Galileo

Der Zweikampf (Fortsetzung)

Schon die alten Griechen hatte es bekanntlich nicht in Ruhe gelassen, wie das ist mit den Sternen und der Erde und vor allem mit Sonne und Mond. Sie hatten sich vorgestellt, daß die Erde in der Mitte einer schwarzen Kugel ruht, die sich täglich einmal um ihre eigene Achse dreht. Diese Kugel sollte die Sterne tragen, die Sonne, den Mond und alle Planeten, die sich in sonderbaren Bahnen um die Erde bewegten. Eine alberne Vorstellung, wie Ihr mir zugeben werdet, Freunde.

Noch Ptolemäus, der letzte große griechische Astronom, der im 2. Jahrhundert nach Christi Geburt in Alexandria arbeitete, baute dieses geozentrische Weltbild weiter aus, indem er die einzelnen Sphären beschrieb, auf denen die Planeten und die Sterne unsere Erde angeblich umrunden.

Leider aber wurde ich zu spät geboren, um diesen Unsinn als erster zu widerlegen. Da war fünfzig Jahre vor meiner Geburt schon dieser Domherr von Frauenburg, Nikolaus Kopernikus, auf den Gedanken gekommen, die himmlischen Kugeln ganz anders fliegen zu lassen. Übrigens auch ein Pole. Von mir aber hochgeschätzt. Anders als Euer Papst. Seht Ihr, so bin ich: unbeirrbar objektiv. Nach Kopernikus sollte nur noch der Mond um die Erde kreisen, die Erde aber sollte bloß einer der Planeten der Sonne sein, sogar ein besonders kleiner, und um sie kreisen. Eine kühne Behauptung, bei der unsere heilige katholische Kirche rot sehen mußte. Deshalb hat dieser kluge Kopernikus seine revolutionären Erkenntnisse auch erst nach seinem Tode veröffentlichen lassen.

Natürlich hat man auch mir im Studium noch das geozentrische Weltsystem der alten Griechen eingetrichtert. Was alt ist, ist ja immer gut, und je älter es ist, um so verehrungswürdiger erscheint es den Leuten. Zudem: nachplappern ist leichter als nachdenken. Als ich dann Professor für Mathematik, Astronomie und Festungsbau an der Universität von Padua war, ich war damals achtundzwanzig Jahre alt, da habe ich selbst meinen Studenten den alten Quatsch von der schwarzen Kugel mit der in der Mitte ruhenden Erde verzapfen müssen. Das stand halt auf dem Lehrplan. Aber meinem Kollegen Johannes Kepler in Graz habe ich geschrieben, daß ich nicht das altgriechische, sondern das kopernikanische Weltsystem für richtig halte. Wir waren uns einig. Gemeinsam wollten wir die Welt aus den Angeln heben. Leichter gesagt als getan. Der Kollege Kepler war Protestant und insofern viel freier im Denken und Sprechen als ich, der Katholik, der zudem im streng katholischen Italien in Amt und Würden war.

Das Dilemma begann mit meinem Fernrohr

Mit meinem selbstgebauten Fernrohr – nun ja, mittlerweile sind diese Geräte immer besser geworden, so daß Ihr immer mehr sehen könnt – ich jedenfalls habe mit meinem selbstgebauten Fernrohr Entdeckungen gemacht, die noch kein Mensch vor mir gemacht hatte. Wie viele Nächte hatte ich mit der Betrachtung des Sternenhimmels verbracht. Und mit meinen Sonnenbeobachtungen hatte ich mir die Augen ruiniert. Das aber hatte mir nun eindeutige Belege dafür eingebracht, daß der Mond sich um die Erde und die Erde sich wie die anderen Planeten um die Sonne dreht. Nachdem es das Fernrohr gab, konnte niemand mehr leugnen, was ich entdeckt hatte: die Berge auf dem Mond, die Sonnenflecken, die Jupitermonde und Venusphasen. Das ptolemäische Weltsystem war damit als falsch entlarvt, das kopernikanische bewiesen.

