Der Pferdeflüsterer

(The Horse Whisperer, USA 1998, 195 Minuten, Regie: Robert Redford, nach dem Roman von Nicholas Evans)

Der Titel ist die wörtliche Übersetzung eines in Amerika gebräuchlichen falschen Ausdrucks für einen praktischen Pferdepsychologen. Weil der Begriff unsinnig ist, hat er einen hohen Aufmerksamkeitswert und bot sich deshalb als Titel an. Dabei ist die wahre Hauptfigur des Buches wie des Films die Redakteurin einer Frauenzeitschrift. Also so etwas wie das Pendant zum praktischen Pferdepsychologen: die praktische Frauenpsychologin. Die beiden kennen sich nicht und haben doch etwas gemeinsam, nämlich eine kaputte Ehe. Er hat sie hinter sich, sie steckt noch drin. Aber damit können sie beide leben, weil die Arbeit genügend Ablenkung bietet. Für ihn auf der Farm seines Bruders in Montana, für sie in der Redaktion in New York City.

Die zweite oder dritte Hauptfigur, jedenfalls die Scharnierfigur, ist die Tochter der Frauenflüsterin, der Teenager Grace. Und mit ihr beginnt auch der Film. Sie reitet am frühen Morgen mit ihrer Freundin durch den tiefverschneiten Winterwald. Die Mädchen sind mit ihren Pferden vertraut, sind fröhlich und glücklich. Da rutscht das Pferd der Freundin aus, wirft sie ab und reißt das andere Pferd mit vom Hang, ein Schwerlaster kann trotz Vollbremsung nicht mehr verhindern, daß die Freundin überfahren wird. Grace selbst ist genau wie ihr Pferd schwer verwundet. Ihr wird der Unterschenkel amputiert, ihr Pferd soll den Gnadenschuß bekommen.

Die Redakteurin verschafft sich Literatur über Pferde und findet einen Hinweis auf einen Pferde-Wunderheiler in Montana. Sie fährt mit dem traumatisierten Pferd im Anhänger und ihrer nicht minder traumatisierten Tochter neben sich die rund dreitausend Meilen zu ihm hinüber. Dem Wundercowboy imponiert das. Also übernimmt er die schwierige Aufgabe, das Vertrauen des Pferdes zu gewinnen, und gewinnt dabei gleichzeitig das der Redakteurin und ihrer Tochter. Die Wunderkur dauert viele Monate. Die Frau verliert dadurch ihre Stellung und ihr Herz. Als schließlich ihr Noch-Ehemann, ein freundlich-trockener New Yorker Rechtsanwalt, zu Besuch kommt, steht sie vor der Entscheidung: der oder der?

Also das übliche Dreiecksverhältnis mit Tränen und so weiter. Und doch mehr als das. Denn hier wird der Begriff Liebe durchdekliniert. Für jeden Betrachter unübersehbar, daß Liebe aus viel mehr Komponenten besteht als bloß aus Begeisterung füreinander. Liebe ist auch, daß die Verhältnisse zu einem passen, daß man seine Grenzen erkennt, daß man aneinander gewöhnt ist, daß man Verantwortung für Dritte trägt, daß man dem anderen vertraut, daß man ihm besonders viel bedeutet, daß man sein Gegenüber nicht unglücklich machen will und so weiter. Ein Komponentenbündel, bei dem viele Gesichtspunkte das Gegenüber betreffen, noch mehr aber einen selbst. Womit darauf hingewiesen wird, daß Liebe immer in erster Linie mit dem Ich zu tun hat. Ein wichtiger Hinweis.

Dennoch, der Film wäre kaum der Rede wert, wenn er nicht so großartig gedreht wäre. Hinter der Kamera hat ein Künstler gestanden. Aufregende Nahaufnahmen (so z.B. das Auge des Pferdes und einzelne Pflanzen), wie sie vor fünfzig Jahren das Fotografenduo Wolff und Tritschler unter dem Motto „Schönheit am Wege” geboten hat. Und grandiose Landschaftsaufnahmen, die in einem Werbefilm für Montana bestehen könnten. Das alles mit feuchten Augen zu sehen – schon ein Genuß.

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