Münchhausen

(Münchhausen, D 1943, 112 Minuten, Regie: Josef von Baky, Drehbuch: Berthold Bürger, d. i. Erich Kästner)

Heute nennt die Presse das einfach Fantasykomödie, was mitten im Zweiten Weltkrieg, unter der ständigen Bedrohung durch die britischen und amerikanischen Bombergeschwader und während des Untergangs der Armee von General Paulus in Stalingrad entstand. Als grandioser Ausstattungsfilm und Triumph zum 25-jährigen Jubiläum der Ufa produziert und am 5. März 1943 in Berlin uraufgeführt. Allein zur Herstellung der historischen Bauten und Kostüme waren fünf Monate staatlich geförderter Arbeit notwendig. Zehn Monate Fleiß und Raffinesse steckte man in die Trickaufnahmen. In den Agfacolor-Werken legte man Sonderschichten ein, um das benötigte Filmmaterial liefern zu können. Angeblich wurden sämtliche großen Kerzen und alles in Berlin vorhandene Tafelsilber und Meißener Porzellan aus Schlössern und Privathäusern ausgeliehen und bei der großen Gala-Szene von SS-Leute bewacht, die Lakaien spielten. Schon damals beherrschte man die Kunst, den ungewöhnlichen Aufwand zu einem Dauerfeuerwerk in der Presse aufzumotzen und damit zwei Jahre lang den Massenerfolg des Films im voraus festzuklopfen. Zuletzt ging es noch darum, das viel zu lang geratene Opus auf knapp zwei Stunden zu kürzen. Und es mußten spezielle Versionen für den Export hergestellt werden. Dabei gerieten wunderschöne Erotikszenen in den Film, nämlich ins Wasser hopsende Nackedeis im Harem des Großsultans, leckere Freizügigkeiten, die in deutschen Kinos noch Jahrzehnte später unmöglich waren.

Unmöglich war eigentlich auch, daß Erich Kästner (1899 – 1974) das Drehbuch schrieb, denn als Autor des vor den Nazis warnenden Romans „Fabian“ (1931) gehörte er zu den Schriftstellern, deren Bücher 1933 feierlich verbrannt worden waren. Er war übrigens bei der Bücherverbrennung in Berlin selbst unter den Zuschauern. Kästner hatte im Dritten Reich Schreibverbot. Doch für diesen Film der Extraklasse erhielt er zu seiner Überraschung den Drehbuchauftrag mit einer Extraerlaubnis vom allmächtigen Propagandaminister Joseph Goebbels, allerdings unter der Auflage, unter Pseudonym zu schreiben. Für einen wirklich großen Film benötigte man halt einen wirklich großen Autor. Es sollte sich nicht um einen Propaganda- oder Durchhaltefilm handeln, wenn auch der deutsche Supermann Hans Albers den alleingelassenen Soldatenfrauen als Ersatzmann geboten wurde, von dem sie träumen konnten.

Kästner konnte das Angebot guten Gewissens annehmen. Und es hat ihm offensichtlich Spaß gemacht, den Film mit amüsanten und unterhaltsamen Szenen vollzupacken. Deren Höhepunkt ist sicherlich das Gespräch mit der Mondfrau, die nur ein Kopf ist und ihren Körper daheim eingeschlossen hat, was Münchhausen sehr richtig findet, weil so ein schöner Körper in seiner Kopflosigkeit allerlei anstellen könnte. Aber nicht nur mit Kabarettistischem brilliert Kästner. Durch ihn erhielt der Film natürlich eine besondere Qualität. Denn was ist reizvoller und selbstverständlicher für einen Autor, als gegen die strengste Zensur anzuschreiben und den Auftraggebern klammheimlich ein paar Läuse in den Pelz zu setzen. Das läßt den Film noch heute – und erst recht heute – zu einem Heureka-Erlebnis werden.