Und ich war so unvorsichtig und ruhmsüchtig, ja, ich gebe es zu, diese Erkenntnisse auszusprechen. Die Gelehrten der Jesuiten, die sich sehr eifrig mit der Himmelskunde beschäftigten, bestärkten mich noch in meiner Tollkühnheit, indem sie meine Entdeckungen bestätigten – und bewunderten. Vor allem der kluge und hochgebildete Kardinal Maffeo Barberini zeigte mir, wieviel er von mir und meinen Forschungen hielt. Aber all diese gerissenen Leute vermieden es, daraus die Konsequenz zu ziehen und zu sagen, daß die Erde nicht im Mittelpunkt des Universums stehe. Sie wußten, daß die Kirche an dieser geozentrischen Vorstellung festhalten würde, koste es, was es wolle. Immer mit dem Hinweis auf eine Bibelstelle im 10. Kapitel, 12. und 13. Vers, des Buches Josua, wo zu lesen ist, daß die Sonne bei einer Schlacht auf Bitten des Josua stehengeblieben sei.

Diese Bibelstelle war angeblich der Beweis dafür, daß sich die Sonne normalerweise um die Erde bewegt. Und wenn es so in der Bibel stehe, dann sei es so, hieß es. Und dann könne nichts anderes richtig sein, egal, was man durch die Sehrohre zu sehen glaube.

Dahinter verbarg sich allerdings ganz was anderes: Die Frage, ob die Sonne sich um die Erde bewegt oder aber die Erde sich um die Sonne, ging an die Substanz des christlichen Glaubens. Konnte unsere Erde, wenn sie bloß ein Planet der Sonne ist, einer wie die anderen, die um diesen Glutball routieren, konnte die Erde dann wirklich so wichtig sein, daß Gott gerade auf diesem Planeten Adam und Eva geschaffen hat? Und daß er ausgerechnet auf diesen Sonnenplaneten seinen Sohn geschickt hat, damit er den Opfertod für uns stirbt? Aber solche Überlegungen sprach niemand aus. Nur der Sekretär von Kardinal Barberini hatte mich einmal gewarnt, es könnten andere Leute aus meinen Erkenntnissen Folgerungen ziehen, die pure Häresie wären.

Aber ich hatte die Warnung des Sekretärs nicht für wichtig gehalten. Ich war einfach nicht auf den Gedanken gekommen, daß dieser Hinweis in Wahrheit von seinem Herrn, dem Kardinal selbst, stammen müßte. Als eine Warnung an mich. So was war mir nicht wichtig. Hatte mich doch schon vor Jahren Papst Paul V. vorladen lassen, damit ich mir eine strenge Ermahnung anhöre, das kopernikanische System nicht weiterhin zu lehren.

Viel zu spät, ja, erst als dieser hochgelehrte und mir freundlich zugetane Kardinal Maffeo Barberini im Jahre 1621 als Papst Urban VIII. auf dem Stuhl Petri Platz genommen hatte, habe ich erkannt, daß wir beide in unserer so unterschiedlichen Funktion, uns einen Zweikampf lieferten. Einen so gigantischen Zweikampf, wie die Welt ihn noch nicht erlebt hatte. Aber wie sollte ich das erkennen? Wie sollte ich diesen Verschwender als Gegner ernst nehmen, der mit dem Geld seiner Gläubigen umging als wäre er Gott selbst.

Solange Barberini nur Kardinal war und ich der weltberühmte Gelehrte, war er mein begeisterter und auch fachkundiger Leser und mein Bewunderer.

Wie wenig Verlaß ist doch auf die, die einen bewundern. Wie schnell wird das Hosianna zum Kreuziget-Ihn.

Kaum, daß er Papst war, änderte sich seine Einstellung zu mir. Er wurde mir gegenüber so viel zurückhaltender. Nur immer seine Mahnung, daß man die Macht Gottes nicht einengen oder beschränken dürfe.

