(Die Blechtrommel, D/F 1979, 140 Minuten, ursprüngliche Fassung 144 Minuten, Drehbuch: Jean-Claude Carrière, Volker Schlöndorff , Franz Seitz und Günter Grass, nach dem gleichnamigen Roman von Günter Grass, Regie: Volker Schlöndorff)
Ein großer Spielfilm, der mit einem dünnen Kinderstimmchen nicht nur beginnt, das Stimmchen trägt durch die gesamte Handlung und zwingt zum angestrengten Lauschen. Da kommt einem in Erinnerung, daß es Literaturkritiker gibt, die eine Erzählung aus dem Blickwinkel eines Kindes oder eines Idioten generell als indiskutabel ablehnen, weil dahinter kein reifes Bewußtsein steht. Günter Grass hat sich in seinem 1959 erschienenen Roman „Die Blechtrommel“ über dieses Verdikt hinweggesetzt. Und das aus gutem Grund. Es ging darum, Kindheitserinnerungen aus seiner Heimatstadt Danzig-Langfuhr zu erzählen. Und mit dem Dilemma konfrontiert, mit dem sich alle Autobiographen beschäftigen müssen – aus dem Bewußtsein ex nunc oder ex tunc darstellen? –, hat er sich für die kindliche Sehweise entschieden, um die vergangene Zeit wiederauferstehen zu lassen.
Für eine beinahe noch kindliche Sehweise, denn der Erzähler ist mittlerweile schon ein Erwachsener, der den Roman seines Lebens in einer Heil- und Pflegeanstalt schreibt. Diese Rahmenhandlung spart der Film sich. Wie er leider auch fast alles wegläßt, was an köstlich umständlicher und betont naiver Plauderei Oskars, des Blechtrommlers, den Hauptreiz des Buches ausmacht. Der Autor hat das kindliche Bewußtsein als seinen Freibrief für die kuriosesten Formulierungen genommen, und in deren Erfindung war er unerschöpflich. Der Leser hat permanent ein Lächeln in den zeilenfressenden Augen, und selbst Kritiker vergessen vor lauter Vergnügen am schön verdrehten Ausdruck das Dilemma von ex nunc und ex tunc.
Zurück zum Film. Er beginnt auf einem Kartoffelacker mit der kaschubischen Bäuerin Anna, die einen Brandstifter unter ihren Röcken vor seinen Verfolgern rettet, was ihr einen Ehemann und eine Tochter einbringt. Der dreijährige Enkel Oskar Matzerath fällt von der Kellertreppe und wächst seitdem nicht mehr, will auch gar nicht mehr wachsen. Ihm genügen seine Blechtrommel und die Macht, die er mit seinem Schreien ausübt. Denn mit der Trommel nervt er und mit seinen schrillen Schreien läßt er Glas zerspringen. Es beginnt der Zweite Weltkrieg. Ein polnischer Liebhaber, möglicherweise sogar der Vater von Oskar, hat die mit dem Kolonialwarenhändler Matzerath verheiratete Mutter des kleinen Oskar geschwängert. Sie stirbt. Die Danziger Polen werden füsiliert. Das Oskarchen lernt bei dem Hausmädchen Maria die Liebe kennen, wird Vater und dann sogar zur Truppenbetreuung eingezogen. Bei der Eroberung Danzigs durch die Russen wird Oskars Vater erschossen. Mit seiner Frau Maria und seinem Söhnchen Kurt wird das Oskarchen in einen Güterwaggon verfrachtet und nach Westen abgeschoben. Übrig bleibt die kaschubische Groß- und Urgroßmutter Anna, die ihr Resümee zieht: „De Kaschuben, die missen immer dableiben und Koppchen hinhalten, damit de anderen drauftäppern können, weil unsereins nich richtich polnisch is und nich richtich deitsch jenug. Und die müssen immer alles jenau haben.“
Was zunächst schnell und spannend serviert wird, bekommt allmählich Längen. Offensichtlich gingen die verrückten Bildideen aus, von denen der Film lebt. Ein Gag nach dem anderen. Die Begattung am Kartoffelfeuer unter den vier Röcken, Oskarchens glaszerstörende Schreie, die von der Schwarzen Köchin ihm gewaltsam eingeflößte Suppe der Straßenkinder mit Kröten und Pisse, das sind noch hinreißende Erlebnisse, weil Schlag auf Schlag gebracht. Doch mit der Eroberung der polnischen Post wie mit dem Waldmeisterbrausepulver, von Spucke aufgelöst, hält der Film sich zu lange auf. Dagegen hatten der Besuch bei den Liliputanern im Zirkus und die gemeinsame Truppenbetreuung mehr Gewicht, weil der Reifeunterschied bei gleicher Größe deutlich wurde. Jedenfalls immer wunderschöne Bilder, aber eben doch nur Bilderbuch. Um das Opus leicht zu halten, wurde am Ende der zeremonielle Selbstmord des Pfadfinderführers in seinem Keller weggekürzt, genau wie die Reminiszenzen des neuen Ladenbesitzers Fajngold.
Insgesamt ein unbedingt unterhaltsamer Film, mit eindrucksvollen Bildern, von Regie und Kamera meisterhaft gestaltet. Doch wenn der Kinobesucher sich auf dem Heimweg fragt: „Was habe ich davon gehabt?“, dann muß er passen. Und selbst wenn er daheim das Buch in die Hand nimmt, und die Rahmenhandlung als Ergänzung liest, schließlich auch noch den ausufernden Schluß, kommt er doch nur zu der Antwort: “Viel Spaß.“ Was ja nicht das schlechteste Ziel von literarischem Bemühen ist.
(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)