Der Inhalt hält sich weitgehend an die Flunkereien des Lügenbarons Karl Friedrich Hieronymus von Münchhausen, einer historischen Figur aus dem Braunschweigischen (1720 – 1797), erzählt also von den Abenteuern Münchhausens am russischen Hof, im Türkenkrieg, in Venedig und schließlich von seiner Fahrt mit einer Montgolfiere zum Mond. Dabei ist Münchhausen alles andere als ein Faust, ihn treibt kein Wissensdrang zu seinen Abenteuern, er ist der reine Hedonist, der als Erklärung für sein abenteuerliches Leben nur sagen kann: Ich liebe das Leben. Die bekanntesten Gags, der Ritt auf der Kanonenkugel und die eingefrorenen Töne im Posthorn, sind selbstverständlich zu bewundern. Doch genauso bekannte andere fehlen, und man kann sich leicht vorstellen, daß manches nicht in die Zeit paßte, beispielsweise das im Schnee untergegangene Dorf, in dem der Reiter sein Pferd an der Kirchturmspitze festgebunden hat, dem einzigen, was noch aus dem Schnee herausragte. Das war wegen Stalingrad nicht möglich.

Dafür sind andere Geschichten in die Handlung geraten, über die nachzudenken lohnt. So das Volksfest in St. Petersburg, das sich als veritables Schlaraffenland erweist. Und die Hundert-Meilen-Flinte mit ihrem Zielfernrohr, ein deutlicher Hinweis auf die immer wieder vom Führer versprochenen Wunderwaffen. Oder als neuer Held der Wunderläufer in preußischen Diensten, eine Trostfigur nach der maßlosen Enttäuschung Hitlers über die Goldmedaille bei den Olympischen  Spielen 1936 für den farbigen Amerikaner Jesse Owens. Der Schrecken der Inquisition und die Geheimdienste treten dem Lüstling Casanova an die Seite, der alt und kalt geworden ist, weil seine Zeit vorbei ist. Der unheimliche Alchimist und Abenteurer Alessandro Graf von Cagliastro schenkt Münchhausen für eine freundliche Warnung die ewige Jugend und einen Ring, der ihn für eine Stunde unsichtbar machen kann. Assoziationen an die Tarnkappe im Nibelungenlied und an die Ringfabel Lessings werden dadurch unterstützt, daß der unangenehme Intrigant Cagliostro von dem Schauspieler gespielt wird, den jeder Kinobesucher von dem Film „Jud Süß“ her kannte und verabscheute.

Wer auf die Dialoge achtet, hört Kommentare des verfemten Dichters zur Zeit, zur damaligen Zeit, die sensationell sind. Das fängt zwar an mit so albernen Äußerungen Münchhausens wie: „Tanzen und nicht verzweifeln!“ oder „Man soll den Kopf nie verlieren, bevor er ab ist.“ Was den Auftraggebern gefallen haben muß. Doch dann wird er nachdenklicher: „Billardkugeln können, was mißlang, so lange wiederholen, bis es glückt.“ Und er reflektiert darüber, daß „das alles nur auf einem kleinen Stern geschieht.“ Den Dogen von Venedig läßt er einem Mann, der behauptet, nur der Wissenschaft zu dienen, antworten: „Lassen Sie sich diesen Aberglauben nicht rauben.“ Und den venezianischen Geheimdienstler läßt er sogar gestehen: „Die Staatsinquisition hat zehntausend Augen und Arme, und sie hat die Macht, Recht und Unrecht zu tun.“ Seinem treuen Diener antwortet Münchhausen auf die Frage: „Was können wir denn tun, Herr Baron?“ mit: „Nichts, gar nichts.“ Das paßt zu sibyllinischen Aussprüchen wie: „Als alles verloren schien, war alles längst gewonnen“ und „Das Glück wird uns vom Schicksal nicht geschenkt, es wird uns nur geborgt“ oder: „Der Mensch ist wie ein Rauch, der emporsteigt und verweht.“ Als es um die Zeitverschiebung zwischen Erde und Mond geht, ist nicht etwa die Uhr kaputt: „Nein, die Zeit ist kaputt.“

Schließlich ist Münchhausen sogar die privilegierte Stellung als Nichtalternder leid, weil er sich dadurch ewig herumtreiben muß – Ahasver läßt grüßen -, und er sagt: „Ewige Jugend macht zum Halbgott und zum halben Menschen.“ Der Halbgott ist sicherlich ein Gruß an den Führer. Und dann wird der ganzen schönen Welt der Ufa-Jubiläumsflitter heruntergerissen durch das fürs Märchen reservierte Schlußwort zu dem Prototypen des großen Lügners: „Und wenn er nicht gestorben ist, lebt er noch heute.“

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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