Heinrich Steinfest: Mariaschwarz

Taschenspielergestus

(Heinrich Steinfest: Mariaschwarz, Kriminalroman, Piper-Verlag, München 2008, 316 Seiten, gebunden € 16,90)

In „Laufenbergs Läster-Lexikon“ habe ich zum Stichwort Krimi geschrieben: „Der K. ist der Rennwagen der Literatur, aufregend aufgemotzt, aber zu nichts nütze, von einem gefahren, der nichts anderes kann als fahren und nur darauf aus ist, an ein Ziel zu kommen, das kein Ziel ist.“

Ich habe mich trotzdem dazu verführen lassen, den Kriminalroman  „Mariaschwarz“ ganz zu lesen, weil mir gleich am Anfang die ungewöhnlich ausschweifende Art des Autors auffiel, Menschen und Dinge zu zeichnen. Wie mit mehreren Farbstiften gleichzeitig, an jedem Finger einen, die sich unterstrichen, konturierten, schattierten, negierten und zu einem Potpourri vereinigten, das in den Nebenraum gehörte. Dieser Satz ist nicht von Heinrich Steinfest, er ist über ihn. Eine seiner typischen Be-Schreibungen ist aber diese: „Überhaupt war dieser Mann schwer von Müdigkeit gezeichnet. Er wirkte im wahrsten Sinne geknickt, als hätte er einen Schlag in den Magen erhalten und sei nie wieder aus der vom Nabel aufwärts vorgebeugten Haltung herausgekommen. Darum auch schien er kleiner, als er war. Im Grunde sah er ja gut aus, männlich, ein geschnitzter, ein geschälter Typ, kantig, aber nicht grob, holzig, elegant holzig, oder, wenn man so will, kartoffelig, elegant kartoffelig, mit weißblondem Haar und Geheimratsecken, die immer ein wenig feucht glänzten, aber als einzige Stelle über etwas Farbe verfügten, leicht angebrannt, als habe soeben der Sommer begonnen. Olander erinnerte an den Maler Francis Picabia, allerdings in einer blassen Ausgabe. Picabia war es gewesen, der gesagt hatte, der Kopf sei rund, damit das Denken die Richtung wechseln könne. So gesehen war Olander nicht nur ein fahlhäutiger Picabia, sondern auch einer, der die Möglichkeiten eines runden Kopfes ignorierte. Sein Denken ging ganz offensichtlich in die immer gleiche zwanghafte Richtung.“

Immerhin, der umfangreiche Wortschatz ist für einen Krimiautor imponierend. Dass die Unterscheidung zwischen dasselbe und das gleiche im gesamten Buch nicht gelingt, ist nicht verwunderlich. Schon eher, dass auch im Lektorat diese Klippschulkenntnisse fehlen. Die eingestreuten Bildungstrümmer sind der Versuch, das Niveau zu heben, stehen allerdings in merkwürdigem Kontrast zu der gelegentlichen Jargon-Ausdrucksweise: „Olander saß auf einem Felsen und fror sich den Hintern ab.“ Doch überrascht der Autor gleich darauf mit schöner Ironie: „Am gegenüberliegenden Ufer erblickte er ein paar Leute mit paarigen Stöcken. Sie sahen aus wie Schifahrer ohne Schnee, also ein bißchen sinnlos.“ Immer wieder muss ein Satz unterstrichen werden. So wie dieser: „Er sprach in diesem leicht blubbernden Ton, wie Fische, die gerade reden lernen.“ Wenn auch sprachlich daneben, so doch sehr schön.

Auffällig und gelegentlich auch durchaus gefällig ist das Bemühen des Autors, seinem Buch einen philosophischen Anstrich zu geben: „Vor jedem Unglück steht natürlich ein Glück, sonst ergäbe sich in der Folge ja kein Unglück. Dauerndes Pech ist etwas anderes. Dauerndes Pech ist eine Laune der Natur, die ohne Hintergrund auskommt, ohne Zweck bleibt. Unglück aber, also der Antikörpers des Glücks, ist höchstwahrscheinlich eine übernatürliche Regung.“ Und so weiter. Anfangs kann man so was noch genießen. Auch wenn man liest: „Sie sprach weder laut noch leise, weder erregt noch betont gelassen. Sie sprach einen geraden Satz durch einen geraden Mund. Und das ist eine Seltenheit. Häufig ist der Satz schief, oder der Mund ist schief. Meistens beides. Hier aber war alles gerade, das ganze Gesicht, der ganze Körper, die Haltung, die Mimik, ohne dass aber der Eindruck einer trickreichen Modellierung entstand. Die Geradheit dieser jungen Frau kam nicht konstruiert daher, nicht wie aus dem Windkanal der Modejournale. Ihre Beine waren nicht länger als lang, ihre Figur nicht schlanker als schlank. Die Reinheit ihres Gesichtes schien frei von schwerwiegenden Manipulationen. Der Eindruck des Zierlichen frei von Drogen und Schwermut. Dem Engelsgleichen ihrer Erscheinung wiederum fehlte der Heiligenschein. Hier stand ein Mensch. Ein Mensch ohne Flügel. Zumindest konnte man die Flügel nicht sehen.“

So kann man auf leichte Weise gut dreihundert Buchseiten füllen. Der Leser wird in immer neue Verwirrung gestürzt, aber auch mit immer neuen schönen Formulierungen erfreut, beispielsweise wenn es über Wien heißt: „Kurz bevor Lukastik diese dotterartig in ihrem Klischee schwimmende Stadt erreichte, hielt er an einer Tankstelle.“

Es ist überflüssig, etwas über die Handlung dieses Romans zu sagen. Weil sie unerheblich bleibt, belanglos. Nach 316 Seiten Lektüre muss der Leser einsehen, dass er seine Zeit für nichts als Zeitvertreib geopfert hat. Denn das Buch, das er nun zuschlägt, hat ihn nicht klüger gemacht. Es ist sinnlos, aussagelos. Wenn man nicht die gelegentlich eingestreuten Hinweise auf Ludwig Wittgenstein, den angeblichen Lieblingsphilosophen des Kriminalinspektors, als Schlüssel zur Erkenntnis nehmen will. Ja, der Kubus über dem See Mariaschwarz ist dem Kubus vergleichbar, den Ludwig Wittgenstein (1889-1951) sich als Stadtpalais in Wien hatte bauen lassen. Und wenn man weiß, dass einer der Kernsätze der Wittgensteinschen Philosophie die Unsinnigkeit beschwört, kann man dem Autor Steinfest nur noch dazu gratulieren, wie er mit großartigem Taschenspielergestus seine Leser aufs Kreuz legt: „Meine Sätze“, schrieb Wittgenstein, „erläutern dadurch, dass sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie – auf  ihnen – über sie hinausgestiegen ist.“ Nebbich.
(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

Dieser Beitrag wurde unter Buchbesprechung veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.