Die Liebe in den Zeiten der Cholera

(Love in the Time of Cholera, USA 2007, 133 Minuten, Regie: Mike Newell, Drehbuch: Ronald Harwood nach dem gleichnamigen Roman von Gabriel García Márquez)

Es gibt Bücher, die schon aufgrund ihrer Korpulenz eine Verfilmung unvermeidlich erscheinen lassen. Zu diesen Büchern gehört zweifellos der 1985 erschienene Roman des 1928 in Kolumbien geborenen Nobelpreisträgers Gabriel García Márquez. Ein Buch von so ausführlicher Darstellungsweise, dass den Lesern keine der atemberaubenden Besonderheiten des Milieus, keine atmosphärische Veränderung und keine seelische Regung der Protagonisten vorenthalten bleibt. Ein Buch, das gleichzeitig ein historischer Roman Kolumbiens ist, weil es die von kriegerischen Unruhen und Cholera-Epidemie überschatteten Zeiten von 1879 bis 1930 illustriert. Bücher dieser Art sind Genüsse für Freunde meisterlicher Sprachgestaltung oder Erlebnis-Substitute für Menschen, deren Leben so gleichförmig und erlebnisarm verläuft, dass sie glücklich damit sind, sich von einem umfangreichen Romangeschehen total vereinnahmen zu lassen.

Wem für derartiges Erleben die erforderliche Zeit oder Geduld fehlt, weshalb er ins Kino geht, um das Buch instant zu genießen, dem wird eine Love-Story serviert, die von Anfang bis Ende die Intensität einer Telenovela hat und doch unglaubhaft bleibt. Der unbedarfte junge Telegrammbote Florentino sieht das Mädchen Fermina aus reichem Hause. Ohne sie überhaupt zu kennen, bildet er sich ein, unsterblich in sie verliebt zu sein. Er schreibt ihr schwülstige Liebesbriefe und bekommt sogar Antwort. Das Mädchen, so unbedarft wie er, findet Gefallen an dieser Art der Liebe. Doch hat der Vater anderes mit ihr vor. Er bedroht den Jungen und schickt das Mädchen aufs Land. Nach der Zeit der Trennung will das Mädchen plötzlich nichts mehr von dem Jungen wissen. Es war nur eine Illusion, die uns den Blick getrübt hat, resümiert sie. Er aber schwört ihr ewige Treue. Das Mädchen heiratet einen prominenten Arzt. Der Junge macht Karriere und sehr ausgiebig seine Erfahrungen mit anderen Frauen. Ein halbes Jahrhundert nach der ersten Begegnung stehen die beiden sich wieder gegenüber. Gerade ist der Arzt gestorben. Er ist noch nicht beerdigt, da erklärt der alte Florentino der alten Fermina, dass er 51 Jahre, neun Monate und vier Tage auf diesen Augenblick gewartet habe. Dieses Geständnis und den erneuten Heiratsantrag zur falschen Zeit weist Fermina zunächst entrüstet zurück. Doch zeigt sich bald, dass auch sie noch etwas für den Jugendfreund übrig hat. Er gesteht ihr seine 622 Eskapaden mit anderen Frauen und vertraut darauf, dass sie ihm glaubt, er sei ihr trotzdem im Herzen treu geblieben. Seine Erklärung für seine Erfolge bei den Frauen ist: Sie sehen in mir einen Einsamen, der Liebe braucht. Sie hat jedoch den Eindruck: Florentino ist kein Mensch, er ist nur ein Schatten. Deshalb flieht sie zu ihrer Cousine. Doch er lässt nicht locker. „Das Wesen des Menschen ist, dem Alter Widerstand zu bieten“, sagt er, um sie von seiner Liebe zu überzeugen. Also kommt, was kommen muss: Die beiden Alten finden zusammen, natürlich in der Präsidentensuite eines Flussdampfers, der Florentinos Schiffahrtsgesellschaft gehört. Und wie sie zusammen kommen, die beiden über 70Jährigen: splitternackt und in Missionarsstellung.

Der Film wurde als die schönste Liebesgeschichte der Welt bejubelt. Für einfach strukturierte Konsumenten mag das stimmen. Der gewaltige Zeitraum von gut 51 Jahren zwischen Trennung und Wiederbegegnung der Liebenden ist erstaunlich und damit tränenrührend genug. Dazu kommt, dass der Film die Liebe als Rammelei in allen üblichen Stellungen vorführt, wenn auch dezent gefilmt. Und er scheint eine Widerlegung des so ärgerlichen Prinzips zu sein: Aus den Augen, aus dem Sinn. Wenn man den Film so hinnimmt, ist er eine sentimental auf die spitze getriebene Liebesgeschichte, in der der Mann eine komische Figur ist und die Frau eine scheinbar welterfahrene Dame.

Der tumbe Jüngling hatte schon nach dem zweiten Erfolg bei einer Frau mit seinen Leporello-Aufzeichnungen begonnen, und er renommiert recht plump mit seinen Erfolgen bei den Frauen. Dennoch gibt die leidgeprüfte Witwe sich dem inzwischen reich und bedeutend gewordenen Verehrer hin. So gesehen ist der Film reiner Kitsch. Das erklärt seinen Erfolg an den Kinokassen.

Das Hohe Lied auf die Liebe ist dieser Film ganz sicher nicht. Dafür ist die Liebe zwischen den beiden Protagonisten zu wenig glaubhaft. Was ist schon Liebe, wenn man sich überhaupt nicht kennt? Was ist das, wenn man in kindlicher Schwärmerei ein paar Liebesbriefe ausgetauscht hat? Nur Dummheit. Zwar verständlich und verzeihlich, aber nicht ernst zu nehmen.

Gabriel García Márquez hat mit seinem Bestseller den Balanceakt geschafft, schlichten Gemütern eine Love-Story zu bieten und doch gleichzeitig vor den Kritikern sein Gesicht als ernsthafter Autor zu wahren, indem er die vorgeführte Liebe als Farce entlarvt. Sein Buch ist nicht ein Hymnus auf die absolute Liebe, sondern ihre Relativierung. „Nichts ist schwieriger als die Liebe“, sagt die gealterte Fermina. Zu dieser Relativierung der Liebe gehört auch der aktuell düstere Hintergrund: die Cholera. Wie schon in den Geschichten, die sich die Pestflüchtlinge im „Decamerone“ des Giovanni Boccaccio erzählen, ist es die unmittelbare Todesdrohung, die der Liebe eine neue Dimension gibt. Die Liebe wird zum bloßen Geschlechtsakt, der Trotz und Flucht zugleich ist.

Der Film hat dieses Balance-Kunststück nicht geschafft. Er ist platt bei der Schnulze geblieben. Immerhin gute Unterhaltung. Doch weitergehenden Ansprüchen kann er leider nicht genügen.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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