Good Bye Lenin!

(Good Bye Lenin!, D 2003, 117 Min., Regie: Wolfgang Becker)

Ein junger Ostberliner in der DDR des Jahres 1989, dessen Mutter eine überzeugte Sozialistin ist. Bei einer der üblichen gewaltsamen Unterdrückungen von Unmutsäußerungen auf der Straße ist die Frau zufällig Zeugin unnötiger Brutalität der Sicherheitskräfte. Was sie mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus bringt.

Acht Monate lang liegt sie im Koma. Dann schlägt sie wie durch ein Wunder die Augen auf und belebt sich wieder. Was jede Familie glücklich machen würde, lässt ihre Angehörigen in größte Schwierigkeiten kommen. Denn inzwischen ist die Mauer gefallen, die DDR verschwunden. Doch der behandelnde Arzt sagt, dass ihr die kleinste Aufregung den zweiten Infarkt und damit den Tod bringen könnte. Also darf sie nichts von der Ausmusterung ihrer Ideale erfahren. So müssen, je weiter sich der Zustand der Kranken bessert, Sohn und Tochter und Hausgemeinschaft und immer mehr Helfer immer mehr ehemalige DDR wiederbeleben. Zuerst geht es nur darum, der Frau die gewohnten DDR-Produkte wie Spreewälder Gürkchen zu servieren. Etikettenschwindel im Kleinen mithilfe weggeworfener Gläser und Verpackungen aus dem Müllcontainer. Was aber bald nicht mehr ausreicht, die offensichtlichen Veränderungen des Alltags zu übertünchen, und schließlich in der Herstellung von gefälschten DDR-Nachrichten auf Video kulminiert und in der scheinbaren Fernsehmeldung, dass beim Fall der Mauer die Westler voller Begeisterung herüberkommen, um endlich DDR-Bürger zu werden. Eine Wiedervereinigung unter der DDR-Flagge.

Was hier als eine Kömödie mit Herz vorgeführt wird, hat durchaus Tiefgang. Nicht nur, weil die Frau schließlich doch an ihrem zweiten Infarkt stirbt, sondern auch, weil herauskommt, dass und warum der in den Westen geflüchtete Ehemann immer noch Kontakt zu ihr gehalten hatte. Das alles würde aber noch nicht erklären, warum dieser Film von der Kritik so hochgejubelt worden ist. Mag sein, man hat es geschafft, hinter die Kulissen zu schauen. Da entpuppte die flotte Story sich als die alte, immer reizvolle Frage: Was wäre geschehen, wenn alles ganz anders gekommen wäre? Eine Frage, die nicht beantwortet wird. Doch für den, der in der Lage ist, mehr als eine amüsante Unterhaltung zu genießen, bekommt der Film mit dieser Umkehrung der Verhältnisse den Geschmack einer bewusstseinserweiternden Droge. Plötzlich geht es um Grundsätzliches. Um das, was schon bei jedem Besuch im Zoo als Zweifel auftaucht: Ist wirklich der Affe hinter dem Gitter oder bin nicht eigentlich ich hinter Gitter? So wird der Sozialismus noch nachträglich in Frage gestellt, indem der ohnehin lächerliche Staat der kleinen Gernegroße zusätzlich lächerlich gemacht wird.

Aber der Film greift sogar noch über diesen politisch aktuellen Bezug hinaus. Beweist er doch, wie leicht wir zufriedenzustellen sind, wenn man uns mit Versatzstücken der Wirklichkeit füttert, seien die noch so manipuliert und in der Kommentierung sogar bis in ihr Gegenteil hinein umgedeutet. Hier bekommt der Film schon eine literarische Qualität, erinnert er doch an Stefan Heyms Roman „König-David-Bericht“, noch in der DDR entstanden und doch die grundsätzliche Abrechnung mit dem System der Volksverdummung. Scherz, Satire, Ironie führen zur tieferen Bedeutung: Berichterstattung ist immer eine eigene Gattung von Wahrheit.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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