Sein oder Nichtsein

(To Be or Not to Be, USA 1941/42, 95 Minuten, Regie: Ernst Lubitsch, Drehbuch: Edwin Justus Mayer nach dem Theaterstück “Noch ist Polen nicht verloren” von Melchior Lengyel und dessen gemeinsam mit Ernst Lubitsch erdachter Filmkonzeption)

Wie leicht aus Spiel Ernst wird, der Volksmund weiß es und warnt deshalb immer wieder davor, das Spiel zu ernst zu nehmen. Doch die Schauspieler des Warschauer Theaters, die im Sommer 1939 in deutschen Uniformen aus dem Fundus der Bühne eine Hitler-Parodie einüben, werden von ihrem Regisseur immer wieder zurechtgewiesen, weil sie das Stück zu lustig nehmen wollen. Fast so etwas wie Lubitschs Selbstbildnis. Die Parodie, mahnt er, soll ernsthaft und glaubhaft sein, damit sie wirken kann. Aber damit überschätzt und überfordert der Regisseur seine Schauspieler, die sich die großen Rollen der Theatergeschichte nur erträumen können, weil jeder sich für den größten Schauspieler hält und die anderen gern als Schmierenkomödianten beschimpft. Gesamteindruck: Ein Sauhaufen.

Doch plötzlich ist der Ernst da: Kriegsausbruch, Einmarsch der deutschen Truppen in Polen, Bombardierung Warschaus. Das antifaschistische Stück wird sofort vom Programm genommen und durch „Hamlet“ ersetzt. Aus England ist der polnische Professor Siletzky gekommen, der angeblich den Widerstand der Warschauer Bevölkerung gegen die deutschen Besatzer organisieren will, aber von einem jungen polnischen Leutnant als gefährlicher Nazispitzel entlarvt wird, weil er den Namen der renommiertesten Schauspielerin Warschaus, der Frau Tura, noch nie gehört hat.

Wieder ziehen die Schauspieler des Warschauer Theaters die deutschen Uniformen an, diesmal heimlich und um die deutschen Militärs total zu verwirren. Die Hinterräume des Theaters werden zu falschen Stabsstellen und zur Gestapozentrale. Der Spitzel-Professor wird von ihnen gestellt und erschossen – auf der leeren Bühne und vor leeren Stuhlreihen. Die Mimen spielen jetzt den Leiter der Konzentrationslager, der stolz ist auf seinen Titel Konzentrationslager-Ehrhardt, den Gestapochef und diverse weitere Nazibonzen. Damit spielen sie auf einmal um ihr Leben. Es geht auch um das Leben des jungen Leutnants, nach dem gesucht wird, und der Frau Tura, Ehefrau des Schauspielers, der den Hamlet spielt. Der Spitzel-Professor hatte versucht, sie zu seiner Geliebten zu machen. Jetzt irritiert den so von sich selbst überzeugten Ehemann, dass ein junger Mann in dem Moment aufsteht und den Saal verlässt, da er allein auf der Bühne ist und seinen großen Monolog mit den Worten beginnt: Sein oder Nichtsein, das ist die Frage.

Übertrieben theatralisches Auftreten, wüst imitierter Nazi-Jargon und gefährliche Nazi-Witze, viele Heil-Hitler-Rufe und dazu falsche Bärtchen und geschickte Ablenkungsmanöver, so wird der Widerstand gegen die Besatzer im Film zur schönsten Verwechslungskomödie. Mit dem Effekt, dass das Theater dem Leben überlegen ist, dass selbst Schmierenkomödianten besser dastehen als die Nazi-Machtmenschen mit ihrem Kadavergehorsam und dass dem Volksmund mit seiner Warnung, das Spiel nicht zu ernst zu nehmen, Lubitschs Weisheit entgegengehalten wird: Das ernst genommene Spiel besiegt die Wirklichkeit.

Ernst Lubitsch 1892 in Berlin geboren als Sohn eines jüdischen Damenschneiders, in Deutschland schon vor der Nazizeit ein bedeutender Regisseur, ging bereits 1922 nach Hollywood, wo er bald einer der wichtigsten Filmemacher wurde. Allerdings war er durch die permanenten Kämpfe um das nächste Projekt und die richtigen Darsteller sowie durch die wiederholten Auseinandersetzungen mit der Presse schon 1946 bei seinem ersten Herzinfarkt so schlecht dran, dass er ein Jahr später bei seinem zweiten Herzinfarkt starb.

Lubitsch war als ein autoritärer Regisseur bekannt. Seine Akteure beklagten sich oft, dass sie nichts Eigenes in ihre Rolle hineinlegen dürften. Es galt nur das Wort des Regisseurs, der seine eigene Art hatte, durch feine Andeutungen die vielen Schranken zu überwinden, die das prüde Amerika dem Film setzte. Lubitsch hatte sich nach einigen Versuchen auf anderen Feldern auf die Komödie spezialisiert, aber er verlangte das ernsthafte Spiel. Aus der Fülle seiner in Deutschland und dann in den USA gedrehten Filme (u.a. „The Student Prince“) ragen Klassiker wie „Die Austernprinzessin“ und „Ninotschka“ heraus, vor allem aber die Hamlet-Komödie „Sein oder Nichtsein“, die wie kein anderer Film das Gestaltungsprinzip Lubitschs zeigt: Das ernste Spiel. Lubitsch selbst hat es als eine tragische Farce oder eine farcenhafte Tragödie bezeichnet.

Mitten im Zweiten Weltkrieg in dieser Weise die Nazi-Greuel zu einer spaßigen Unterhaltung zu machen, war mehr als problematisch. Die Presse fragte: Darf man das? Und viel zu deutlich gaben die Kritiker die Antwort: Nein. Diesen Anwürfen musste Lubitsch mit umfangreichen Stellungnahmen entgegentreten. Aber er hat diese Verteidigung des Spaßes nicht in den Film aufgenommen, wie sein Kollege Charles Chaplin, der seinen Film „Der große Diktator“ mit einer angehängten sehr langen und ernsthaften Rede entzaubert hat.

Die Produktionsfirma United Artists verschleierte aus steuerlichen Gründen die Erfolge des Films und brachte so Lubitsch und die Schauspieler um ihnen zustehende Gewinne, die ihnen erst 1949 ein jahrlanger Prozess einbringen sollte. Da lebte Lubitsch schon nicht mehr. Zu späte Anerkennung erst recht für Carol Lombard, die Darstellerin der Frau Tura, der einzigen großen Frauenrolle in diesem Film. Sie war drei Wochen nach der Fertigstellung des Films und kurz vor der Uraufführung, die Mitte Februar 1942 in Los Angeles stattfand, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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