Ein Blinzeln in Bella Italia (2007)

Gleich unterhalb dieser prächtigen Römerwade Italiens, in Pescara, gelandet. Das Meer nur kurz vom Flieger aus gesehen. Opulent gegessen und getrunken und dann mit dem Wagen in ein Dorf weit hinter der Küste gebracht worden. Das Ortsschild nicht gesehen, weil es schon dunkel war. Hauptsache: am Ziel. Überm Rotwein und Reden zum Freund geworden und freundschaftlich in eine fremde Wohnung aufgenommen, um in einen tiefen Schlaf zu fallen.

Doch die grelle Helle im Osten hat mich schon früh geweckt und auf den Balkon gelockt. Da ahne ich beim verkniffenen Blick in die aufgehende Sonne die Adria in der Ferne, sehe aber bloß ein Stück leere Straße mit untätigen Peitschenlaternen zwischen einzelnen schlaftrunkenen Häusern mit Ziergebüsch vor mir, wie eine Kostprobe von dem Ort, dessen Namen ich immer noch nicht weiß. Sonnennest nenne ich einfach, was sich mir da eingeklemmt zwischen See und Bergen zeigt. Wie an den schrägen Sonnenstrahlen aufgehängt, von denen der leichte Windhauch es nicht abzuschütteln vermag, mir aber vor die Füße gerutscht, weil die gleißenden Fäden viel zu glatt sind. Irritiert wende ich den Blick ab und in die Höhe, finde aber auch dort keinen Halt an den weißen Leinen, die von frühen Fliegern am Himmel aufgespannt werden. Ich muss raus, muss ums Haus laufen, um mich wiederzufinden in Bella Italia. Und dann rauf in die Abruzzen!

Auf halbem Weg in die Berge eine Stadt. Dieses Menschen-, Häuser- und Autogequirle, das sich heute gern den Adelstitel zulegt: Regionalzentrum und damit meint: die Einkaufsstadt. Ihre Bedeutung wird deutlich an den Parkplatzschwierigkeiten und an den vielen Banken. Die haben den ebenfalls schon zahlreichen Kirchen den Rang abgelaufen, sehen auch ganz anders aus. Während die Kirchen immer noch spitzfingrig in den Himmel ausgreifen, den sie doch nie erreichen, sitzen die Banken breitärschig auf ihren unterirdischen Tresoren und verraten nicht, was sie gehortet haben. Geschäfte und das Allerlei an Wohnungen in geschlossenen Häuserzeilen mit hohen Fassaden, die einen längst vergangenen Wohlstand nur noch ahnen lassen, weil sie inzwischen mehr Patina als Farbe zeigen.

Abruzzen

Auf der Fahrt weiter hinauf in die Abruzzen erfahre ich: Das Haus schräg gegenüber, das ich vom Balkon aus gesehen habe, dieses stumme Grautier, nach frischem Putz hungernd und mit kaputten Fensterläden, die immer geschlossen sind, gehört dem Lottokönig des Ortes. Der Mann, der plötzlich war, was er nie erwartet hatte, wenn auch immer erhofft, nämlich Millionär, er hatte den ganzen Ort eingeladen, mit ihm zu feiern. Sein Haus hatte jedes Wochenende gestrahlt und von lärmenden Festen gebebt. Bis das Geld weg war. Seitdem schlurft der Alte mit seiner Harmonika überall an, wo Leute zusammensitzen. Da spielt und singt er, so laut er kann und so falsch, wie nicht zu vermeiden ist, und man kann nicht umhin, ihm ein kleines Trinkgeld zu geben.

Die Abruzzen sind grün, grün, überall grün. Auch noch im Herbst. Nur selten zeigen sie ihren nackten Fels. So schamhaft sind sie. Viel lieber spiegeln sie einem goldene Felder vor. Dass man sich fragen muss: Was ist das? Und erst aus der Nähe erkennt: Das wundervoll goldene Tuch ist ein Wingert, richtiger gesagt: sein Abdeckung. Denn in den Weinfeldern der Abruzzen wachsen die Reben nicht wie bei uns an waagerecht gespannten Drähten in die Breite, sondern nur in die Höhe. Jeder Weinstock ist ein Bäumchen, mit dünnem, kahlem Stamm und einer sich rund ausbreitenden, flachen Krone. So stehen sie in Reih und Glied beieinander. Deshalb guckt man von der über die Hügel führenden Straße auf ein geschlossenes Blätterdach. Die Winzer arbeiten unter dieser Abdeckung vor der südlichen Sonne geschützt, und wenn sie typische Italiener sind, brauchen sie sich nicht einmal zu bücken.

Abruzzen

Wir wollen in den Bergdörfern Trüffel kaufen. Doch wo wir auch fragen, es gibt in diesem Herbst so gut wie keine. Der Sommer war zu heiß und viel zu trocken. Das hat die Trüffelernte zu einem einzigen Fiasko gemacht. Die wenigen Pilze, die man gefunden hat, sollen über viertausend Euro das Kilo kosten. Das macht selbst den Feinschmecker zum Ignoranten: Nein, danke, ich mag gar keine Trüffel. Ob das der Grund dafür ist, dass uns die Hunde so wild anbellen, als wir einen kleinen Rundgang durch ein Pilzbergdorf machen? Vermutlich sind sie nur noch mehr frustriert als wir. Weil sie ihre bewährten Trüffelnasen diesmal vergebens an den Boden gehalten haben. So gut wie nichts erschnuppert. Weshalb sie jetzt das Gefühl haben müssen, nur noch das Gnadenbrot zu fressen – bis zur neuen Trüffelsuche im nächsten Frühherbst.

Abruzzen

Auf dem Rückweg nahe der Straße auf einmal eine Burg, von Zinnen gekrönt und mit Turm wie im Märchen. In einer weiten Talfläche. Was so imponierend hier in der Ebene sitzt, muss eine moderne Burg sein. Ist es doch ein Unterschied, ob man sich in seiner Burg vor Feinden schützt, deshalb am besten auf uneinnehmbarem Felssporn, oder ob man Reisende anlocken will, um die Luxuszimmer und den prächtigen Speisesaal zu füllen, deshalb möglichst in Sichtweite neben einer Durchgangsstraße. Wir fallen in das Burghotel ein, um das Konzept der Erbauer zu bestätigen und um neben all den anderen Bedürfnissen wieder einmal von Herzen Ah und Oh sagen zu können. Gemäuer mit künstlicher Patina ist halt doch angenehmer als das Gemäuer, das nur noch von echter Patina zusammengehalten wird.

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