Eric-Emmanuel Schmitt: Die Schule der Egoisten

Wir gottgleichen Hominiden

(Eric-Emmanuel Schmitt: Die Schule der Egoisten, Roman, aus dem Französischen von Inés Koebel, Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main, Juli 2006, 170 Seiten, € 8,95)

Ein guter Titel, garantiert Aufmerksamkeit erregend und dabei jeden persönlich ansprechend, – nur leider falsch. Denn der Egoismus ist nicht das Thema dieses kleinen Romans. Statt dessen geht es um eine Einstellung, die Diderot und der Autor Schmitt so zitieren: „Wir mögen uns, um metaphorisch von der Sache zu reden, zum Himmel emporschwingen; oder wir mögen in die allerunterirdischen Gegenden hinabsteigen: so gehen wir doch nie aus uns selbst heraus, und nie nehmen wir etwas anderes wahr als unsern eigenen Gedanken.“

Dieser Satz beschreibt ein Phänomen, das wir seit seiner Entdeckung in England (egotism) Anfang des 18. Jahrhunderts als Egotismus bezeichnen und das ursprünglich ebenfalls im Französischen égotisme genannt, später jedoch auch mit dem Wort Egoismus umschrieben wurde. Im Deutschen hat sich dafür der Begriff Autismus eingebürgert. Grob definiert meint der Egoismus das Alles-Für-Sich-Haben-Wollen, während der Egotismus oder Autismus als Krankheitsform genau wie der Solipsismus als philosophische Haltung das Nur-Sich-Selbst-Sehen meint. Also geht es um den Unterschied von Wollen und Sehen. Ein gewaltiger Unterschied, denn das eine ist dynamisch, das andere statisch.

Die in Frankreich weggefallene klare Trennung der Begriffe hat es möglich gemacht, dieses Büchlein „Die Schule der Egoisten“ zu nennen. „Die Schule der Solipsisten“ wäre so richtig gewesen wie „Die Schule der Autisten“. Beides aber wäre nicht so attraktiv, weil der eine Begriff zu kompliziert und unbekannt ist, der andere aber als eine Krankheit zu unangenehm klingt. Und es geht in diesem Buch nicht um Krankheit, wenn auch die Umgebung des Mannes, dessen Suche nach der Wahrheit geschildert wird, ihn für krank hält, für geisteskrank. Die Verwechslungsgefahr ist halt immer sehr groß. Dennoch geht es hier nicht um Krankheit, sondern um Philosophie und um Religion.

Diese Vorbemerkung zur Begriffsverwirrung ist notwendig, weil der Verlag explizit darauf hinweist, dass der Autor Schmitt in Paris Philosophie studiert hat. Ja, aber eben in Frankreich.

Der Ich-Erzähler sucht nach dem niederländischen Autor Gaspard Languenhaert, weil ein Hinweis in einem alten Buch ihn glauben macht, dass da einer den Stein der Weisen gefunden hat. Er wird über der abenteuerlichen Suche in Archiven und Bibliotheken sowie bei Antiquaren und schon halbabgetretenen Gelehrten allmählich selbst zum Gaspard. Es entwickelt sich ein elegantes Spiel mit den letzten Fragen der Menschheit und mit den Antworten die sich uns bieten. Ein höchst ernsthaftes Spiel, obwohl die Situationskomik und die Ausdrucksweise immer wieder zum Schmunzeln verführen, manchmal auch zum Lachen und sehr oft zum Unterstreichen, weil man nicht anders applaudieren kann.

Ein geistreiches Buch, das man nur mit viel und ungestörter Muße und möglichst in einem Durchgang lesen sollte, weil man auf jeder Seite Sätze findet, die man zweimal lesen und sich regelrecht auf der Zunge zergehen lassen muß. Der Autor hat Phantasie und Esprit und eine überraschende Formulierungsgabe. Er schwingt sich zu Gottgleichheit auf, läßt uns mitschwingen und doch gleich darauf wieder als Hominiden herumirren.

Ist die Beschäftigung mit der Philosophie für den einzelnen generell nichts anderes als ein gigantischer und immer noch weiter wuchernder Eklektizismus, so ist der Leser berechtigt, sich auch in diesem Buch, das ihm keine abschließende Welterklärung und nicht den Stein der Weisen bietet, nicht einmal eine Faustformel für den Feierabend, eklektizistisch mit ein paar neuen Gedanken zu versorgen. Für nicht einmal neun Euro ein gutes Geschäft.

Dass dieses Buch als Roman bezeichnet wird, beweist wieder einmal: Der Roman ist die literarische Form mit der größten Gestaltungsvielfalt. Das läßt all jene dumm dastehen, die sagen, sie lehnten die Lektüre von Romanen als bloße Zeitverschwendung ab und zögen Sachbücher vor. Wer Eric-Emmanuel Schmitts kleinen Ego-Roman einfach ablehnt, ist selbst schuld, wenn sein Leben leer bleibt.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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