Michel Houellebecq: Unterwerfung

Für die Leser mehr Pflicht als Kür

(Michel Houellebecq: Unterwerfung, Roman, aus der französischen Fassung unter dem Titel Soumission übersetzt von Norma Cassau und Bernd Wilczek, DuMont Buchverlag, Köln 2015, 272 Seiten, TB 10.99 Euro)

Der 1958 geborene französische Autor hatte eine pfiffige Idee: Einen Zukunftsroman mit kurzer Verfallzeit schreiben, also einen, der in den allernächsten Jahren spielt, und das durchaus nicht verspielt. Der 2015 in Frankreich erschienene Roman ist eine Zukunftsvision der französischen Innenpolitik. Es geht um die Wahl des nächsten französischen Ministerpräsidenten, um die Durchsetzungskraft der verschiedenen Parteien, um tumultartigen Wahlkampf und um die grundlegende Veränderung der Gesellschaft infolge der Islamisierung Frankreichs. Das heißt, während man in Deutschland noch über Kopftuch und Burka streitet, hat der französische Romanautor das Problem grundsätzlich behandelt.

Das Ganze ist in der Ich-Form als aktuelles Geschehen geschildert, und zwar von dem Literaturwissenschaftler François, der an der Pariser Universität Sorbonne lehrt, an der er mit einer Arbeit über den belgischen Schriftsteller Joris-Karl Huysmans (1848-1907) promoviert wurde. Mit diesem Autor hat er sich ein Thema ausgesucht, das weder aktuell noch besonders wichtig ist, doch gefällt ihm an diesem Dichter der Dekadenz die Drastik in der Darstellung des Sexuellen. Er gefällt sich als Huysmans-Interpret, wird als solcher akzeptiert und hat daraus einen Beruf gemacht. Das sexuelle Bedürfnis befriedigt er mit Nutten, nachdem seine jüdische Freundin nach Israel ausgereist ist, weil das Pflaster in Frankreich zu heiß wurde.

Wie der Dozent arbeitet und was er von sich gibt, wird nicht dargestellt. Was verständlich wird, wenn man aus der dem Buch angehängten Nachbemerkung des Autors erfährt, dass er keine Universität besucht hat. Mutig, aber nicht vorwerfbar, muss ein Schriftsteller doch in der Lage sein, auch ihm unbekannte Lebensumstände zu schildern. Man muss als Autor ja nicht für jeden sterbenden Protagonisten selbst ins Gras beißen.

Doch sollte das Sich-Hineinfühlen in eine fremde Situation überzeugend gebracht werden. Daran hapert es bei diesem Buch, das in einer so nüchtern spröden Sprache daherkommt, dass man nicht wenigstens hin und wieder ein Plätzchen findet, auf dem man sich wohlfühlt. Der Autor verzichtet auf jede szenische Ausschmückung, womit er einem wie ein später Nachahmer des Nouveau Roman vorkommt. Das versucht er wettzumachen mit der Huysmans abgeguckten drastischen Ausdrucksweise bei Kopulationsschilderungen. Nicht einmal bei den vielen Erwähnungen von Essen und alkoholischen Getränken läuft einem das Wasser im Mund zusammen. Alles nur kalter Kaffee.

Und doch hat Houellebecq mit diesem Buch ein wichtiges Werk geschaffen. Denn es zeigt, wie dem christlichen Abendland auf legale Weise „Gute Nacht!“ gesagt werden kann. Nämlich durch Unterwerfung. Der Doppelcharakter dieses Wortes wird einem bewusst gemacht. Man wird nicht unterworfen, wenn man sich selbst unterwirft. Und das tun wir täglich, im Privatleben und in der Politik. Beim Akzeptieren von Verhüllung, von immer mehr arabisch finanzierten Moscheebauten, von speziellen Essvorschriften in Kantinen und Kindergärten, von neutralen Bezeichnungen für christliche Feiertage, bei der Erstellung von Studienplänen und der Einrichtung von Planstellen, bei der Duldung von Kinderehe, Ehrenmord und Polygamie und fremdsprachiger Hasspredigten und dergleichen menschenfreundlichem Entgegenkommen.

Nachdem in Houellebecqs Vision die Sorbonne unter der neuen, muslimischen Regierung Frankreichs in die Hände saudischer Financiers geraten ist, wird der als unpassend empfundene Dozent François wie etliche andere sofort entlassen. Er flüchtet aufs Land. Doch bekommt er schon bald, weil jetzt für viele Fächer Professoren fehlen, ein neues Angebot, das überwältigend verlockend ist. Nicht nur eine feste Stelle mit einem viel großzügigeren Gehalt, sondern auch eine arrangierte Hochzeit mit einer absolut unterwürfigen Minderjährigen oder mit zwei oder drei, eine Luxuswohnung in der Nähe der Universität sowie eine aufwendig inszenierte Konversionsfeier. Und dafür brauchte er nur ein einziges Sätzchen zu sagen, das islamische Glaubensbekenntnis: „Ashhadu alla ilaha illalah wa ashhadu anna Muhammadar rasulullah.“

Lesenswert, bedenkenswert!
(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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