktion gezeigt. Genauso, wenn die eine Geliebte abtritt und ihre Nachfolgerin auftritt. Wie die jeweiligen ehemaligen Konkurrentinnen aneinander vorbeischreiten, ohne jede Reaktion, das ist absolut nicht realistisch.

Und nicht nur das, bei allem Vergnügen an diesem Film muss man feststellen: Dieses Fehlen des selbstverständlichen Menschlich-Allzumenschlichen ist auch ein handwerklicher Fehler. Vermutlich nur mit der alten Volksweisheit zu erklären: Viele Köche verderben den Brei. Wenn man nicht bereit ist, die Sache andersherum zu sehen. Was ebenso plausibel ist. Man kann dieses Abgehobene, dieses übermenschliche Verhalten der Figuren auch damit erklären, dass damit angedeutet werden soll: Dieser Prozess über den sterbenden Dichter findet in einer anderen Sphäre statt, jenseits der irdischen Gerichtsbarkeit. Deshalb bewegen sich die Akteure schon wie auf Wolken schwebend.

Jetzt wissen Sie Bescheid, liebe Leserin und lieber Leser. Also sprechen Sie Ihr Urteil über diesen Film!
(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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