Die Flügel der Taube

(The Wings of the Dove, GB/USA 1997, 95 Min., Regie: Lain Softley)

Die Verlegenheit, die sich in dem unsinnigen Titel zeigt, ist charakteristisch für den Film. Wie auch für das gleichnamige Buch von Henry James (1843-1916), das die Vorlage war. Und diese Verlegenheit ist nur zu verständlich. Geht es in dem Roman doch um die verschiedenen Formen der Liebe, die alle festgelegt sind auf den immer gleich klingenden hilflos-dämlichen Ausspruch, der doch immer anderes meint: Ich liebe dich.

Für einen Autor natürlich ein großes Thema., ja, eine Herausforderung. Leider kann man nicht behaupten, daß Henry James diese Herausforderung gemeistert habe. So viel er auch nebeneinanderstellt, die elterliche Liebe und die weiter entfernt verwandtschaftliche, die Kindesliebe und die brünstige Liebe, daneben noch die freundschaftliche, die eifersüchtige und die mitleidige Liebe, er schafft es nicht, das Ich-Will-Haben, das stets hinter dem Ich-Liebe-Dich steht, zu erklären. Da kann der begeisterte Adept der Psychologie sich noch so sehr um Relativierung und Differenzierung bemühen. Dem Problem kann er auch nicht beikommen mit dem Rückgriff auf die klassischen Begriffe Agape und Eros und Caritas, die ja nur Prototypen umreißen, nicht aber das Changieren und die Mischformen der Liebe.

Der Film mit seinen Möglichkeiten, gefühlsmäßig verständlich zu machen, was unaussprechlich ist,  und die peinliche Sprachlosigkeit der Liebe mit Körpersprachlichem zu interpretieren, schien eine Möglichkeit, die Aufgabe zu lösen, die Henry James sich gestellt hatte. Doch ist dieser Film der Verlockung zur opulenten Ausstattung und zum touristisch umherschweifenden Blick erlegen. So ist bloß ein schöner Film entstanden, dessen Inhalt hier kurz skizziert werden soll:

Im Jahre 1910 läßt die hübsche Kate, Tochter eines heruntergekommenen Londoners, sich von ihrer schwerreichen Tante in die sogenannte feine Gesellschaft einführen. Die Tante will sie zu ihrer Universalerbin machen, will ihr aber auch einen verarmten Lord als Ehemann aufdrängen. Da Kate sich jedoch in den mittellosen Journalisten Merton verliebt hat, sucht sie einen Weg, Geld und Liebe zu vereinen. Der scheint sich zu öffnen, als die schwerreiche amerikanische Erbin Milly ihre Freundin wird und sie erfährt, daß Milly so schwer krank ist, daß sie bald sterben wird. Sie versucht, ihren Liebhaber Merton auf einer Reise nach Venedig mit ihrer Freundin Milly zu verkuppeln, um ihn zu einem reichen Mann zu machen. Kate zerbricht beinahe an der sich selbst auferlegten Doppelrolle als weitsichtige Geliebte und eifersüchtige Freundin. Ihre Strategie scheint erfolgreich zu werden, als Milly stirbt und Merton ein großes Vermächtnis macht. Doch erkennt Merton, mit welch kalter Berechnung seine geliebte Kate vorgegangen ist. Er verzichtet auf sie und lebt lieber in der Erinnerung an die engelhaft rein geschilderte Milly.

Die Universalerbin, Henry James’ Lieblingsthema, das in mehreren seiner Romane aufscheint,  in Verbindung mit der Verklärung einer absolut reinen Frau, hinter der sich seine früh verstorbene schöne Cousine zeigt, das waren zwei Hypotheken, mit denen der Regisseur sich belastet sah. Er hat sich nicht von ihnen befreien können. Dazu hat er alles Menschliche unter allzu üppigen Kostümen und Dekorationen und in den prächtigsten Kulissen klein werden lassen, was leider nichts anderes war als ein Ausweichen vor der zentralen Frage: Was ist das eigentlich, die Liebe?

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