Der dritte Mann

(The Third Man, GB 1949, 104 Min., Regie: Carol Reed, Drehbuch: Graham Greene, Kamera: Robert Krasker, Musik: Anton Karas)

Diesen berühmten Filmtitel denkt man immer nur zusammen mit dem Namen Orson Welles, dem Darsteller des skrupellosen Schieberkönigs Harry Lime. Ungerechterweise. Deshalb sollen hier ausnahmsweise einmal die Hauptdarsteller genannt werden: Das waren Joseph Cotten als sein alter Jugendfreund Holly Martins und Alida Valli als seine Geliebte Anna Schmidt sowie Trevor Howard als sein Gegenspieler, der britische Major Calloway. Überhaupt tritt Orson Welles erst in der zweiten Hälfte des Films auf, und das nur für ganze zehn Minuten. Er hat keinen Schritt in die Abwasserkanalisation Wiens getan, weil es ihm da zu sehr stank, alles gedoubelt, soll aber das damals phantastische Honorar von 100.000 US-Dollar kassiert haben. Genau genommen nur dafür, dass sein aufgeschwemmtes Babyface mit diesem verschlagen freundlichen Augenausdruck dem Film das Gesicht gegeben hat. Verständlich, denn die Verbrecher sind für uns ja stets attraktiver als die Opfer und Anständigen. Insofern ist dieser Streifen auch ein Film über uns Kinogänger.

Bei der dramatischen Begegnung der beiden alten Freunde in einer Gondel des Riesenrads im Prater verteidigt sich der ruchlose Harry Lime mit dem Hinweis, der Freund solle an Italien unter den Borgias denken, als es nur Krieg, Terror und Blut gegeben habe, aber gleichzeitig doch auch Michelangelo, Leonardo und die Renaissance. In der Schweiz dagegen herrschten seit 500 Jahren brüderliche Liebe, Demokratie und Frieden, und was habe man davon? Die Kuckucksuhr! Dieser plumpe Fehler in der Rechtfertigung – die Kuckucksuhr stammt bekanntlich aus dem Schwarzwald – ist eine raffiniert versteckte Verurteilung des Schiebers durch den Drehbuchschreiber.

Der Produzent des Films hatte den renommierten und damals in Diensten des Britischen Auslandsgeheimdienstes stehenden englischen Schriftsteller Graham Greene (1904-1991) aufgefordert, sich einmal für sechs Wochen in dem Wiener Hotel Sacher einzuquartieren, um die verquere Situation dieser einst walzerseligen, jetzt weitgehend zerstörten und unter den vier Besatzungsmächten USA, England, Sowjetunion und Frankreich aufgeteilten Stadt darstellen zu können. Der erfolgreiche britische Unterhaltungsautor und Globetrotter Greene hat sich gern mit dem Sujet Film beschäftigt, weil er dadurch den besonderen Reiz der kurzen, packenden Szenen kennengelernt hat, was seinen Romanen zugute kam.

Herausgekommen ist bei Greenes Wienaufenthalt eine Kriminalstory, die nur allmählich erkennbar wird. Der Zuschauer ist so arglos und ohne jede Kenntnis der Verhältnisse, wie der Jugendfreund des Großschiebers, der aus den USA zu Besuch herüberkommt und gerade nur noch die Beerdigung seines Freundes miterleben kann. Was er über den Unfalltod von Harry Lime erfährt, mit dem er vor zwanzig Jahren Blutsbrüderschaft geschlossen hatte, lässt den Verdacht in ihm aufkommen, es habe sich um einen Mord gehandelt. Soll doch ein dritter Mann dabeigewesen sein, als man die Leiche des Freundes barg. Und von einem britischen Polizeioffizier bekommt er zu hören, der Tote sei ein übler Verbrecher gewesen. Der Amerikaner, der reine Tor, fühlt sich herausgefordert, den guten Ruf seines Freundes wiederherzustellen. Dazu muß er den Unfallhergang aufklären, bei dem sonderbarerweise niemand außer zwei guten Bekannten des Verunglückten anwesend war, nach Auskunft des Hausmeisters aber auch noch ein dritter Mann. Er trifft auf ein Geflecht des Schweigens und der Lügen, lernt auch Anna, die Geliebte seines Freundes Harry, kennen und verliebt sich prompt in sie und will sie vor den Russen retten, die sie wegen ihres gefälschten Passes festnehmen wollen. Und der Hausmeister wird mit durchgetrennter Kehle tot aufgefunden. All seine Nachforschungen nach diesem Unbekannten bleiben ergebnislos. Es herrscht das Gesetz des Schweigens, bis es zur Katastrophe kommt.

Es gelingt dem Film, die lichttechnisch hervorragend gestalteten Gruselszenen zwischen den Ruinen und in der Kloake, wo schließlich ein Großeinsatz der Polizei gezeigt wird, voll wirksam werden zu lassen, nicht zuletzt durch den Trick mit der manchmal absichtlich gekippten Kamera. Überzeugend: Alles ist ins Rutschen geraten. Die weltberühmt gewordene Zithermusik stammt von einem Musiker, den man zufällig in einem Heurigenlokal gefunden hatte und auf diese Weise zum reichen Mann machte.

Klar, dass bei einem Drehbuchautor wie Graham Greene mehr herausgekommen ist als nur eine spannende Kriminalgeschichte. Der 1926 zum Katholizismus konvertierte Autor hat sich immer wieder sehr intensiv mit den religiösen und ethischen Hintergründen des menschlichen Strebens beschäftigt und diese Thematik in all seinen Romanen behandelt, von denen etliche verfilmt wurden (wohl am bekanntesten: „Orientexpress“, 1932). Im Drehbuch zu „Der dritte Mann“ durfte selbstverständlich die übliche Liebesgeschichte nicht fehlen. Doch bekommt sie bei Graham Greene eine Bedeutung, die weit über den Marketingeffekt hinausgeht. Der Film wird zu einer haarsträubenden Auseinandersetzung darüber, was die engere, die haltbarere Bindung ist, alte Freundschaft oder junge Liebe. Und die Antwort des Autors, nämlich dass die Liebe einer Frau, eine kritiklos animalische Liebe, sich anders als die treueste Freundschaft über alle moralischen Bedenken hinwegsetzen kann, ist so bestürzend, wie die alles untermalende, scheinbar so fröhliche Zithermusik, die das Wien der Nachkriegszeit zu einer Vorhölle werden lässt.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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