Die Clique

(The Group, USA 1966, 145 Min., Buch: Sidney Buchman, Regie: Sidney Lumet)

Zwei Hände voll hübscher junger Amerikanerinnen, exakt neun, die im Jahre 1933 am Vassar College, dem vornehmsten Mädchencollege der Vereinigten Staaten, ihren Schulabschluß feiern. Wie in den USA üblich, sind ihre Köpfchen übertrieben geschmückt mit den schwarzen Kappen, die den europäischen Doktorhüten nachempfunden sind. Gefeiert wird mit großen Sprüchen vom Aufbruch ins Leben und vom Einsatz für das, was bei uns zur selben Zeit hieß: Führer, Volk und Vaterland. Was amerikanisch ganz ähnlich klang, nur daß man sich beim Führer nicht so einig war, ob der demokratisch oder republikanisch sein sollte. Oder sogar marxistisch? Wie üblich, will diese aus der gemeinsamen Wohnsituation im Südturm ihres Colleges entstandene Clique der Vassar Girls alles ganz anders und viel besser machen als ihre Mütter. Nicht diese lächerliche Abhängigkeit von irgendeinem belanglosen Moneymaker, heißt die Devise.

Vorgeführt wird, wie die Zusammengehörigkeit der Mädchen, die ihnen so wichtig wie selbstverständlich ist, im Laufe von nur sieben Jahren zerbricht. Und das, obwohl eine von ihnen in einem schriftlichen Report über jede ihr bekanntgewordene Neuigkeit aus der Clique berichtet und sie alle die Telefonstrippe so eifrig benutzen, als wäre sie die Nabelschnur, an der sie hängen. Die Abnabelung müssen sie doch erleiden, herbeigeführt durch persönliche Schicksalsschläge, durch unterschiedliche politische Auffassungen, durch das Dazwischentreten von Partnern, durch zu große  räumliche Distanz, durch die modisch gewordene und verheerende Abhängigkeit von Psychiatern und nicht zuletzt durch die persönlichen Schwachstellen Neid, Mißgunst und Eifersucht. Obwohl Weltwirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erwähnt werden, bleiben diese geschichtlichen Ereignisse bloße Hintergrunddekoration. Es geht um Allgemein-Menschliches.

Der Film bietet eine Musterkollektion an jungen Frauen, die so schön sind, daß man sie kaum unterscheiden kann. Auch die nichtssagenden abgekürzten Namen helfen da nicht weiter. Und daß sie zuviel durcheinander reden, macht die Verwirrung komplett. Was wohl als Absicht hingenommen werden muß, als Versuch, den Begriff Clique filmisch zu definieren.

Und damit sind wir beim Thema. Die amerikanische Schriftstellerin Mary McCarthy (1912-1989) hat 1963 den zeitkritischen und teilweise autobiographischen Gesellschaftsroman “The Group” veröffentlicht, nach dem dieser Film gedreht wurde. Schon der Titel verrät, daß es sich um eine soziologisch orientierte Darstellung handelt. Anders als der im Deutschen immer etwas abwertende Begriff Clique ist das Wort Gruppe ein neutraler Begriff und sogar einer der Grundbegriffe der Gesellschaftswissenschaften. Die Klassenkameradinnen stellen eine Zufallsgruppe dar, genau wie die Mitglieder einer Familie oder die Kollegen am Arbeitsplatz. Zur Charakteristik einer Zufallsgruppe aber gehört, daß sie eine Augenblickssituation repräsentiert. Und dem Augenblick kann man auch mit noch soviel Treueschwüren nicht Dauer verleihen. Außerdem ist jede Gruppe zugleich eine Konkurrenzgemeinschaft von Einzel-Ichs, was sie eine Tendenz zur Selbstzerstörung entwickeln läßt.

Damit entpuppt sich die Romanvorlage dieses Films als eine abgrundtief pessimistische Deutung unserer Situation. Gruppen sind nur Scheinkorsetts. Denn Gruppen lösen sich auf. Gezeigt wird, daß weder die Familie noch die Klassenkameradschaft auf Dauer Halt geben kann, auch nicht die Kollegenschaft oder die Nachbarschaft, erst recht nicht die Modegruppe Psychiater/Patient und nicht einmal die neue Kleinstgruppe Partnerschaft. Zurückgeworfen auf unser kleines Ich werden die Gruppen, denen wir angehört haben, zu sentimentalen Erinnerungen, schrecklich und schön. So bleibt einem als letzte Frage von Bedeutung, wieviel man aus seinem Ich gemacht hat. Daß in diesem Roman und Film bei dieser letzten entscheidenden Frage gerade die Frau am besten wegkommt, die als einzige aus kleinen Verhältnissen kam und weiblich natürlich blieb und sich auch mit kleinen Verhältnissen zufrieden gab, während die emanzipatorischen Bemühungen der “höheren Töchter” danebengehen, ist eine Deutung, die Mary McCarthy als große Zynikerin entlarvt. Widerlegt sie selbst doch diese These vom Wert der guten alten Bescheidenheit durch ihre so ehrgeizige wie erfolgreiche Arbeit als Bestsellerautorin.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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