Anfang des Jahres 1632 erschien mein wichtigstes Buch, an dem ich viele Jahre gearbeitet hatte. Es löste in ganz Europa eine Begeisterung aus, wie sie bis dahin noch kein wissenschaftliches Buch hervorgerufen hatte.

Doch mein ehemaliger Bewunderer, Papst Urban VIII., ließ zu meiner großen Enttäuschung mein Buch verbieten. Zum Glück waren da aber die meisten Exemplare schon verkauft.

Daß der Papst mein Buch verboten hatte, störte mich nicht weiter. Mein Jahr des Triumphes, dachte ich damals, dieses Jahr 1632. Ich war beinahe siebzig. Da darf man wohl den Höhepunkt einer erfolgreichen Laufbahn erwarten.

Aber im Oktober desselben Jahres bekam ich die Vorladung vor das Inquisitionsgericht in Rom. Ich wohnte damals in Florenz, und ich war krank und wahrhaftig nicht reisefähig. Aber alle meine Ausflüchte halfen mir nicht. Der Papst forderte kategorisch mein Erscheinen vor Gericht.

Ich konnte nichts dagegen machen, auch die Großherzöge der Toskana, meine Dienstherren, konnten nichts ausrichten: Mir war befohlen, mich vor dem Inquisitionsgericht in Rom zu verantworten. So mußte ich mich auf die Reise machen. Im Februar des folgenden Jahres traf ich nach langer und sehr beschwerlicher Fahrt in Rom ein. Zwei Monate später begann dann der Prozeß gegen mich. Aber was heißt hier Prozeß? Vor dem Inquisitionsgericht hatte man keine Chance. Ein Angeklagter durfte nur die ihm gestellten Fragen beantworten, eine Gelegenheit zu einem Disput gab es nicht. Man hatte als Beschuldigter keinen Einblick in die Akten, erfuhr auch nicht, worüber beraten wurde, es wurde einem nicht einmal gesagt, wie die Anklage lautete. Dafür wußte ich etwas anderes, nämlich daß an der Stelle, an der ich nun stand, dreiunddreißig Jahre zuvor der Dominikanerpater Giordano Bruno sein Todesurteil vernommen hatte. Er mußte auf dem Scheiterhaufen sterben, weil er die Lehre des Kopernikus für wahr gehalten hatte. Eben die Lehre, die ich nun bewiesen hatte.

Auf dem kalten Marmorboden kniend, die Hand auf der Bibel mußte ich am 22. Juni dieses seltsam vermaledeiten Jahres 1633 eine mir vorgehaltene Abschwörungsformel verlesen.

Nachdem man mir altem Mann noch die Folter angedroht hatte, aber wahrhaftig nicht nur deswegen, oh nein, zeigte ich mich geständig und reumütig. Ich hatte das weiße Hemd des Büßers angezogen und ein entsprechendes Gesicht gemacht. :-(

So erging dann das Urteil.

Meine Richter kamen zu einem milden Urteilsspruch, der mir gnädiglich das Leben ließ. Mit dem von mir geleisteten Abschwören hätte ich mich von meiner eigenen Lehre distanziert, hieß es. Ich hätte damit also mein Lebenswerk ausgewischt wie Kreide auf einer Schreibtafel. So wenigstens sahen es die Herren Inquisitoren. Und sie waren sehr zufrieden mit mir. Ich war es auch. Denn die mir aufgebrummte Kerkerstrafe wurde schon nach einem Jahr in einen Hausarrest umgewandelt. Man mußte halt Rücksicht nehmen auf mein internationales Renommee. So durfte ich in meiner Landvilla bei Florenz ungestört mein Leben führen, wie ich es wollte. Unter Hausarrest, so ein Witz. Zum Reisen oder auch nur zum Ausgehen war ich ohnehin zu krank und zu schwach. Auch für die weitere Himmelsbeobachtung. Ich war ja inzwischen fast völlig blind. Aber mein toskanischer Wein schmeckte mir nach wie vor. Und ich konnte nun endlich das Buch diktieren, das ich schon seit Jahrzehnten schreiben wollte.

