Der Große König

(Der Große König, D 1942, 116 Minuten, Drehbuch und Regie: Veit Harlan)

Wenn man einen in Deutschland in den Jahren 1940-42 entstandenen Spielfilm sieht, kann man nicht anders, man denkt an Adolf Hitler und seinen Propagandaminister Joseph Goebbels, die beide große Kinoenthusiasten waren, und sieht und hört alles so, wie es auf Hitler und auf das Volk, das ihm zujubelte, gewirkt haben muss. Hitler ist zu der Zeit der große Umgestalter  Europas, der Österreich an das Deutsche Reich angeschlossen hat, und er ist der große Feldherr, der Polen in einem Blitzkrieg erobert hat, in Kumpanei mit dem Diktator Russlands, Stalin, und der mit ebenso erstaunlicher Schnelligkeit Holland, Belgien und Frankreich in die Knie gezwungen hat. Aber als dieser Prokriegsfilm dann endlich in die Kinos kommt, hat Hitler schon in Afrika und in Russland entscheidende Schlachten verloren.

Sein Volk, wenn es diesen Film im Kino sah, muss dasselbe gefühlt haben, wie er selbst, der sich möglichst jeden Abend einen Film in seinem Privatkino vorführen ließ: Die Wiedergeburt des großen Preußenkönigs Friedrich II. heißt Adolf Hitler. Es gibt zwar auch mal eine Niederlage, damals war das die Schlacht bei Kunersdorf, aber was bedeutet so ein Name schon für die Geschichte? In der großen Historie ist das doch nur ein kleines Blättchen, erfährt man in diesem Film. Viel wichtiger ist die trotzige Auflehnung des Herrschers gegen all seine Feinde und gegen alle Götter in einer scheinbar aussichtslosen Situation. Wenn rundum alle Vernünftigen dazu raten, aufzugeben und sich den Feinden zu ergeben, weil ein Krieg gleichzeitig gegen Russen und Franzosen und Österreicher und Schweden einem keine Chance lässt, dann wendet man das Schicksal nur mit einem entschlossenen Dennoch. Das ist die unüberhörbare Lektion dieses Films. Wir haben es also mit einer geschickten Instrumentalisierung der Geschichte für eine aktuelle politische Ambition zu tun.

1942 war längst jedem klar, dass das Deutsche Reich sich in einen Vielfrontenkrieg verrannt hatte. Was für jeden auch nur halbwegs vernünftigen Bürger eine aussichtslose Situation war, das musste in diesem Film zur Siegesgewissheit umgewandelt werden. Also war nur konsequent, dass im Film gesagt wurde, man dürfe im Krieg zwar Angst haben, weil das eine natürliche Reaktion sei, aber am Sieg dürfe man niemals zweifeln, denn das sei Hochverrat. Auch konnten im Film schreckliche Zerstörungen und vielfacher Tod gezeigt werden, doch musste das aufgehoben werden durch eine von den Dörflern ruck-zuck wiederaufgebaute Windmühle und durch Frauen, die sich als Ersatz für die fehlenden Pferde oder Ochsen selbst vor den Pflug spannten, und durch den in die Zukunft weisenden Säugling auf dem Arm seiner Mutter. Und das Unwahrscheinliche geschieht: Der Preußenkönig, der der Überzahl seiner Feinde nur wenig entgegen zu setzen hat außer seinem Überlebenswillen und seiner Siegesgewissheit, er geht als der Sieger aus der großen europäischen Schlacht hervor. Und das nur, weil er sich seiner gesamten goldbetressten Generalität überlegen zeigt und weil er die Falschheit der Russen durchschaut hat. Der Große König ist der Sympathieträger par excellence, so pflichtbewusst wie er ist, immer dienstbereit und ernsthaft. Dass er sich nach dem Endsieg nicht in einem Prunkwagen durch Berlin kutschieren lässt, sondern so bescheiden auftritt wie immer, auch seinem Herrgott tiefernst gegenübertritt, das ist nicht zufällig. Das könnte er, wenn das möglich wäre, glatt seinem späten Nachfolger Adolf Hitler abgeguckt haben, an dem die Zeitgenossen seine Anspruchslosigkeit und Einfachheit schätzten. Dass es bei ihm mit dem Endsieg nicht so klappen würde wie beim Alten Fritz, das konnte – oder wollte – man ja nicht ahnen. Auch nicht, dass der Sieben-Jahre-Krieg eine Parallele finden würde.

