Markus Orths: Catalina

Eine Leutnantnonne zum Sich-Verlieben

(Markus Orths: Catalina, Roman, Goldmann-Taschenbuch, München 2006, 314 Seiten, € 7.95)

Ein Autor, dessen Name man sich merken sollte. Denn wie er dieses Buch geschrieben hat, mit einer geradezu explodierenden Sprache, dabei phantasievoll und immer wieder wunderbar ironisch, das ersetzt einem die Lektüre von mindestens drei anderen zeitgenössischen Machwerken. Kein Wunder, daß dieser Autor, der noch kein halbes Dutzend Bücher auf den Markt gebracht hat, schon etliche Literaturpreise kassieren konnte. Zuletzt, im Oktober 2006, bekam er vom „Autorenkreis historischer Roman Quo Vadis“ den Sir-Walter-Scott-Preis zugesprochen, und zwar für das Buch „Catalina“. Mit recht, handelt es sich bei dem, was der Verlag schlicht als Roman bezeichnet, doch um ein Musterbeispiel des gelungenen historischen Romans. Daran ändert nichts, daß es sich um eine auf Tatsachen beruhende Darstellung handelt und eine historisch belegte Figur im Mittelpunkt steht. Im Gegenteil. Diese Machart hievt den Roman in die Oberklasse der Gattung historischer Roman, die ja darunter leidet – imagemäßig – und davon profitiert – pekuniär – , daß sie von vielen Zeitgenossen immer noch als bloßes Lesefutter aufgefaßt wird, nur dazu geeignet, einen auf leichte Weise zu  unterhalten und den Alltag vergessen zu lassen. Eine Fehleinschätzung, die viele Leser, Autoren und Verleger zu einer mächtigen Ignorantenvereinigung zusammenschweißt.

Die Geschichte beginnt in San Sebastian im April 1585, als Catalina als sechstes und letztes Kind einer wohlhabenden baskischen Familie geboren wird, und endet mit dem nur noch vermuteten Datum August 1649, als Catalina an unbekanntem Ort starb. Dazwischen liegt ein Doppelleben, so abenteuerlich, wie es toller kaum sein konnte. Das Mädchen hatte den Verlust seines großen Bruders, der nach Amerika gezogen war, nicht verschmerzen können und war deshalb ins Kloster gegangen. Als Sechszehnjährige fühlte sie sich endlich stark genug, ihm zu folgen. Sie riß aus und zog Männerkleidung an und machte sich auf den Weg nach West-Indien, um ihren Bruder zu suchen. Als Francisco Loyola wurde sie Assistent eines Arztes und schließlich ein Leutnant, dessen schnelle Klinge so gefürchtet war wie sein gerissenes Kartenspiel. Um zu überleben, mußte sie manchen Mann töten, schließlich auch den Mann, den sie nicht töten wollte. Zuletzt rettete sie nur noch die Enthüllung ihrer stets gut verborgenen Weiblichkeit vor dem Strang, als sie bereits auf dem Schafott stand und erstmals nicht mehr weiterwußte.

Die Leutnantnonne Catalina de Erauso, genannt Francisco Loyola, wurde auf diese Weise eine Berühmtheit, die die Zeiten überlebt und schon mehrfach Eingang in die Literatur gefunden hat. Eine Frau in Männerkleidung, die als große Kämpferin auftritt, ist ja immer eine Attraktion. Ob es sich um die berühmte Jeanne d’Arc handelt oder um die junge einheimische Rhodesierin Anastasia, die bei der Eroberung von Rhodos durch das riesige Heer des türkischen Sultans Suleyman der Prächtige im Jahre 1522  in voller Rüstung ihr Leben ließ. Doch muß man trotz der Parallelen sagen: Dieser Roman der Leutnantnonne wurde durch das Doppelleben einer unerschrockenen Frau und die Sprachgewalt eines Autors zu einer erregenden Doppelpackung aus historischem Roman und Abenteuerroman. Er schildert die sonderbarsten Beziehungen zwischen Menschen in so vielen Facetten, zeigt derart unübliches Leben in ungewöhnlichen Situationen, daß sich vor den Augen der Leser in immer neuen Überraschungen immer neue Abgründe des Menschlichen auftun. Dabei schreckt der Autor nicht davor zurück, auch seitenlange Erklärungen zu historischen Konstellationen oder zum Ausbruch einer Krankheit zu bieten. Dies allerdings nicht als Unterbrechungen des Handlungsablaufs, sondern als ein kräftiges Schütteln des Kaleidoskops, womit ein neues buntes Bild aufgebaut wird. Am Ende schüttelt man das zugeschlagene Buch in der Hand und bedauert, daß es aus ist.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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