Friederike Mayröcker: brütt oder Die seufzenden Gärten

Müll oder nicht Müll, das ist die Frage

(Friderike Mayröcker: brütt oder Die seufzenden Gärten, Suhrkamp-Verlag, Frankfurt a. M. 1998, gebunden 352 Seiten, ISBN 351840994-8, 22.80 Euro)

Im Altpapier-Container hinter der großen Wohnanlage fand ich es: Ein 352-Seiten-Buch, in Efalin gebunden, mit Kappband, Fadenheftung und mehrfarbigem Schutzumschlag. Die Erstauflage, 1998 im Suhrkamp-Verlag Frankfurt am Main erschienen und kein bisschen abgegriffen.

Ich konnte nicht anders, ich musste es retten. Und ich musste es lesen. Dabei fand ich mich auch schon auf Seite 14 bestätigt: „… löchriges altes Zeug, kaputtes Gewerke, sagt Blum, und ich bin nicht sicher, ob er damit nur die alten Töpfe, das zerscherbte Geschirr meint oder auch meine Aufzeichnungen, warum wirfst du nicht alles fort?, sagt Blum, PIETÄT, sage ich, alles PIETÄT, Nachsicht, Geduld …“

Aus Pietät, vermischt mit Neugier lese ich, was mir da Kapitel für Kapitel, jeweils mit einem Datum darüber, präsentiert wird. Und muss mich von dem Wunsch verabschieden, eine zusammenhängende Handlung zu erkennen, eine Geschichte oder eine klare Aussage. Was da, immer wieder von dem Einschub unterbrochen: sage ich zu Blum, oder sage ich zu Joseph, oder sage ich zu Lily und so fort, an Schriftlichem kommt, ist offensichtlich kein schriftstellerisch durchgeformter Text, sondern bloß eine ungeordnete Reihung von Seufzern, Assoziationen, Gedankenfetzen, Spontaneinfällen, Erinnerungen und Gefühlsäußerungen. Insgesamt ein Wühlen im Bildungsmüll, ein Herumirren im Wörter-Labyrinth. Also etwas Tagebuchähnliches. Das aber den Eindruck macht, dass dieses Gestammel stets spät in der Nacht notiert wurde, und die Frage aufwirft, ob bei dem dritten oder erst beim fünften Glas Wein zu Papier gebracht. Wenn nicht sogar einfach in ein Mikrophon gestöhnt.

Das liest sich dann auf Seite 74 so: „Jemand fragt : wovon ist hier eigentlich die Rede, und ich sage : die Rede ist gar nicht, es sind nur die Schattenspiele, Nachäffungen einer Manie, die hier niedergeschrieben werden, oder wie ließe sich sonst konkretisieren, was mich treibt, pausenlos antreibt, was mich nicht ruhen, nicht mehr schlafen lässt, was mich umbläst, hinschleudert, stürzt, was mich sodann zusammensacken lässt am frühen Abend, nur noch daliegen, mit geschlossenen Augen, die flüchtigen Träume.“

Oder es sieht auf Seite 178 so aus: „26. 11.  schaufelst die Medikamente in dich hinein wie Konfekt, sagt Blum, ich steigere mich da so hinein in die Gelüste : Schreib Gelüste, kriege Herzklopfen fliegenden Puls, usw. schön Schritt für Schritt, sagt Blum, nur hie und da so 1 Luftsprung, sagt Blum, der Hirnandrang in der Früh, sage ich, wenn es draußen den grauen Himmel hat und regnet, ALSO DAS VERWANDTEN TÜREL /TÜRL : hat mich geträumt, sage ich …“

Auf der Buchrückseite schreibt der Verlag: „Friederike Mayröcker gehört zu den großen innovativen Schriftstellerinnen dieses Jahrhunderts.“ Mit dem Adjektiv innovativ ist sicher nicht gemeint, wie die Autorin mit der Interpunktion spielt und kursiv sowie in Versalien besonders beeindrucken will. Das bringt nichts, ist bloß verwirrend, genau wie der unpassende Gag, das Wörtchen ein stets als die Ziffer Eins zu schreiben. Das ist bloßes Gieren nach Scheinmodernität. Aber wenn ich mich dann von dem Klappentext, aus Erfahrung erst hinterher gelesen, darüber belehren lassen muss, dass es sich bei diesem Buch um einen Liebesroman handelt, dann ist das tatsächlich eine Innovation.  

Doch komme ich nicht an der Frage vorbei: Wie kann es sein, dass so ein unlesbares Buch in einem renommierten deutschen Literatur-Verlag veröffentlicht wurde? Hängt das vielleicht mit der bekannten Tatsache zusammen, dass wir Deutschen alles Ausländische besonders hoch einschätzen? Was bei dem aus Österreich kommenden Ausländischen ja so bequem ist, weil die Sprachbarriere fehlt. Deshalb haben wir bei Autoren aus Österreich schon immer maßlos übertrieben. Wie bei Freud, Hitler, Handke und Bernhard, so auch bei Mayröcker, immer sofort rasend begeistert.

Ich bin nicht begeistert und klappe das Buch zu. Doch muss ich zugeben: Das ist das einzige Buch von über hundert Besprechungen, die ich veröffentlicht habe, in dem ich nicht jeden Satz wenigstens einmal gelesen habe. Aber in den Altpapier-Container kommt es nicht wieder – wegen der Pietät.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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