Das Denkmal, das fehlte
(Ulrike Halbe-Bauer: Olympia Morata – In Heidelberg lockte die Freiheit, Taschenbuch, 276 Seiten, Wellhöfer-Verlag Mannheim 2012, Euro 13.90, ISBN 978-3-95428-110-7, überarbeitete und erweiterte Fassung des 2004 in Giessen erschienenen Titels „Olympia Morata – Das Mädchen aus Ferrara“)
Die Romanbiografie einer Frau, die 1526 als Tochter eines italienischen Gelehrten in Ferrara geboren wurde, ungewöhnlich früh mit den klassischen Sprachen Latein und Griechisch und der zugehörigen Literatur vertraut war und deshalb als eine Art Wunderkind bestaunt wurde. Am prachtliebenden Renaissancehof von Ferrara fand sie ihre erste Aufgabe. Als Gesellschafterin und Lehrerin der widerspenstigen Fürstentochter. Eine Herausforderung, der sie sich mit Hingabe und auch mit Erfolg widmete. Was sie aber nicht davor bewahrte, als deplazierte Bürgerliche ein Opfer der höfischen Intrigen zu werden. Dabei befasste sie sich in ihren Schriften und bei den Übersetzungen aus den alten Sprachen mit Themen, die hoch über dem Gerangel der Höflinge angesiedelt waren. Doch galten die klassischen Autoren, in deren Gedankenwelt sie lebte, ihren Zeitgenossen als Heiden. So geriet sie immer mehr unter Druck und bekam als bekennende Anhängerin der Reformation die zunehmende Intoleranz ihrer römisch-katholischen Umwelt zu spüren.
Nach ihrem Rauswurf in Ferrara blieb ihr keine andere Wahl, als dem zehn Jahre älteren deutschen Arzt Andreas Grundler als seine Ehefrau nach Deutschland zu folgen, und zwar in seine Heimatstadt Schweinfurt. Womit sie aus dem Regen in die Traufe geriet. Denn in Deutschland tobten sich die religiösen Gegensätze zwischen den sogenannten Humanisten und den Papstanhängern in kriegerischen Auseinandersetzungen unter den zahlreichen Fürsten und Bischöfen aus. Nur mit knapper Not entkam sie zusammen mit ihrem Mann und ihrem jüngeren Bruder Emilio den Kämpfen um Schweinfurt, wobei der gesamte Besitz der Familie, und das waren in erster Linie die hochgeschätzten Bücher, ein Raub der Flammen wurde. In abenteuerlicher Flucht über einen Zwischenaufenthalt bei dem Grafen von Erbach im Odenwald kamen sie nach Heidelberg. Und dort geschah, was die Flüchtlinge wie ein Wunder empfinden mussten. Der Pfalzgraf und Kurfürst bei Rhein, Friedrich II., auch der Weise genannt, der sich zu dem reformierten Glauben bekannte, berief nicht nur den Mediziner Andreas Grundler an die Heidelberger Universität, sondern auch seine Frau, und zwar für Griechisch und griechische Literatur. So wurde Olympia Morata die erste deutsche Hochschullehrerin.
Ein Buch, das ein Denkmal ist. Und solch ein Morata-Denkmal fehlte im deutschsprachigen Raum. Zwar hatte ein Freund der Familie schon wenige Jahre nach dem viel zu frühen Tod der Olympia Morata ihre gesammelten Schriften veröffentlicht, zusammen mit dem Briefwechsel, soweit trotz der Kriegswirren noch erhalten. Aber das Porträt dieser ungewöhnlichen Frau musste warten, bis die Gleichstellung der Frau zum allgemeinen Anliegen wurde. In unseren Tagen musste es kommen, nachdem der Begriff der starken Frau geprägt worden war, von den Verlegern nur zu gern aufgenommen.
Zum Glück hat sich jedoch keine Emanze dieser Thematik angenommen, wobei ein einseitiges Plädoyer entstanden wäre, womit man Olympia Morata ganz sicher nicht gerecht geworden wäre. Was Ulrike Halbe-Bauer hier vorlegt, ist etwas ganz anderes. Es ist die Arbeit einer Frau aus dem ernsten Fach. Sie hat bereits über die Herrschaft der Täufer in Münster geschrieben, hat lesenswerte Porträts von Paracelsus und Agnes Dürer veröffentlicht und arbeitet zusammen mit ihrem Mann als Übersetzerin aus dem Englischen.
Für den Leser ist mit diesem Morata-Porträt ein Buch entstanden, das anders ist als all die historischen Plaudereien, die irgendeine Hure oder Hebamme oder ähnlich beliebige weibliche Person zur Protagonistin erheben und viel zu wortreich schildern, von den großen Publikumsverlagen in Massen in die Buchhandlungen gekarrt. Das Morata-Denkmal verschont uns mit überflüssigem Lesepulver. Dafür bietet es sehr viel an Kenntnissen der Reformationszeit und des Milieus. Es versetzt uns mit angenehmer Sprache und viel Einfühlungsvermögen in eine Welt, die uns so fern und unbekannt ist, dass wir mit Goethe sagen könnten: „Las in den Briefen der Olimpia Fulvia Morata, und es ging mir über den eigentlichen, damaligen protestantischen Zustand ein ganz neues Licht auf.“
(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)