(Ninotschka, USA 1939, 106 Minuten, Drehbuch: Charles Brackett, Billy Wilder, Walter Reich, nach einer Erzählung von Melchior Lengyel, Regie: Ernst Lubitsch)
Ein Klassiker, so das einhellige Urteil. Und das schon, weil drei Große der Filmgeschichte daran gearbeitet haben: Billy Wilder (1906-2002), der aus Österreich stammende Filmautor und Regisseur, der sich noch in der Stummfilmzeit seine ersten Sporen verdient hat, Ernst Lubitsch (1892-1947), der Berliner, der als Schauspieler bei Max Reinhardt gearbeitet hat und 1922 nach Hollywood ging, und als Hauptdarstellerin die in Stockholm geborene Greta Garbo (1905-1990), die als außergewöhnliche Schönheit galt, als die Göttliche gefeiert wurde und die großartigsten Frauengestalten verkörpern durfte.
Der Film wurde unmittelbar vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gedreht. Der vorletzte Film, in dem die Garbo vor der Kamera stand. Denn schon im Jahre 1941 (nach „Die Frau mit den zwei Gesichtern“) zog sie sich hinter ihrer Sonnenbrille und von einem Kopftuch geschützt in die Anonymität zurück. Was jedoch kein Kommentar zum Kriegsgeschehen war, vielmehr ihre Auffassung vom Haltbarkeitsdatum weiblicher Schönheit ausdrückte. Zumindest darin gilt die Garbo heute als überholt.
In Deutschland kam der Film „Ninotschka“ erst 1948, als der Krieg vorbei war, in die Kinos. War deshalb auch der Film überholt? Ist er es heute?
Der Plot ist einfach: Drei Funktionäre des Sowjetregimes kommen aus Moskau nach Paris, um dort zugunsten der Staatskasse den äußerst wertvollen Schmuck einer russischen Großfürstin zu verkaufen, die nach Paris ins Exil gegangen war. Davon erfährt Graf Leon, der französische Liebhaber der Großfürstin, der sich zum Retter ihres Geschmeides aufwirft. Die drei Funktionäre im Luxushotel verfallen prompt dem westlichen Wohlleben, und Moskau sieht sich gezwungen, ihnen einen Aufpasser hinterherzuschicken. Als solcher kommt die äußerst strenge und linientreue Kommissarin Ninotschka. Und es kommt, was der Zuschauer erwartet: Der Graf verliebt sich in die schöne Kommissarin, und die Schöne verfällt ihm und dem überwältigenden Zauber von Paris. Die brutal realistische Kommissarin muß schon bald zugeben: „Chemisch gesehen streben wir bereits nach einer Verbindung.“ Eine Liebesgeschichte in nie gehörten Dialogen entwickelt sich. „Habt ihr Russen denn keinen Sinn fürs Leben?“, fragt der Graf irgendwann, höchst irritiert. Und die erst recht verwirrte Kommissarin muß bei der Beobachtung der Schwalben vor ihrem Hotelfenster gestehen: „Wir haben die Ideale, Sie haben das Klima.“ Über der Suche nach dem richtigen Gruß – nicht den rechten Arm zum Hitlergruß hochgereckt, aber auch nicht die Faust der Kommunisten – werden sie endlich mit der Formel des Grafen einig: „Unser Gruß ist der Kuß.“
Doch dann stellt die Großfürstin, trickreich wieder in den Besitz ihres Schmucks gekommen, ihre Konkurrentin vor die Alternative: Verzicht auf den Grafen und sofortige Rückkehr nach Moskau, mit dem Schmuck, oder aber Verlust des Schmucks und damit Verrat an ihrem Volk. Wie die aus dem Gleis geworfene Kommissarin sich entscheidet, das sorgt zuverlässig für Kopfschütteln und Tränen beim Kinopublikum. Aber die nächsten zwei Drehungen an der Handlungsschraube bringen ein überraschendes Happy-End. Dem der Film allerdings im letzten Bild noch eins draufsetzt. Da zeigt er: Es gibt keinen Frieden unter Menschen.
„Ninotschka“ ist trotz der Gegenüberstellung von Ost und West in krassen Bildern kein politischer Film, eher die menschliche Komödie in einer neuen Version. Insofern ist der Film nicht überholt. Was an Kritik an den pseudosozialen Verhältnissen in der Sowjetunion gebracht wurde, das hatte nicht nur 1941 seine Berechtigung. Das galt sogar noch 50 Jahre nach der Uraufführung des Films, als sich die politischen Verhältnisse durch den Zusammenbruch des Sowjetreiches grundlegend änderten. Und es gilt bis heute, weil sich die Menschen nicht ändern.
(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)