Kolberg

(Kolberg, D 1943/44, Farbfilm, 104 Minuten, Regie: Veit Harlan, Drehbuch: Alfred Braun und Veit Harlan, ohne Hinweis auf die Vorlagen, nämlich das gleichnamige Schauspiel von Paul Heyse und die Autobiografie Joachim Nettelbecks)

Adolf Hitler und Joseph Goebbels waren Filmenthusiasten. Kein Wunder deshalb, dass im Dritten Reich auch der Film als Wunderwaffe herhalten musste. „Kolberg“ sollte der Durchhaltefilm sein, der den Alliierten den Sieg unmöglich macht. Am 1. Juni 1943, als es mit Deutschland schon an allen Fronten schlecht aussah, gab Goebbels in einem Brief seinem Lieblingsregisseur Veit Harlan den Auftrag, am Beispiel der Stadt Kolberg einen Film zu produzieren, der zeigt, dass ein „geeintes Volk jeden Gegner überwindet.“  Dahinter stand die Überzeugung: Das deutsche Volk ist so dumm, dass man es mit so einer Geschichte zum Durchhalten veranlassen kann. Der Film ist heute noch nicht frei aufführbar, weil man der Überzeugung ist: Das deutsche Volk ist immer noch so dumm, dass es auf so einen Film hereinfallen kann. Deshalb war der Film, der im Ausland laufen durfte, hier zwanzig Jahre unter Verschluss. Er wurde dann in einer kommentierten Fassung 1965 in die Kinos gebracht, nach Protesten aber bald abgesetzt. Er war danach einmal bei Arte zu sehen, und zwar am 22. März 1998, aber mit einer angehängten Kommentierung. Er ist nach wie vor nicht frei aufführbar oder zu kaufen. Das Verhältnis der Filmgewaltigen zu den Filmzuschauern ist also in Deutschland nach wie vor problematisch. Vielleicht sollte man, nachdem Goebbels und Hitler sich durch Selbstmord aus dem Spiel gebracht haben, die Herren von heute über die Medien wenigstens durch frühzeitige Verrentung ausschalten.

Der Film zeigt die schwierige Situation des Jahres 1806, als Preußen von Napoleon besiegt und der preußische König nach Königsberg geflohen war. In der Hafenstadt Kolberg an der Pommerschen Bucht engagiert sich der Bürgermeister Nettelbeck, dargestellt von der Sympathiefigur Heinrich George, für eisernen Widerstand gegen die vorrückenden französischen Truppen, der Stadtkommandant dagegen tut nichts, weil er an Übergabe denkt. Die gesamte Bevölkerung der Stadt ist begeistert zum Kampf bereit. Schließlich wird der alte Kommandant von dem jüngeren Gneisenau abgelöst, und die Schlacht um Kolberg beginnt. Die feindliche Artillerie zerschießt die Häuser, die gewaltige Übermacht der Franzosen ist nicht aufzuhalten, doch auf einmal stellen die Franzosen das Feuer ein, weil ein Streit im Generalstab ausgebrochen ist. Die Kolberger feiern das als ihren Sieg. Gneisenau spricht das Schlusswort des Films: „Aus Asche und Trümmern ersteht wie ein Phönix ein neues Volk, ein neues Reich.“

Die Lovestory durfte natürlich auch in diesem Film nicht fehlen. Das süße Bauernmädchen und der schneidige Offizier Schill, der die Kleine nicht unglücklich machen will, weil er doch mit dem Krieg verheiratet ist. Die Streicheleinheit fürs Herz.

Die Kontrastfiguren zu den Helden sind der alte Stadtkommandant, der als lächerlich dargestellt ist, und der Bruder des Mädchens. Der ist Musiker und fühlt sich bei seinem Geigenspiel durch den Schlachtenlärm gestört. Er sagt, er habe mit dem Krieg nichts zu tun, und kommt prompt durch eine feindliche Granate um. Wäre ja auch kontraproduktiv gewesen, wenn man ihn mehr hätte sagen lassen. Dass man diese Figur überhaupt brachte, ist erstaunlich. Denn was hat der Vernünftige in einer Situation zu suchen, in der die absolute Verrücktheit regiert. Und ihn dann noch als ernsthaften jungen Mann mit der Ambition zu klassischer Musik darzustellen, das war ein Fehler. Fast könnte man annehmen, dahinter verstecke sich ein Fall von sublimem Widerstand gegen das Diktat des allgewaltigen Ministers Goebbels. Wussten die Macher doch, dass weder Hitler noch Goebbels etwas gegen einen so ordentlichen Kunstenthusiasten einwenden könnten, ohne ihr eigenes Image anzukratzen.

In dieselbe Richtung könnte man ausdeuten, was der Bürgermeister, der überzeugte Widerstandskämpfer, nach der Feuereinstellung zu dem Bauernmädchen sagt: „Ja, du hast alles hergegeben, Maria, was du hattest. Aber es war nicht umsonst … Das Größte wird immer nur in Schmerzen geboren. Und wenn einer die Schmerzen für uns alle auf sich nimmt, dann ist er groß. Du bist groß, Maria, hast deine Pflicht getan, dich nicht gefürchtet vorm Sterben. Du hast auch mitgesiegt, Maria, du auch!“ Hat er mit der Wendung: Wenn einer die Schmerzen für uns alle auf sich nimmt, nicht deutlich auf die Gottesmutter Maria, die Schmerzensreiche, angespielt? Oder sogar auf Jesus, der für uns alle gestorben ist? Kann das vielleicht als ein Stück kirchlichen Widerstands gesehen werden?

