Ein Denkmal mehr – und das ist gut so
(Rita Hausen: Der Fall Struensee, historischer Roman, Roman-Verlag, New York 2014, broschiert 176 Seiten, 10.95 Euro, ISBN 9780615941998)
Johann Friedrich Struensee, der am 5. August 1737 in Halle geborene Sohn eines pietistischen Pastors, war was man heute einen Senkrechtstarter nennen würde: Schon mit vierzehn Jahren begann er ein Medizinstudium, und erst neunzehn war er, als er es mit der Promotion abschloss. Als Zwanzigjähriger war er bereits Stadtphysikus in der damals unter dänischer Herrschaft stehenden Stadt Altona an der Elbe.
Im Jahre 1768 wurde der junge Arzt, der durch seine neuartigen Heilmethoden und die Forderung einer generellen Gesundheitsreform aufgefallen war, der Reisearzt des dänischen Königs Christian VII. auf dessen großer Europatour. Ein Jahr später war er schon der Leibarzt und Vorleser des Königs mit dem Titel Wirklicher Etatrat. Im folgenden Jahr wurde er auch der Leibarzt der Königin, der britischen Prinzessin Caroline Mathilde, und der Erzieher des dänischen Kronprinzen Friedrich, dem er durch eine riskante Pockenschutzimpfung vermutlich das Leben gerettet hatte.
Struensee war überzeugt von den Ideen der Aufklärer. Aber er begnügte sich nicht mit dem Verfassen von entsprechenden Traktaten, sondern setzte sich in seiner medizinischen Tätigkeit rastlos und aufopfernd für die Armen und Unterdrückten ein, sowohl für das städtische Proletariat als auch für die in schrecklichen Verhältnissen lebenden leibeigenen Bauern. König Christian, der unter Anfällen von Wahnsinn litt, machte seinen Leibarzt zu seinem Freund und Schritt für Schritt zu seiner rechten Hand. Das gab Struensee die Möglichkeit, die Zensur aufzuheben und den Staatsrat aufzulösen. Immer weitere Machtbefugnisse übertrug der König ihm so dass er auch die Folter abschaffen und eine Schulreform durchführen konnte. Er ordnete die Staatsfinanzen neu, sorgte für Einsparungen und bekämpfte die Hungersnot nach einer Missernte mit dem Verbot der Getreideausfuhr und des Schnapsbrennens aus Getreide. Als er auch noch die viel zu kostspielige königliche Garde auflöste, hatte der unermüdliche Weltverbesserer den Bogen überspannt. Zu vielen einflussreichen Leuten hatte er mit seinen Reformen herbe Einbußen beschert. Dazu hatte er sein Liebesverhältnis zu der Königin nicht sorgsam genug verheimlicht. Die 1771 geborene Tochter der Königin wurde als sein Bankert betrachtet.
Jetzt hatte er mehr Feinde am Hofe als Freunde. Und diese Feinde erreichten es, dass er in den Kerker geworfen wurde. Es gab für ihn keine Rettung. Wegen Hochverrats angeklagt und zum Tode verurteilt, wurde er am 28. April 1772 enthauptet.
Endlich einmal ein Skandinavienroman, der nicht ein simpler Krimi ist, wenn auch der Titel den Eindruck erweckt. Es handelt sich um einen historischen Roman, und zwar einen der informativen Art. Also nicht bloß Zufallsgeschehen mit Phantasiegestalten vor historischem Hintergrund und mit viel Gemütsbewegung, wie bei Bestsellern meist üblich, sondern geschichtliche Persönlichkeiten bei überlieferter Aktion in historischem Ambiente. Das ist handfeste Information, auf erzählerische Weise serviert. Die Autorin nimmt sich gerne Berühmtheiten vor, deren Schicksale sie schildert, gleich ob das Schiller ist oder Mozart oder der junge Alte Fritz. Und mit Recht lässt sie sich bei dieser Arbeit nicht durch die Tatsache abschrecken, dass es schon Bücher und Filme über ihre Protagonisten gibt. Ist doch jede historische Darstellung als eine Handvoll bunter Steinchen zu betrachten, die zu dem Gesamtmosaik zusammengetragen werden, das die Vergangenheit ist. Im Falle Struensee kommt noch hinzu, dass dieses Buch nicht nur den gefährlichen Reiz der Macht spürbar macht. Es macht auch die beinahe unvermeidlich aufflammende Liebe zwischen der Königin und dem bürgerlichen Aufsteiger verständlich. Und es zeigt die Verzweiflung des Weltverbesserers angesichts der egoistischen Rabiatheit der Privilegierten und der Tumbheit des Volkes, für das er sich eingesetzt hat.
Johann Friedrich Struensee war ein unerschütterlicher Menschenfreund und ein Aufklärer. Sowohl an dem einen als auch an dem anderen herrscht heute immer noch großer Bedarf. Insofern ist es berechtigt, ein solches Buch zu schreiben, obwohl es schon Vorgänger gibt. Der gute Mensch Struensee verdient nicht nur ein Denkmal, er verdient hunderte. Und wenn sie dann mit geschickter Hand so spannend gemacht sind, wie dieses Buch von Rita Hausen, dann kann man dem verkannten Idealisten Struensee nur gratulieren.
(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)