Henning Mankell: Die rote Antilope

Schwarz auf Weiß

(Henning Mankell: Die rote Antilope, aus dem Schwedischen von Verena Reichel, Roman, dtv, München 2003, 381 Seiten, € 10,-)

Ein Buch über das Heimweh? Ja, das auch. Aber eigentlich viel mehr. Der schwedische Krimi-Autor Henning Mankell, der sich hin und wieder den Luxus erlaubt, neben der Brotarbeit ein Stück Literatur zu verfertigen, hat mit diesem Buch ein Problem aufgegriffen, das zumindest am Rande auch zum Modethema Globalisierung gehört. Der abwechselnd in Schweden und Afrika lebende Autor verlegt die Handlung dieses Afrika-Buches in die Zeit kurz nach der ein weltweites Aufsehen erregenden Auffindung des verschollenen Missionars David Livingstone durch Henry Morton Stanley im Jahre 1871 und vor der Berliner Afrika-Konferenz von 1884/85, sich damit nicht zufällig dem Höhepunkt der Vergewaltigung Afrikas durch die europäischen Großmächte widmend.

Ein schwedischer Möchte-Gern-Naturforscher bricht im Jahre 1877 nach Afrika auf, um ein unbekanntes Insekt zu finden, dem er seinen Namen geben kann. Auf diese Weise will er sein verpfuschtes Leben doch noch zum Leben einer Berühmtheit werden lassen. In der Wüste Kalahari nimmt er sich aus Mitleid eines schwarzen Jungen an, dessen Angehörige bei einem der üblichen Überfälle durch die Kolonisten ermordet worden waren. Er nimmt ihn als seinen Quasi-Sohn mit nach Schweden und auf seine Vortragsreisen über Insekten. Dabei wird jedoch der Junge zur eigentlichen Sensation, weil man in Schweden noch keinen Neger gesehen hat. Und der gutmeinende Forscher wehrt sich erfolglos gegen diesen Sarotti-Effekt.

Steht im ersten Teil des Buches der schwedische Forscher im Mittelpunkt des Interesses und auch der Sympathie des Lesers, weil das Geschehen aus der Sicht dieses halb lächerlichen, halb bedauernswerten Hinterwäldlers geschildert wird, so verlegt der Autor im zweiten Teil den Schwerpunkt auf den schwarzen Jungen und seine ermordeten Eltern. Erst im dritten Teil ist der Junge die Hauptfigur, jetzt in seiner unvermeidlichen Zerrissenheit plastisch werdend. Das gelehrige schwarze Kind spricht inzwischen halbwegs schwedisch, denkt und fühlt und träumt aber immer noch afrikanisch. Und der Leser, der ursprünglich gespannt war, ob der nicht ganz ernstzunehmende Forscher ein noch nicht benanntes Insekt finden werde, wartet jetzt nur noch mit Spannung auf das Gelingen des großen Plans eines kleinen Jungen: die Heimkehr in die Wüste.

Die Parallele des mit einer Nadel auf Papier gespießten und sorgsam katalogisierten Insekts zu dem gewaltsam in den schwedischen Schnee translozierten Wüstenbewohner ist treffend. Auch den Leser. Weil das eine sich als so unsinnig erweist wie das andere. Und das selbst bei dem Abstand von mehr als hundert Jahren. Insofern ist „Die rote Antilope“ – Originaltitel „Der Sohn des Windes“ – auch ein packender historischer Roman.

Ob die zu bemüht komische Schöpfung des deutschen Titels sinnvoll war, mag dahingestellt bleiben. Erwähnt werden muß aber, daß Ungereimtheiten ins Buch gekommen oder in ihm geblieben sind, die ein aufmerksames Lektorat hätte ausmerzen müssen, entweder schon in Stockholm oder aber wenigstens in München. So stutzt man, wenn man liest, daß der Student, der sich auf die Insekten stürzen will, bei einem Professor der Botanik studiert (Seite 15). Und daß es dann am achtundzwanzigsten Tag seiner Wüstenwanderung zu einem Zwischenfall kam (Seite 50), obwohl er schon mehr als zwei Monate in der Kalahari unterwegs war (Seite 44), ist auch nur schwer nachzuvollziehen. Der Autor hat dem Ganzen noch einen Mord als Rahmenhandlung übergestülpt, in Form eines Kurzkrimis, was unnötig war und wohl als Berufskrankheit in Kauf genommen werden muß. Oder glaubte der Autor, er sei es seinem Image schuldig, einen Mord zu bringen?

Von diesen Macken abgesehen ist das ein Buch, das von Anfang bis Ende erfreut. Durch das raffinierte Infragestellen unserer Lebensweise, durch das einfühlsame Ausleuchten der kindlichen Seele, auch durch das sublime Lächerlichmachen der Institutionen Kirche, Unternehmerschaft und König und nicht zuletzt durch die so bildhafte wie korrekte Sprache mit ihrer immer wieder aufscheinenden feinen Ironie.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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