Emma

(Emma, GB/USA 1996, 116 Minuten, Drehbuch und Regie: Douglas McGrath nach dem Roman „Emma“ von Jane Austen)

Wenn ein Roman von 1816 im Jahre 1996 verfilmt wird, dann bekommen die Zuschauer einen Gemütscocktail vorgesetzt, der aus zwei 180 Jahre voneinander entfernten Geschmacksrichtungen zusammengemixt ist. Dass dabei die neueren Ingredienzien beherrschend sind, darf nicht verwundern. Sie sind nicht nur frischer, ausschlaggebend ist vielmehr: Die Filmleute arbeiten für Leute von heute.

Die Engländerin Jane Austen (1775 – 1817) ist heute nicht nur im Filmgeschäft als Vorarbeiterin für Drehbuchschreiber beliebt, ihr Roman „Emma“ wurde mehrfach verfilmt und zu Fernsehserien verarbeitet. Daneben ist sie auch immer noch auf dem Buchmarkt erfolgreich. Was erstaunlich ist. Muss man sich doch fragen, was ihre Analyse zwischenmenschlicher Beziehungen im Abseits des britischen Großbürgertums und Landadels des frühen 19. Jahrhunderts den Leserinnen und Lesern von heute zu bieten hat. Obwohl man zugeben muss, dass wir auch heute noch mit Schwierigkeiten der sozialen Schichtung konfrontiert sind. Was damals der unterschiedliche Aufwand an Satin war, das ist heute der Unterschied in Auto-Edelmarken und PS. Der Geburtsadel ist weitgehend vom Geldadel abgelöst worden, doch weil die Regenbogenpresse sich heute kräftig darum bemüht, uns sogar wieder den alten Adel selbstverständlich werden zu lassen, ist der Boden für den nachhaltigen Erfolg Jane Austens bereitet.

In dem Roman „Emma“ hat die Autorin eine Figur gezeichnet, die wegen ihrer inneren Widersprüchlichkeit faszinieren kann. Die junge Emma Woodhouse aus gutem Hause lebt in der Vorstellung, genau zu wissen, was für die jungen Frauen ihrer Umgebung das Beste wäre. Natürlich eine Heirat, und zwar mit dem Mann, den Emma für den richtigen hält. In naiver Hilfsbereitschaft versucht die Einundzwanzigjährige, junge Menschen im Bund fürs Leben zu vereinen. Eine gutmeinende, aber beinahe noch spätpubertäre Kupplerin. Ein interessantes Gegenbild zu dem in der Kunst oft genug dargestellten Typ der erfahrenen und durchtriebenen alten Kupplerin. Natürlich funktionieren die Verbindungen nicht, die Emma herzustellen bemüht ist, weil sie nicht dahinter zu schauen vermag, was die jungen Frauen und jungen Männer voneinander halten und unausgesprochen lassen. Was der mädchenhaften Emma noch an Reife fehlt, wächst ihr erst allmählich zu und zeigt sie erst am Ende des Romans und Films als erwachsene Frau. Erfolgreiche Reifung durch Irrtum und schmerzliche Erfahrung sowie Selbstkorrektur ist die Botschaft, die mit dieser Figur vermittelt wird. Immerhin eine Ausnahmefigur bei Jane Austen, weil sie reich ist und keine gute Partie anstrebt, wie sonst in den Romanen der Autorin üblich.

Den Durchblick bei dem zwischenmenschlichen Beziehungsdurcheinander – wer hält wen für über oder unter sich stehend? – hat von Anfang an allein ein Freund der Familie, nämlich der junge John Knightly. In seinen überlegen realistischen Kommentaren zu Emmas gut gemeinten, aber dummen Kontaktspielchen ist er offensichtlich das Sprachrohr der Autorin, die sich damit über ihr Milieu und ihre Zeit hinaushebt. In seinen Worten zeigt sich eine Modernität der Autorin, die erstaunlich ist und erklärt, wieso sie immer noch gern gelesen wird. Sie war ihrer Zeit voraus.

Wenn man die Namen der Hauptpersonen genauer betrachtet, kann man die Autorin als eine überlegene Kritikerin ihrer Gesellschaft und als Moralistin mit erhobenem Zeigefinger erkennen. Klingt doch der Familienname der Emma Woodhouse stark nach Hinterwäldlerin, während der Name John Knightly das alte Ideal der Ritterlichkeit feiert. Er ist der klassische weiße Ritter, der als Retter naht.

Sehr kurz kommen im Film die Gegenwelten zu der gehobenen Gesellschaftsschicht weg, in der die Zuschauer sich wohlfühlen sollen. Das Zigeunerlager und die Hütte der armen Leute können den Wohlstandsgenuss nicht stören, sind nur die kleinen Prisen Salz im süßen Kuchen.

Jane Austens Romane gelten als Beispiele für die Geburt des modernen Romans. Einmal wegen der intensiven Psychologisiererei. Die gerade erst entstehende neue Wissenschaft vom Menschen, die in Dostojewski ihren Höhepunkt fand, für manche Leserschichten eher in Courts-Mahler, haben wir auch literarisch bis heute nicht überwunden. Zum anderen war Jane Austen zu ihrer Zeit höchst modern, weil sie die geschilderte Handlung weitgehend durch Dialoge ersetzte und jede Figur durch ihre andersartige Äußerung zeichnete. Was bis dahin die Domäne des Theaters war, kam so zwischen die Buchdeckel und brachte de modernen Roman auf den Weg.

Doch kann Jane Austen mit ihrer Emma nicht ganz den Anforderungen genügen, die heute an einen Roman gestellt werden, der Bestseller werden soll. Zwar ist die Protagonistin eine junge Frau, was angeblich sein muss, aber diese junge Heldin bleibt nicht unbeschädigt, was ein so verheerender Fehler ist, dass Literaturagenten sowie Verleger das Manuskript ablehnen müssten. Denn wie Emma sich gegenüber einer armen Frau, die zuviel redet, zu öffentlicher Kritik hinreißen lässt, das verrät einen Charakterfehler, der die Identifikation der Leserinnen mit der Hauptfigur behindert.

Dass am Ende der Mann, der schonungslos die aufgeklärte kritische Vernunft vertritt, diese durch einen Charakterfehler beschädigte Emma heiratet, lässt die Verbindung problematisch erscheinen. Bestätigt dieser Schluss doch wieder einmal die alte Erkenntnis, dass der eigentlich interessante Film erst anfängt, nachdem abgeblendet wurde.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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