Herta Müller: Der Fuchs war damals schon der Jäger

Nur eine Rochade?

(Herta Müller: Der Fuchs war damals schon der Jäger, Roman, Rowohlt-Taschenbuch Nr. 13503, Reinbek bei Hamburg 1994, 286 Seiten)

Aus aktuellem Anlass – gestern bekam Herta Müller den Literaturnobelpreis für das Jahr 2009 zugesprochen – noch einmal nach dem ersten Roman der Autorin gegriffen und bei der erneuten Lektüre die 1995 gemachten kritischen Anmerkungen überprüft. Der erste Roman als Gegenstand einer Wiederbegegnung, weil er erfahrungsgemäß meist der beste ist. Die weiteren Romane sind oft nur noch schale Aufgüsse, wenn nicht zu einer völlig anderen Thematik oder Zeit gewechselt wurde.

Doch ist gleich eine Einschränkung zu machen: Was hier als Roman auftritt, entstand als die Nachschrift zu dem Drehbuch des gleichnamigen Spielfilms, das Herta Müller und Harry Merkle geschrieben hatten. Und gleich noch eine Einschränkung: Der Roman besteht aus einer Sammlung von Kurzgeschichten, die offensichtlich durch das Bestücken mit denselben Personennamen in Romankapitel verwandelt wurden. Dabei wirken die an die Sprache der Bild-Zeitung erinnernden kurzen und simplen Sätze wie Regieanweisungen. Was zunächst steif klingt, dann allmählich aber reizvoll wird und einem zuletzt so selbstverständlich ist wie alle manierierte Einfachheit, etwa in der naiven Malerei.

Durch die Vermischung von Beobachtung und traumhafter Deutung kommen lyrische Sätze zustande, die manchmal erschrecken, manchmal erfreuen. Dazu nur ein paar Beispiele: „Im Gesicht des Kindes stand ein Alter, das die Kinderstimme nicht ertrug.“ „…Jahre, in denen man ein Kind ist und noch wächst und dennoch spürt, dass jeder Tag abends über eine Kante fällt.“ „…stand zwischen Kinn und den Augen die Müdigkeit der Fabrik.“ „Aus seinem Mundwinkel lief eine Falte, sie schnitt ihm in die Wange.“ „Der Staub ist jeden Morgen älter als der Tag.“ „Und dass in der Hellhörigkeit und in der Dumpfheit die Schritte des Tages durch die Zehen stoßen …“

Akzeptiert. Das gezielte Danebengreifen im Ausdruck ist längst klassische Methode der Poesie, um nicht zu sagen, ihre Masche. Doch verbietet sich dieses harte Urteil, weil schon Autoren wie Rilke daraus Meisterstücke geformt haben.

„In der Stadt ist oft kein Strom, die Taschenlampen gehören wie Finger zu den Händen. Auf sackdunklen Straßen ist die Nacht aus einem Stück, und ein Gehender ist nur ein Geräusch unter einer beleuchteten Schuhspitze.“ „Morgens eilen sie aus dem Schlaf der Männer weg, tragen ein Bett voll Schlaf und ein Zimmer voll stickiger Luft im Gesicht zur Fabrik.“

Und die Erleichterung nach dem Aufstand, der die Mächtigen gegen die Ohnmächtigen ausgetauscht hat, ist in betont lapidaren Sätzen ausgedrückt, wie diesem: „Im Wartesaal sind keine Wandzeitungen, hinter dem Glas in den leeren Kästen liegt noch der Sommerstaub.“

Die 1953 in Rumänien geborene Autorin lebt seit 1987 in Deutschland. Ihre Beschreibung des Lebens unter kommunistischer Gewaltherrschaft, selbst  durchlitten,  ist bedrückend und von kafkaesker Intensität. Fast hat man ein schlechtes Gewissen, wenn man die schönen Formulierungen genießt, die doch nur dem Elend und der Rechtlosigkeit und der Angst der kleinen Leute entsprungen sind.

Das beinahe pointillistisch ausgemalte Alltagsbild aus dem Rumänien unter dem wahnwitzigen Diktator Ceausescu und seiner allgegenwärtigen und allmächtigen Geheimpolizei Securitate lässt die Autorin gegen Ende des Buches in die Revolution einmünden. Sie schreibt: „Grigore ist Direktor, der Direktor ist Vorarbeiter, der Pförtner ist Lagerverwalter, der Vorarbeiter ist Pförtner.“

Ein Befreiungsschlag auch für den Leser. Wenn in dieser Rochade – wie auch schon im Titel des Buches – nicht angedeutet wäre: Für den Kleinen Mann ändert sich nicht viel.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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