(Jud Süss – Film ohne Gewissen, D/Österr. 2010, 115 Minuten: Drehbuch. Klaus Richter, Oskar Roehler und Franz Novotny: Regie: Oskar Roehler)
Einen Film zu drehen über einen Film, den es zwar gibt, den die Leute aber nicht sehen dürfen. Ist sowas sinnvoll? Die öffentliche Aufführung des Films “Jud Süss” ist in Deutschland seit dem Kriegsende verboten – ein Verbot, das bis heute gilt.
Angeregt von dem Buch des Friedrich Knilli: „Ich war Jud Süss. Die Geschichte des Filmstars Ferdinand Marian“ (Berlin 2000) entstand siebzig Jahre nach dem Beginn der Dreharbeiten zu dem von Propagandaminister Joseph Goebbels in Auftrag gegebenen und großzügig finanzierten Kinofilm „Jud Süss“ ein Spielfilm über den Hauptdarsteller dieses Films, den damals noch wenig erfolgreichen Österreicher Ferdinand Marian. Der hatte sich, so schmeichelhaft das Interesse des Ministers an ihm war – Goebbels war wie Hitler ein Filmenthusiast – und so gefährlich jeder Ungehorsam gegenüber dem allmächtigen Mann schien, gegen die ihm angetragene Hauptrolle gewehrt. Der Schauspieler befürchtete, mit der Rolle des verhassten Juden so identifiziert zu werden, dass er nie mehr eine anständige Rolle bekommen werde. Marian wollte und konnte die Juden nicht als minderwertige Rasse darstellen, weil seine eigene Frau nach der Klassifizierung der Nationalsozialisten eine Vierteljüdin war und weil er selbst dem jüdischen Schauspielerkollegen Wilhelm Adolf Deutscher Unterschlupf gewährt hatte.
Doch seine Versuche, den Anweisungen des Regisseurs Veit Harlan nicht zu gehorchen und den Juden Süss einfach nur schlecht zu spielen, halfen ihm nicht. Denn sein Spiel wirkte dadurch nur umso überzeugender. Und sein Vertrauen auf die Zusicherungen des Propagandaministers, dieser Film, der auf einem Roman des jüdischen Schriftstellers Lion Feuchtwanger und Vorarbeiten des renommierten Dichters Wilhelm Hauff basiere, werde kein Propagandafilm, sondern ein Kinokunstwerk von Weltrang, das dem Hauptdarsteller zu einem Ruf aus Hollywood und zu Weltruhm verhelfe, war allzu naiv.
Die Schlinge um den Hals des Schauspielers Ferdinand Marian zog sich immer enger zu. Sein Hausmädchen, mit einem jungen SA-Mann liiert, verriet den bei Marian versteckten jüdischen Kollegen Deutscher. Der wurde abgeführt. Und der Minister forderte ultimativ die Loyalität des Schauspielers Marian mit der Drohung, er könne ihn zerquetschen wie eine Laus. Marian konnte nicht anders, er musste den durchtriebenen und geschäftstüchtigen Juden Süss spielen.
So begannen 1940 die Dreharbeiten zu dem Film „Jud Süss“. Mitten im Krieg ein mit mehr als zwei Millionen Reichsmark finanziertes Monsterwerk, für das es keinerlei Beschränkungen gab. Eine Menge jüdischer Statisten wurde gebraucht. Die Männer und Frauen wurden aus dem Konzentrationslager abkommandiert. Marian gelang es dabei, seinen Freund Deutscher zu dieser Gruppe von zeitweilig Begünstigten zu bekommen. Mehr aber konnte er nicht für ihn tun.
Der nach nur drei Monaten Drehzeit fertiggestellte Film wurde von dem Reichspropagandaminister und Chef der Reichsfilmkammer Joseph Gobbels persönlich der Presse vorgestellt. Wobei er den Journalisten diktierte, wie die Kommentierung zu lauten habe. Nämlich: Dies sei der Beweis dafür, dass die deutsche Filmbranche durchaus in der Lage sei, ein großes Kunstwerk zu schaffen, und das ohne die fast 2000 jüdischen Regisseure und Produzenten und Schauspieler und weiteren Filmschaffenden, die bis zu ihrer Eliminierung den deutschen und österreichischen Filmmarkt beherrscht hatten.