Dieses Buch wurde von allen Gelehrten Europas gelesen und bald als das erste Physikbuch der Neuzeit bezeichnet.

Mein übermächtiger Gegner, Papst Urban VIII., war an dem Prozeß gegen mich offiziell nicht beteiligt. Trotzdem hat er meinen Kniefall als seinen großen Sieg gefeiert. Ich aber wußte, womit ich ihn zum Zweikampf gefordert – und besiegt hatte, nämlich damit, daß ich in meinem Buch “Dialog” ausgerechnet die Argumente des Papstes Urban VIII. der stupiden Figur Simplicio in den Mund gelegt hatte. Das hatte den hohen Herrn schwer getroffen.

Kein Zweifel, ich habe richtig gehandelt, als ich mich zum Schein unterwarf und den Quatsch mit dem Abschwören mitmachte. Mit Kindern kann man nur kindlich umgehen. Der Erfolg gab mir recht: Ich konnte meinen Lebensabend daheim in Ruhe genießen. In der Gewißheit, daß sich meine veröffentlichten Erkenntnisse über den Lauf der Gestirne ohne Rücksicht auf den erzwungenen Verleugnungsschwur durchsetzen würden. Die Internationale der Gelehrten wußte Bescheid. Sie hatte meine Erkenntnisse bereits akzeptiert und arbeitete mit ihnen. Und die mir als Buße auferlegten sieben Bußpsalmen, die ich drei Jahre lang wöchentlich einmal aufsagen sollte, die kenne ich immer noch nicht. Wer will, soll sie für mich beten. Ich verrate ihm gern, wo sie stehen: Altes Testament, Buch der Psalmen. Heraussuchen muß er sie aber selber.

Also ist klar, meine Freunde: Dieser verstockte Papst Urban VIII. hat nicht mich fertiggemacht, ich habe ihn fertiggemacht. Und deshalb konnte Euer Papst mich jetzt nicht rehabilitieren. Er konnte nur nachträglich versuchen, das düstere Bild seines frühen Vorgängers Papst Urban VIII. ein klein wenig aufzuhellen. Die Kirche hat sich lächerlich gemacht. Und nun will sie das auf meine Kosten korrigieren.

Deshalb meine Frage an Euch, meine Freunde: Seid Ihr mit mir einig, daß ich aus diesem Zweikampf als Sieger hervorgegangen bin? Dann, bitte, schickt mir eine E-mail mit einem schlichten “Ja”. Meine Mail-box ist groß genug. Wenn Ihr aber zu diesem Urban VIII. haltet, dann schreibt in Eure E-mail ein “Nein” – oder noch besser: schreibt mir gar nicht. Selbstverständlich könnt Ihr auch ausführlicher Stellung nehmen. Aber ich sage Euch gleich: ich kann nicht alles beantworten.

Einige Stellungnahmen sind schon eingegangen. Da gratuliert mir einer, ich hätte nach dem Prinzip gehandelt: Der Klügere gibt nach. Na klar. Ein anderer schreibt, ich hätte den Satz bestätigt: Lieber fünf Minuten feige als das ganze Leben tot. Na ja, also ich weiß nicht. Einer von Euch, Walter Laufenberg heißt er, geht in seiner E-mail sehr spitzfindig an das Problem heran.

Daß ich genauso Unrecht gehabt hätte wie die Kirche und die Wahrheit erst dahinter liege, das sei der übliche Dreisprung des dialektischen Denkens in These, Antithese und Synthese, schreibt mir dieser neunmalkluge E-mailer. Davon habe ich nie gehört. Deshalb frage ich Euch, meine Freunde: Könnt Ihr das bestätigen? Und wenn ja, könnt Ihr mir vielleicht weitere Beispiele für diesen ominösen Dreisprung des dialektischen Denkens nennen? Ich freue mich auf Eure E-mailings.