Die Reise nach Palermo

(Il Viaggio, I/F 1973,  97 Min., Drehbuch und Regie: Vittorio De Sica nach Motiven einer Erzählung von Luigi Pirandello)

Ein vom Produzenten Carlo Ponti seiner Ehefrau Sophia Loren auf den Leib geschriebener und in das ausdrucksstarke Gesicht gedrehter Film, der sich mit dem Bezug auf eine Story des Sizilianers Luigi Pirandello (1867-1936), der 1934 den Literaturnobelpreis erhielt, sogar noch einen literarischen Anstrich gibt. Es geht um die Allerwelts-Gefühlsduselei namens Liebe, im uralten Dreieck vorgeführt. Liebe, die zunächst verhindert wird und dann zu spät ihr Ziel erreicht. Und das alles nur, weil der Problemknoten, der geknüpft wurde, so unsinnig wie unbegründet war.

Auf Sizilien bittet ein Mann namens Cesare um die Hand von Adriana, jedoch nicht für sich, sondern für seinen Bruder Antonio. Das hat der Vater der beiden Brüder in seinem Testament so verlangt. Die Frau fügt sich diesem Heiratsantrag nur widerwillig, weil sie lieber den Bittsteller selbst zum Mann hätte als den Bruder, den sie heiraten soll. Denn dieser Bittsteller ist ein verständiger, einfühlsamer Mann. Er ist bemüht, seine eigenen starken Gefühle für Adriana zu unterdrücken, und hält sich deswegen meistens weit von seiner Schwägerin entfernt in Mailand auf.

Erst als sein Bruder Antonio gestorben ist, zeigt Cesare der Schwägerin Adriana seine Gefühle für sie. Das bringt ihn und die Frau bei der bigotten Umgebung ins Gerede, hält sie aber nicht davon ab, sich ihrer Liebe hinzugeben. Adriana ist allerdings in den langen Jahren ihrer ungewollten Ehe unheilbar erkrankt. Daher wird die Liebe zu dem so lange ersehnten Mann Cesare der Höhepunkt und zugleich das Ende ihres Lebens.

Der Film bringt einige Anspielungen auf bedrohliche Ereignisse in Italien unmittelbar vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, wird damit aber noch lange nicht zu einem Historienbild. Die paar Ansätze zu echter Problematik – indirekter Mord mittels eines Geschenks und Sex triumphiert über Mutterliebe oder auch Liebe in Zeiten des Kriegsausbruchs –  werden nicht aufgegriffen, weshalb die Zuschauer auch nicht ergriffen werden.

Ein Melodram im trügerischen Licht Siziliens. Es gilt als das Vermächtnis des großen Regisseurs Vittorio de Sica, der ein Jahr nach der Fertigstellung dieses Films starb. Ein Filmkunstwerk von der Inszenierung und Schauspielerführung her. Ist es doch eine Binsenweisheit, dass gerade die Gestaltung des Banalen und des Alltäglichen die höchste Kunstfertigkeit voraussetzt. Daneben ist bei diesem Streifen positiv zu bewerten, wie der Regisseur in einer Liebesgeschichte mit souveräner Selbstverständlichkeit, aber auch Behutsamkeit die Liebe zwischen längst nicht mehr jungen Menschen darstellt. Womit er sich gegen den aufkommenden Jugendlichkeitswahn wendet, der nur noch jungen und jüngsten Menschen ein Liebeserlebnis erlaubt. Gleichzeitig stellt er sich damit gegen die verknöcherten Moralvorstellungen der sizilianischen Gesellschaft vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Ein Alterswerk als progressiver Akt.

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