Als Mahl begann’s
(Tania Blixen: Babettes Fest, Roman, aus dem Englischen von W. E. Süskind, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2006, 76 Seiten, 8.90 €)
Kein Roman, wie der Verlag etwas großspurig untertitelt, sondern eine kleine Erzählung, entnommen einer Anekdotensammlung der Autorin. Aber ein höchst ernsthaftes Stück Menschenbetrachtung. Und sogar noch etwas mehr. Die dänische Schriftstellerin Tania Blixen (1885-1962), die in Wahrheit Baronin Karen Christence Blixen-Finecke hieß, hat mit dieser Story eine Art Anti-Erzählung geschaffen.
In einem abgelegenen dänischen Fischerdorf an der Küste Jütlands führen die beiden Schwestern Martine und Philippa ihrem alten Vater den Haushalt. Er ist Propst, der Seelenhirte und unbestrittene Herr des Ortes. Die Mutter, wohl verstorben, hat die Autorin einfach unter den Tisch fallen lassen. Der Propst hat die Bewohner zu einer frommen pietistischen Gemeinschaft zusammengeschmiedet. Als ein Mann um die Hand der einen Tochter anhält, bekommt er die ablehnende Antwort des Muster-Egoisten zu hören: „Meine beiden Töchter sind meine rechte und linke Hand. Wollt Ihr mir etwa eine Hand abtrennen?“ Der nächste Bewerber ist ein junger Leutnant, vom Vater argwöhnisch betrachtet und deshalb von der gehorsamen Tochter, der jüngeren, in heldinnenhafter Selbstüberwindung weggeschickt. Der dritte Bewerber, ein berühmter Sänger von der Pariser Oper auf Urlaub, erkennt das ungewöhnliche Gesangstalent der älteren Schwester, gibt ihr kostenlosen Unterricht und kommt ihr über dem hinreißend gesungenen Verführungsduett „Reich mir die Hand, mein Leben“ aus „Don Giovanni“ näher. Und wird von ihr weggeschickt, weil sie den Vater nicht verlassen kann.
Zeitsprung. Das Fischernest ist jetzt ohne den Propst. Die beiden Töchter, feine alte Fräuleins, um nicht zu sagen, vertrocknete Jungfern, bemühen sich redlich, den verstorbenen Seelenhirten zu ersetzen. Doch zeigt sich, daß die Frömmler nur durch die autoritäre Herrschaft des Propstes zusammengehalten worden waren. Nun ist die hinterwäldlerische Gemeinschaft durch kleingeistigen Zank und Streit zutiefst entzweit. Da erscheint eine Französin im Ort, die von den politischen Unruhen nach dem Scheitern der Pariser Kommune von 1871 aus dem Land fliehen mußte.
Damit beginnt auf Seite 25 die eigentliche Erzählung, alles andere war Vorgeschichte. Die Französin heißt Babette. Sie wird als Hausgehilfen ohne Bezahlung von den beiden barmherzigen Schwestern aufgenommen und geduldig in die Sprache und Alltagsarbeiten eingewiesen. Sie lernt überraschend schnell, das ärmliche Essen schmackhaft zu bereiten, und das sogar noch besonders sparsam. Erst spät verrät sie ihr Geheimnis: Eine Freundin in Frankreich spielt für sie in der Lotterie. Dann kommt, was kommen muß: Eines Tages erhält Babette einen großen Gewinn ausgezahlt. Da erbittet sie sich die Erlaubnis, anläßlich des anstehenden hundertsten Geburtstages des Propstes ein Festessen für das ganze Dorf zu veranstalten, und zwar ein französisches Essen, auf ihre Kosten.
Das Festessen ist der Clou des Ganzen. Die feinsten und teuersten Zutaten und Getränke läßt Babette aus Frankreich kommen. Und es kommt auch der ehemalige Liebhaber, der Leutnant, der aus lauter Frust Karriere gemacht hat und französischer General geworden ist. Die Autorin läßt in einer wunderbar plastischen Szene den alten General mit dem jungen Leutnant, der er einmal gewesen ist, ins Gespräch kommen. Diese Konfrontation ist aufregender als das Wiedersehen mit der ehemals umschwärmten Dame. Die Frömmler des Ortes lehnen nicht nur die unbekannten Speisen und Getränke ab, sie haben auch ein schlechtes Gewissen, sich an der Völlerei zu beteiligen. Deshalb haben sie sich vorher auf eine eigenartige Form des Nichtmitsündigens geeinigt. Sie haben sich geschworen, das Fest in Gehorsam und Geduld durchzustehen, aber kein Wort über das Essen zu verlieren. Doch nach der Tischrede des Generals, die ihm unwillkürlich zu einem Gebet und einer Art Predigt wird, zeigen sich die Menschen verändert. Als sie sich spät in der Nacht auf den Heimweg machen, hat es geschneit. So können sie ihre unsicheren Schritte und ihr Umfallen auf den Schnee schieben.
Der Höhepunkt der Handlung soll hier nicht verraten werden. Nur soviel sei gesagt: Die Hausgehilfin Babette entpuppt sich als Meisterköchin. Und die Kochkunst steht in dieser Erzählung ganz allgemein für Kunst, das heißt für Überlegenheit. Sie sei eine große Künstlerin und deshalb niemals arm, sagt Babette. Daß sie das in dieser abseitigen und bigotten Welt ohne jedes Kunstempfinden selbst von sich sagen muß, ist der herbe Zug um den lachenden Mund der Erzählerin Blixen.
Man hat überm Lesen ein kleines Drama erlebt: Immer wieder bahnte sich eine neue Entwicklung an, doch jedes Mal wurde, was so naheliegend war, nicht Wirklichkeit. Die Sache verrann ergebnislos im grauen Alltag. So muß man schließlich akzeptieren: Das ist die wahre Wirklichkeit des Lebens, daß so gut wie nie Großes gelingt. Aus hundert glückverheißenden Ansätzen werden neunundneunzig Enttäuschungen. Das ist die eine Erkenntnis des Lesers. Die andere ist: Pietistische Verbohrtheit und eine Bescheidenheit, die wie Askese wirkt, sind meist nur von beherrschenden Personen und von den Verhältnissen erzwungen und deshalb eine schlechte Maskerade, hinter der das kleine Menschsein besonders mies hervorschaut.
Für diese beiden Erkenntnisse kann man es hinnehmen, daß Tania Blixen keine schöne Geschichte mit Happy-end, sondern eine Anti-Erzählung geschrieben hat. Die wurde 1950 zunächst in einer Frauenzeitschrift veröffentlicht, dann 1958 in der Erzählsammlung „Anecdotes of Destiny“. Als Anti-Erzählung bezeichne ich sie, weil sie eine Story ist, die zwar überraschende, zufällige Verbindungen der Personen aufweist, aber ohne den sonst üblichen Trost des Positiven und die glückliche Wendung. Die lebenskluge Autorin hat das wahre Leben geschildert. Wer daraus lernt, vom Leben keine Wunder zu erwarten und den Frömmlern zu mißtrauen, hat mehr bekommen, als das schmale Bändchen gekostet hat.
(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)