Eine Liebe von Swann

(Un Amour de Swann, Eine Liebe von Swann, FR/BRD 1984, 105 Min., Drehbuch: Volker Schlöndorff u. a., Regie: Volker Schlöndorff, nach „Du côté de chez Swann“, dt. „In Swanns Welt“, dem ersten Teil des Romans „A la recherche du temps perdu“, dt. „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, von Marcel Proust)

Dieser Film, den man mit Fug und Recht nennen könnte: „Schlöndorffs neue Kleider“ schwelgt in buntschäumender Seide und majestätischem Damast, in Schnürleibchen und Spitzenwerk, in das der Filmemacher das Ende des 19. Jahrhunderts einpackt. Die bemüht vornehme Salon-Konversation der Feingemachten, die manchmal ordinär abgleitet, überspielt er mit viel Harfengetön und Klavierlärm und Pferdegetrappel. Das läßt einen glücklich sein, wenn man mal einen ganzen Satz versteht, wie den: „Diese Krankheit, die meine Liebe ist, ist inoperabel.“ Gesprochen von dem Hauptdarsteller Swann, einem zwar noch nicht alten, aber schwerkranken reichen Dandy, der sich in eine wunderschöne Kokotte namens Odette verliebt hat.

Da hört man, wie von einem Mann berichtet wird, der seine Geliebte umgebracht hat. Warum? Nun, weil ihm das die einzige Möglichkeit zu sein schien, sich von seiner Liebe zu heilen. Und das Salongeplätscher wird plötzlich für den Zuschauer aufregend, weil er um das Leben der kessen Kokotte fürchten muß. Ist sie doch das Schönste am ganzen Film. Mit Ornella Muti die optimale Besetzung, weil diese Frau mit dem ständig zwischen Dame und Dienstmädchen changierenden Engelsgesicht sich wohltuend von den Schabracken und Scharteken rundum abhebt.

Schon mutig, einen Teil des Romanwerks filmisch umsetzen zu wollen, das Marcel Proust (1871-1922) in unermüdlicher Klausnerarbeit geschrieben hat. Der Autor hat mit dem umfangreichen Werk, das er weitgehend im Bett verfaßt hat, in einem abgedunkelten und mit Kork schallisolierten Pariser Zimmer, abgeschirmt von seiner Umwelt, gegen seine schwere Asthmakrankheit angekämpft. Aber nicht in der heute Mode gewordenen Art als simple Therapiebemühung, sondern um die große Apologie des Bewußtseins zu feiern. Proust hat die Überlegenheit des Geistes über den Körper vorgeführt, indem er die Erinnerung zu seiner Lieblingsfrau gemacht und mit den Ebenen Damals und Heute so virtuos gespielt hat, daß daraus ein Welterfolg, ja, eine ganz neue Literaturrichtung entstanden ist. Dabei hat er, wie Schiller und Goethe und viele andere, das erste Buch seines grandiosen Werks noch auf eigene Kosten veröffentlichen müssen, weil er wie sie die frustrierende Erfahrung machen mußte: Die Verleger springen meist erst auf einen fahrenden Zug auf.

Wer sich von diesem Film dazu verführen läßt, einmal das Buch aufzuschlagen, bekommt viel mehr als er für die Kinokarte bezahlt hat. Weil der Autor mit einer verblüffenden Phantasie und Menschenkenntnis seine Gesellschaft in der Zeit des Umbruchs vom 19. ins 20. Jahrhundert beschreibt. Und das in einer viel ausführlicheren und bildkräftigeren Art als das der Film kann. Allerdings setzt das voraus, daß man zu denen gehört, die noch lesen können und sich mit Muße und Geduld einem solchen Kunstwerk nähern. Denn die Proustschen Langsätze steigen als ein so gigantisches Feuerwerk perfekt lateinischer Satzkonstruktion vor einem auf, daß es eine Lust ist. Da kann einem die Zeitung, die man ja meist in der Hand hat, nur noch dazu dienen, die Haare vor der herabrieselnden Asche zu schützen.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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