Der englische Patient

(The English Patient, USA/GB 1996, 150 Minuten, Drehbuch u. Regie: Anthony Minghella, nach dem 1992 erschienenen Roman von Michael Ondaatje)

Ein typischer Strohfeuer-Film. Bei seinem Kinostart überschlug man sich in Begeisterung, angefacht von den neun Oscars, mit denen er überschüttet worden war. Doch nach nicht einmal einem Jahr sprach niemand mehr von diesem episch breit auftretenden Melodram. Und das hatte seinen Grund.

Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg ist ein Forscherteam in der Sahara bei der Arbeit: Karthograph, Archäologe, Fotograf mit Flugzeug sowie dessen Frau. Sie kommen aus verschiedenen Ländern, was keine Schwierigkeiten bereitet. Doch bringt der dann ausbrechende Krieg sie in dramatische Konflikte. Der Fotograf und Flieger arbeitet heimlich fürs britische Militär und hat deshalb keine Zeit, sich um seine Frau zu kümmern. Die bleibt am Boden und hält sich schadlos bei dem Archäologen, einem deutschen Adligen. Als der Flieger sich in einem Selbstmordmanöver zu rächen versucht, indem er mit seiner Frau an Bord den Deutschen im Wüstensand im Sturzflug attackiert, ist er selbst sofort tot und seine Frau so verletzt, daß sie bald darauf stirbt. Der deutsche Graf bleibt unverletzt. Doch fällt er den Briten in die Hände und wird über Ägypten abgeschossen. Mehr tot als lebendig wird der Schwerverbrannte, den niemand kennt, in ein halbzerstörtes Kloster in der Toskana transportiert. Eine britische Krankenschwester pflegt den Mann, den sie als englischen Patienten bezeichnet, so aufopferungsvoll, daß dessen Erinnerung allmählich wiederkehrt.

Wunderschöne Bilder von Wüstenlandschaften und sich in Leidenschaft austobende Gefühle. Aber: Hat die in Erinnerungsschüben rekonstruierte Liebesbeziehung des deutschen Grafen mit der Frau des Fotografen schon nichts mit Liebe zu tun, so müssen diesem Krampf noch zwei weitere Paarungen von Nebenfiguren an die Seite gestellt werden, die ebenfalls den Begriff Liebe ad absurdum führen. Dem Betrachter wird klar: Gelegenheit macht Liebe. Das Zusammentreffen zweier Menschen verschiedenen Geschlechts, wenn sie auch noch so wenig miteinander sprechen können, läßt in pavlowscher Automatik die Säfte fließen. Das ist die Definition von Liebe, die der Film bietet. Der fehlende Geist soll durch den wiederholten Rückgriff auf Herodot ersetzt werden. Die fehlende Aussage des Films wird zusammengefaßt in die Nonsens-Erkenntnis: „Wir sind die wahren Länder, nicht die Grenzen auf den Karten.”

Das Erfolgsrezept des Films war einfach: Überwältigend schöne Bilder, ein Schauer von Gefühlen, mit viel Ketchup und grauslicher Maskenbildnerkunst angereichert, dazu wenig Sinn. Denn Erfolg bringt immer nur der Massenkonsument, und für den kann die Sache gar nicht sinnlos genug sein.

Schon die Romanvorlage überzeugt nicht durch besonders gelungene Sprache oder gar Sinn. Sie lebt vom Spiel mit dem Geheimnisvollen. Der Leser wird im unklaren gelassen, dafür aber wortreich eingehüllt in Atmosphärisches. Der Text duftet und glüht, schlaglichtert und singt: lauter Dimensionen, die über das bloße Erzählen hinausreichen. Das ist gekonnt. Wenn auch die Einzelheiten sehr fragwürdig bleiben. Beispielsweise daß der verbrannte Mann nicht längst erstickt ist, genau wie die im Sandsturm Verschütteten, wieso Wüstenforscher so dämlich sein können und woher die Mengen an Morphium kommen. Dafür wird  ein Schnellkurs in Sprengstofftechnik geboten, in Thomas-Mann-Manier und auf Umberto-Eco-Erfolg spekulierend, was genauso reizvoll und wichtig ist wie die grönländische Glazialwissenschaft von Fräulein Smilla. Die Frage, ob der Autor was Neues gesagt hat über den Menschen, über die Liebe oder über den Krieg, sollte man freundlicherweise nicht stellen. Das Ergebnis sind nur „Fältchen an seinen Augenwinkeln”, wie es im letzten Satz des Buches heißt.

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