Mit dem Schauspieler Otto Gebühr (1877 Kettwig – 1954 Wiesbaden) hatte man die ideale Besetzung gewählt, weil ein Mann mit derart verkrümmter Figur und schwerer Nase nur Hochachtung und Mitgefühl erntete. Die Identifikation mit dem überlieferten Bild Friedrichs des Großen war perfekt. Schon in den Fridericus-Rex-Filmen der Jahre 1920-23 und in den meisten der bis 1937 folgenden Preußen-Filme hat er den Alten Fritz verkörpert.

Der Hitler ergebene Regisseur Veit Harlan (1899 Berlin – 1964 Capri), der 1940 den antisemitischen Propagandafilm „Jud Süß“ gedreht hatte, hat seinem Auftraggeber mit viel Aplomb die Bestätigung geliefert, die dieser brauchte. Die erst viel später aufgekommene Farce vom Gröfaz, dem größten Feldherrn aller Zeiten, in diesem Film hat sie ihren Ursprung. Was der Regisseur dem Führer mit diesem meist sehr lärmigen Film bot, das war Hitler und seinem Propagandaminister Goebbels soviel wert, dass man ihm jede Menge Geld und fünftausend Pferde und echtes Militär en masse für die Schlachtenszenen zur Verfügung stellte. Und man ließ ihm sogar die Marotte durchgehen, die einzige agierende Frauenfigur, eine sentimental gezeichnete Müllerin, mit seiner Ehefrau zu besetzen, der Schauspielerin Christina Söderbaum (1912 Stockholm – 2001 Hitzacker). Dass ansonsten Frauen keine Rolle spielten, darin war der Führer sich mit seinem Filmemacher einig. Hitler wusste, warum er nicht verheiratet war. Er brauchte seine Unabhängigkeit. Wollte er doch immer nur im Dienst am deutschen Volk gesehen werden. Er konnte sich also auch in dieser Charakterisierung von dem neuen Harlan-Film bestätigt fühlen.
Wie große Künstler zu allen Zeiten den weltlichen wie kirchlichen Herrschenden nach dem Mund reden mussten und sich nur mit dezenten Widerstandsgesten von ihnen absetzen konnten, so auch der Regisseur Veit Harlan, der es damit immerhin geschafft hat, nach dem Untergang des Dritten Reiches von den Siegern als unschuldiger Mitläufer eingestuft zu werden. Was er als geistige Konterbande in diesen Film eingeschmuggelt hatte, zahlte sich für ihn aus: Friedrich trauert nur um seinen Hoffnungsträger, den jungen Neffen, der an den Blattern stirbt, aber nicht um die vielen tausend Gefallenen; es gibt keinen Hinweis auf eine Notwendigkeit der von  Friedrich angezettelten Eroberungskriege, die schließlich zum Verteidigungskrieg mutieren; dafür aber wird sein Vorgänger Friedrich Wilhelm I. erwähnt, der zwar der Soldatenkönig genannt wurde, aber Kriege vermieden hat.

Veit Harlan, der unmittelbar vor dem Ende des Krieges in Goebbels’ Auftrag auch noch den Durchhaltefilm „Kolberg“ gedreht hatte, konnte sich in seiner Verteidigung vor Gericht auf solche Aspekte eines klammheimlichen Widerstands berufen. Die Frage war, ob das nur kluge Rückversicherungszahlungen gewesen sind oder nicht. Letztlich konnte dem Filmemacher nicht vorgeworfen werden, dass er mit seiner Arbeit eine Schuld an den Verbrechen der Nationalsozialisten auf sich geladen hätte, weil bei formaljuristischer Betrachtung eine  Kausalität nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden konnte. Mehr als Verhaftung und Anklage und anschließendes Berufsverbot ist dem Filmemacher Veit Harlan nicht widerfahren. Allerdings wurde erst viel später bekannt, dass der Vorsitzende Richter des Veit-Harlan-Verfahrens am Landgericht Hamburg ein ehemaliger Nationalsozialist war.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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