Große Freiheit Nr. 7

(Große Freiheit Nr. 7, D 1944, 109 Min., Regie: Helmut Käutner, Drehbuch: Richard Nicolas, Helmut Käutner)

Das Drehbuch ist einem in die Jahre gekommener Seemann auf den Leib geschrieben, damals musste das Hans Albers sein, der als Stimmungssänger in einem Revuelokal von St. Pauli arbeitet. Er ist der Geliebte der ebenso in die Jahre gekommenen Inhaberin des Etablissements. Der Bruder des Sängers stirbt, und so muss er sich um das Mädchen kümmern, das sein Bruder sitzengelassen hat. Er macht das süße bayerische Madel zu einer Deern, indem er sie zu sich in seine kleine Wohnung holt. Er ist korrekt und freundlich und verhilft ihr sogar zu einer Anstellung in einem Laden, sie bringt dafür seine Wohnung und seine Klamotten in Ordnung. Sie lernt einen jungen Werftarbeiter kennen, der es mit lächelnder Impertinenz fertig bringt, sie zu seiner Freundin zu machen. Dummerweise plant gleichzeitig der Stimmungssänger ein ordentliches bürgerliches Leben mit der Deern als seiner Frau. Die üblichen Fehldeutungen des Verhaltens, dann Rangeleien, schließlich das unvermeidliche Ergebnis: Die junge Verkäuferin im Bett des jungen Werftarbeiters. Und dem maßlos enttäuschten Stimmungssänger bleibt nichts anderes übrig, als sofort wieder anzuheuern und am nächsten Morgen nach Australien zu fahren. Mit dem Lied auf den Lippen: „Beim ersten Mal, da tut’s noch weh, da meint man noch, dass man es nie verwinden kann. Doch mit der Zeit, so peu à peu, gewöhnt man sich daran.“ Soviel zum Inhalt des Films, der mit diesem Lied und etlichen weiteren Schlagern wie „La Paloma“, „Wein’ nicht, mein Kind, die Tränen sind vergebens“ und „Auf der Reeperbahn nachts um halb Eins“ den in doppelter Hinsicht blauäugigen Stimmungssänger mit seiner Ziehharmonika unsterblich machte, obwohl der Film zunächst verboten wurde.

Mit Adolf Hitler und Joseph Goebbels standen zwei ausgeprägte Filmenthusiasten, ja, Filmnarren an der Spitze des Dritten Reiches. Hitler pflegte sich jeden Abend eine Filmauswahl vorlegen zu lassen, aus der er dann einen Streifen für die abendliche Aufführung bestimmte. Goebbels war ebenso scharf auf Filme, daneben aber noch mehr auf die Filmdiven und Filmsternchen. Und doch hatte man Pech mit dem Medium Spielfilm als Instrument der nationalsozialistischen Propaganda. Die große Kino-Aufräumaktion vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs hatte so gut wie alle bekannten Produzenten, Regisseure und Schauspieler ins Ausland vertrieben, weil sie Juden waren. Davon profitierten in erster Linie die Vereinigten Staaten von Amerika. Doch zeigte sich schnell, dass es noch genügend nichtjüdische Filmleute gab, die diesen gewaltigen Aderlass auszugleichen vermochten. Der deutsche Film konnte sogar mit Pracht-Produktionen auftrumpfen. Da wurden die Großen der Geschichte gefeiert, aber auch der deutsche Wald und das deutsche Hochgebirge und natürlich die deutsche Frau, und sogar der Krieg konnte fröhlich dargestellt werden. Der deutsche Film kam zu internationaler Anerkennung.

Als dann aber nach der Niederlage der achten Armee bei Stalingrad die neue Losung des Reichspropagandaministers Goebbels hieß: Durchhaltefilme, da versagte die deutsche Filmindustrie. Der Film „Münchhausen“ (1943) wurde zwar noch ein großer Erfolg, war aber mehr unterhaltsam als dass er der unter den ständigen Bombenangriffen leidenden deutschen Bevölkerung den Rücken stärkte. Und der Film „Kolberg“ (1945), der endlich die geforderte Ausrichtung und das passende Pathos hatte, wurde zu spät fertig und konnte in den letzten Wochen des Zusammenbruchs nur noch von wenigen hundert Menschen gesehen werden. Da war nichts mehr mit Durchhalten.

Der Film „Große Freiheit Nr. 7“, der zeitlich zwischen diesen beiden Durchhaltefilmen lag, wurde trotz oder als hinterlistige Reaktion auf die vielen Eingriffe des Propagandaministers viel zu freizügig in der Darstellung der Personen und ihrer außerehelichen Beziehungen, die absolut nicht dem Ideal der nationalsozialistischen Familie entsprachen. Zwar konnte man in den Seeleuten, die hinaus in die Welt mussten, eine Parallele zu den Soldaten sehen, die draußen im Feld standen, doch hatten die gezeigten Seeleute überhaupt nichts Heldenhaftes, ihr selbstverständliches Zusammenhalten hatte eher etwas Kumpelhaftes. Und die Chefin des Revuelokals blieb in Hoffnungslosigkeit zurück, als ihr Sänger wieder aufs Schiff ging. Außerdem geriet die Musik in eine viel zu schwermütige Tonart. Dabei hatte der allmächtige Propagandaminister sogar das eigentlich kriegswichtige Farbfilmmaterial freigegeben – einer der allerersten deutschen Farbfilme entstand -, und er hatte Außenaufnahmen im Hamburger Hafen ermöglicht, indem er dort liegende Kriegsschiffe perfekt tarnen und alle Hakenkreuzfahnen verschwinden ließ, und er hatte schließlich dem horrend hohen Honorar zugestimmt, das Hans Albers gefordert hatte, dessen Antipathie gegenüber den Nazis bekannt war. Zuletzt hatte der Minister auch noch erlaubt, den Streifen am 15. Dezember 1944 uraufzuführen, allerdings nur in Prag, wo der Film hauptsächlich gedreht worden war, notgedrungen im Atelier, aber dann hieß es: Die Filmrollen kommen unter Verschluss!

Und der Film blieb bis lange nach Kriegsende unter Verschluss, während er im Ausland lief, und das mit Erfolg. Zu Recht, denn in der Endphase des Zweiten Weltkriegs mit all seinen Schwierigkeiten und Gefahren war durch Käutners Hartnäckigkeit ein Filmkunstwerk entstanden, das in stimmungsvollen Bildern das Leben außerhalb der geordneten Familienverhältnisse und bürgerlichen Disziplin schildert. Der Durchhalteappell anders verstanden.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

Dieser Beitrag wurde unter Filmbesprechungen veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.