Salomon und Gaenor

(Salomon and Gaenor, GB 1999, 100 Minuten, Regie: Paul Morrison)

Die Geschichte von Romeo und Julia ist ja nie zu ihrem bitteren Ende gekommen. Weil die Differenzierungen innerhalb der menschlichen Gemeinschaft immer wieder andere sind, die Schranken, in die Menschen gefordert werden, wie die Schranken, über die man sie nicht hinwegkommen läßt, sind immer wieder anders angemalt und doch gleich. Von einer Härte, die mit Sehnsüchten und Tränen nicht zu erweichen ist, nicht mit jugendlicher Unbekümmertheit, nicht mit stürmischer Begeisterung, auch nicht mit hartnäckiger Anhänglichkeit – nicht einmal mit geduldig ertragenem Leid.

Die Tragödie, die sich in einem walisischen Bergarbeiterstädtchen entwickelt, ist nicht die Auseinandersetzung zwischen zwei alteingesessenen Familien, die verfeindet sind, wie in Verona. Hier geht es um mehr als Traditionen, um mehr als gesellschaftliche Rivalitäten. Hier sind es zwei Kulturen, die bei ihrem Zusammenstoß vorgeführt werden. Der sogenannte Kampf der Kulturen, diesmal nicht zwischen der zweiten und der dritten der drei großen Buchreligionen, sondern zwischen der ersten und der zweiten ablaufend. Die christlich-bigotte Bergarbeitergesellschaft, die in wirtschaftlich schwerer Zeit um ihre Arbeitsplätze und das tägliche Brot kämpft und dabei eine immer fanatischere Religiosität entwickelt, auf der einen Seite. Jüdische Immigrantenfamilien auf der anderen Seite, die es durch ihren entschiedenen Zusammenhalt schnell geschafft haben, die Oberschicht im Ort zu werden, die Schicht der Hauseigentümer und Geschäftsleute.

Der junge ambulante Händler Salomon aus einer der jüdisch-orthodoxen Familien verliebt sich in das Mädchen Gaenor aus einer der Bergarbeiterfamilien, das schon einmal verlobt war, dem die Eltern aber den Verlobten entrissen hatten, weil er nur Bergmann war. Der Junge weiß, daß er das Mädchen niemals heiraten könnte, läßt sich aber von ihrer allzu willfährigen Liebesbereitschaft hinreißen, das Mädchen, so unglaublich das ist, weiß nicht, daß er ein Jude ist.

Als Gaenors Schwangerschaft unübersehbar ist, wird sie von ihrer Kirche öffentlich der Unzucht angeklagt und bestraft, bleibt jedoch zunächst noch in ihrer Familie aufgehoben. Erst zur Niederkunft wird sie zu einer fernen Tante verfrachtet. Salomon wird von seinen Eltern zu seinem Onkel, einem Geschäftsmann, nach Cardiff geschickt. Beide Familien handeln damit nach dem Prinzip: Aus den Augen, aus dem Sinn. Und trösten sich: Zeit heilt Wunden.

Die Höhepunkte des Film sind die Auftritte der Liebenden bei der jeweils anderen Familie. Die hochschwangere Gaenor will von Salomons Eltern erfahren, wo ihr Sohn ist. Die Ladeninhaber versuchen zunächst, sie mit Geld abzufinden. Als Gaenor darauf nicht eingeht, wird sie kaltherzig und mit dummen Sprüchen abgefertigt. Das Kind, das sie erwartet, tun die orthodoxen Juden als nicht mit ihnen verwandt ab. Ganz anders war schon lange zuvor der Besuch Salomons in der Familie des Mädchens verlaufen. Die Eltern waren zunächst zwar befremdet, behandelten ihn dann aber als Gast mit aller Achtung. Doch als Salomon später die verschleppte Schwangere sucht und dabei auf Gaenors Bruder trifft, wird er von dem jungen Bergmann hemmungslos zusammengeschlagen. Eine grundlos exzessive Gewalttat, bei der man sich fragt: Was soll das? Zwar findet der Schwerverletzte seine Gaenor noch, doch stirbt er in ihren Armen. Das gleichzeitig geborene Kind – man kann ja nie genug in Dramatik machen – muß die junge Mutter zur Adoption freigeben.

Ende gut, alles schlecht. Nimmt man ein wenig Abstand von diesem nicht ganz glaubwürdig und übertrieben brutal gemachten Film, wird einem klar: Hier handelt es sich um keine neue Romeo-und-Julia-Version, hier handelt es sich um einen antijüdischen Film, wie man ihn im heutigen Deutschland nicht hätte drehen können. Nicht zufällig im Bayerischen Fernsehen nur im Nachtprogramm gesendet. Selbst in England war diese Darstellung nur möglich, indem man als Gegengewicht zu der aufregend falschen Feinheit der jüdisch-orthodoxen Familie den Bruder des Mädchens als gewalttätigen Schläger überzeichnete.

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