Schließlich die viel zu pathetische Äußerung des Bürgermeisters: „Die Häuser können sie verbrennen, unsere Ehre nicht.“ Was sehr ähnlich klingt, wie der berühmte Ausspruch des Fraktionsvorsitzenden der SPD im Reichstag, Otto Wels, der 1933 die Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes mit den Worten rechtfertigte: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ Kann dieses Quasi-Zitat nur ein Zufall oder eine Unbedachtheit sein? Oder ist das die kleine Rache der von den Nazis entmachteten und verfolgten Sozialdemokraten?

Da es heute nicht mehr darum geht, Persilscheine für die Mitwirkenden dieses Machwerks auszustellen, erledigt, alles längst erledigt, darf eine Parallele im modernen Kulturbetrieb herangezogen werden, die sich aufdrängt. Und das ist die Arbeit der Ghostwriter für irgendwelche Prominente. Inzwischen ist es weitgehend üblich, dass der Ghostwriter sich für die schlechte Bezahlung und die rigorose Bevormundung revanchiert, indem er kleine Widerhaken in die Geschichte einbaut, die dem Auftraggeber nicht auffallen, die aber geeignet sind, ihn in den Augen kritischer Leser lächerlich erscheinen zu lassen. Das ist die Macht der Ohnmächtigen. Durchaus möglich, dass schon der Film „Kolberg“ uns diesen kleinen Widerstand gegen die Auftraggeber zeigt.

Der Film kam zu spät, um noch die gewünschte Wirkung zu entfalten. Am  30. Januar 1945, Deutschland war praktisch schon besiegt, war die Uraufführung in der Stadt La Rochelle, wo die deutschen Truppen seit Monaten eingeschlossen waren. Per Fallschirm wurde ihnen die erste Kopie des Durchhaltefilms als Wunderwaffe spendiert. Am nächsten Tag war die deutsche Erstaufführung im weitgehend zerbombten Berlin. Auch in den eingeschlossenen Städten Königsberg, Breslau und Danzig wurde der Film noch gezeigt. Wenn Nettelbeck sagte, „lieber unter den Trümmern begraben als Kapitulation“, erlebten die relativ wenigen tausend Menschen, die den Film sahen, gleichzeitig Kriegsgreuel von ganz anderem Kaliber. Goebbels und Hitler hatten beim Schnitt  persönlich interveniert, um die grausamsten Szenen zu eliminieren, weil man das dem Publikum nicht zumuten könne und weil es zur Resignation führe, statt den Widerstand zu stärken. So war der Streifen „Kolberg“ gegenüber der aktuellen Wirklichkeit schon fast Bauerntheater.

Ohnehin war die im Vorspann gebrachte Behauptung, der Film beruhe auf historischen Tatsachen, eine Lüge. Denn der Kampf um Kolberg hatte den Kolbergern nicht den Sieg gebracht, sondern die Eroberung durch die Franzosen. Dass es schließlich zum Waffenstillstand gekommen war, verdankten die Kolberger auch dem Eingreifen der Engländer, was im Film natürlich unterschlagen wird.

Aber selbst die dreiste Geschichtsklitterung nützte nichts. Der Film wurde einfach viel zu spät fertig. Was nicht nur an den hohen Qualitätsanforderungen lag, sondern mit Sicherheit auch daran, dass alle Mitwirkenden, darunter viele tausend Soldaten, für die Zeit der Dreharbeiten vom Wehrdienst freigestellt waren. So dauerten die Dreharbeiten ganze zwei Jahre. An manchen Tagen soll mit „Kaiserfilm“ gedreht worden sein, das heißt mit leerer Kamera. Oft sogar unvermeidlich, weil der Nachschub an frischem Farbfilmmaterial nicht so schnell funktionierte. Für diesen Film, der die Wunderwaffe der psychologischen Kriegsführung werden sollte, hatte Goebbels jeden Aufwand erlaubt und unbegrenzte Mittel zur Verfügung gestellt. Und das während der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs, als Deutschland Tag und Nacht bombardiert wurde und man für die Dreharbeiten von Berlin-Babelsberg und Kolberg zuletzt nach Neumünster ausweichen musste. Schließlich verbot Goebbels auch noch, in den Nachrichten zu erwähnen, dass die Stadt Kolberg von den Russen eingenommen wurde. Zehntausend Uniformen wurden geschneidert, sechstausend Pferde bereitgestellt, ein ganzer Güterzug voll Salz wurde herangeschafft, um den Schnee auf den Dächern und den Feldern zu imitieren, viertausend Matrosen mussten an dem Sturmangriff im überschwemmten Gebiet teilnehmen. Insgesamt wurden 90 Stunden Film belichtet, die dann zu dem eindreiviertelstündigen Film zusammengeschnitten wurden. Normalerweise gilt im Filmgeschäft ein Verhältnis von höchstens zehn zu eins. So wurde diese Produktion mit Gesamtkosten von gut 8,5 Millionen Mark zum teuersten Streifen der deutschen Filmgeschichte.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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