Ist verrückt nicht bloß unüblich?
(Padgett Powell: Roman in Fragen, übersetzt von Harry Rowohlt, Berlin-Verlag, Berlin 2012, 192 Seiten, gebunden, EURO 17,90, ISBN 978-3-8270-1052-0)
Wenn ich als Titel dieser Rezension geschrieben hätte: Eine Masche ist eine Masche ist eine Masche, wäre Ihnen das lieber gewesen? Würden Sie mich für deppert halten, wenn ich Ihnen sagen würde: Ich habe dieses Buch trotzdem ganz gelesen? Würden Sie sich darauf versteifen, es könne solch ein Machwerk, das nur aus Fragen besteht, unmöglich ein Roman sein? Und wären Sie dann sehr zufrieden mit sich selbst, wenn Sie im Impressum den Originaltitel dieses amerikanischen Buches fänden, einen Titel, der selbst das Romansein in Frage stellt: „The Interrogative Mood. A Novel? Aber würden Sie wenigstens mit mir übereinstimmen in der Meinung, dass ein Buch, das der bekannte Übersetzer von besonderen literarischen Divertissementchen, nämlich Harry Rowohlt, aus dem amerikanischen Englisch übersetzt hat, kein völliger Unsinn sein kann? Muss man sich nicht auf einen bekannten Namen verlassen dürfen? Kann ich also auf Ihr Verständnis hoffen, wenn ich versuche, eine Rezension dieses sonderbaren Buches zu schreiben?
Sind Sie vielleicht sogar mit mir in der grundsätzlichen Erkenntnis einig, dass die literarischen Formen keine gusseisernen sind, vielmehr allerlei Verformungen zulassen? Dazu muss ich wohl nicht noch auf den begnadeten Erzähler Günter Grass hinweisen, der gerade erst ein Nebenprodukt seiner Arbeit, ein politisches Pamphlet, das er an die Presse gegeben hat, als Gedicht bezeichnet hat, oder? Erinnern Sie sich noch an Raymond Queneau (1903-1976), der mit „Autobus 5“ eine Erzählung abgeliefert hat, die in 99 Varianten immer wieder dasselbe Geschehen schilderte? Kennen Sie vielleicht noch mehr solcher Beispiele von mutigen bis übermütigen Formausweitungen? Und was halten Sie von Arno Schmidt (1914-1979), der mit „Zettel’s Traum“ einen umfangreichen Roman vorgelegt hat, in dem er versuchte, das Typische des Erzählens, nämlich das Nacheinander, durch ein Nebeneinander zu überwinden? Sind Sie mit mir einig, dass ihm das nicht gelungen ist und auch nicht gelingen konnte, weil das Erzählen nun einmal ein Fortschreiten Schrittchen für Schrittchen ist? Oder haben Sie in das Schmidtsche Monsterbuch überhaupt nicht reingeschaut, weil schon der falsche Genitiv im Titel abschreckend genug war? Aber dass der Amerikaner Powell ebenfalls mit einem wohl gefüllten Zettelkasten gearbeitet haben muss, also auch einer von diesen manischen Sammlertypen ist, darin wir wir uns wohl einig, oder etwa nicht?
Können Sie sich noch zurückversetzen in Ihre Kindheit, als Ihnen so gut wie alles fraglich war? Oder ist Ihnen die Erinnerung an Ihre spätere Lernphase lieber, in der es hieß: Die Frage ist der Schlüssel zum Wissen? Haben Sie sich das jetzt noch einmal klargemacht, so dass ich davon ausgehen darf, dass Ihnen die Frageform nicht generell fragwürdig ist? Darf ich also einsteigen in die Betrachtung dieses Buches von Padgett Powell, weil ich weiß, Sie haben den Sicherheitsgurt festgezurrt? Sehen Sie mich, wie ich unter der Fragendusche des Autors stehe und es geduldig ertrage, von sämtlichen Aspekten des American Way of Life vollgeklatscht zu werden? Sehen Sie, dass ich mich anschließend schütteln muss wie ein aus dem Bach geretteter Hund, um sie loszuwerden, all die Belanglosigkeiten des alltäglichen Lebens, auch all die Namen von Pseudohelden, all die Einzelheiten aus abgelegenen Wissensgebieten und erst recht auch die immer mal wieder aufkommenden letzten Fragen, von denen wir so gern verschont würden?
Dann kann ich Sie jetzt ohne Umschweife fragen: Spricht eigentlich irgendwas dagegen, wenn ich behaupte, man könne auch mit Fragesätzen Aussagen machen und sogar handfeste Informationen weitergeben, Gefühle auslösen ebenfalls und etwas erzählen, Spannung aufbauen oder sein Gegenüber in eine besondere Stimmung versetzen, jemanden zur klaren Stellungnahme herausfordern, zur ehrlichen Selbsterforschung und eventuell auch zu einem stillen Geständnis der Unkenntnis oder sogar der Schuld, zumindest aber zum Weiterdenken? Sie haben nichts gefunden, was grundsätzlich gegen die Fragerei spricht, weil all das als Kommunikationserfolg möglich ist? Ja, was können wir noch mehr von einem Roman verlangen? – Also denn: Viel Geduld und viel Spaß bei der Fragenlektüre!
(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)