Rund zwanzig Millionen Menschen in Deutschland, Österreich und den eroberten Ländern sollen den Film gesehen haben. Er wurde den SS-Einsatzgruppen vorgeführt sowie den Mannschaften der Konzentrations- und Vernichtungslager. Außerdem wurde er an sämtlichen Fronten zur Stärkung der Kampfmotivation der Soldaten eingesetzt. Da kam die Judenhetze gut an, weil für Differenzierung und Überhöhung die Voraussetzungen fehlten. Erziehung zum Hass als eine Form der Truppenbetreuung.
Dann plötzlich der Beginn der Nachkriegszeit. Der von den Siegermächten mit Berufsverbot belegte Schauspieler Marian stürzt sich in den permanenten Alkoholrausch. Der Regisseur Veit Harlan bemüht sich, möglichst viele der Filmrollen zu vernichten. Der aus dem KZ befreite Schauspieler Deutscher trifft und verflucht den ehemaligen Freund Marian. Der erfährt, dass seine Frau im KZ vergast wurde, setzt sich volltrunken in sein Auto und fährt auf der Landstraße gegen einen Baum. Tot.
Ein kurzer Nachspann, viel zu kurz, verrät, dass Veit Harlan später den Professortitel bekam und weitere Filme drehen konnte, sogar mit Steuerbefreiung.
Das wars’s dann. Der fast zwei Stunden lange Streifen ist als ein Film über ein Schauspielerleben durchaus akzeptabel. Wenn damit auch die Bedeutung der Funktion als Schauspieler überschätzt wird. Womit man auf den Starkult Hollywoods hereingefallen ist. Viel wichtiger wäre gewesen, die weitreichenden Manipulationen am Drehbuch aufzuzeigen, die Joseph Goebbels vorgenommen hat. Auch der Schauspieler Werner Krauß, der in mehreren Rollen Judentypen darstellte, wäre interessanter gewesen als der naive Frauenheld Marian, dessen Ehefrau in Wahrheit nicht jüdisch war (eine unnötige Verfälschung). Und der Wendehals Veit Harlan mit seiner geschickt aufgebauten Nachkriegskarriere und seiner Ehefrau Kristina Söderbaum, die eine der berühmtesten und bestbeschäftigten Nazidiven war, war von ganz anderem Gewicht als der bloß gehorsame Mime Marian. All das aber wäre schwieriger in einem Spielfilm darzustellen gewesen. Schließlich rafft sich dieser Film über einen Film auch nicht zu einem Appell zur Freigabe des Originalfilms auf. Kein Hinweis auf die Absurdität, dass man dem heutigen Publikum, das permanent mit den krudesten Machwerken der Filmbranche malträtiert wird, kein eigenes Urteil über den Film „Jud Süss“ zutraut.
Über den Inhalt des Films „Jud Süss“, in dem Marian die Hauptrolle gespielt hatte, erfährt der Zuschauer kaum etwas. Nur dass der Jude Süss dem Herzog von Württemberg zu Geld und zu einem teuren Geschenk verholfen hat und dass man ihm nachher den Tod eines Mädchens anlastete und ihn erhängte. Die wenigen Szenen, die den Juden Süss zeigen, waren nicht einmal Ausschnitte des Nazifilms, sondern mit den neuen Schauspielern nachgestellte Filmtakes.
Fazit: Der Nazifilm „Jud Süss“ war bei weitem besser als dieser zweite Aufguss. Denn er war neben seiner Funktion als Propagandafilm ein opulenter Historienfilm, in dem der geldgierige und kindische Herzog, gespielt von Heinrich George, die widerlichste Figur abgab. Während die dargestellten Juden entgegen der Intention des Ministers schon fast sympathisch dargestellt waren, vor allem weil der Schauspieler Werner Krauß sich erfolgreich gegen die Forderung von Goebbels gewehrt hatte, sich bei seinen mehreren Judenrollen die von den Nazis als typisch angesehenen übergroßen und gebogenen Nasen aufsetzen zu lassen. Auch solche kleinen Widerstände waren also möglich. Eine ausführliche Dokumentation über die Entstehung des Originals wäre besser gewesen als dieses teils wahre und teils erfundene Spiel über einen Spielfilm. Wer die Gelegenheit hat, den Originalfilm zu sehen, etwa im deutschsprachigen Ausland, sollte sie unbedingt wahrnehmen. Wer dazu keine Gelegenheit findet, kann zumindest die ausführliche Besprechung lesen, die ich unmittelbar nach dem ambivalenten Erlebnis dieses Nazifilms geschrieben habe. In diesem Netzine ebenfalls hier in der Rubrik „Rezensionen“ veröffentlicht, und zwar unter „Jud Süss“.
(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)