Sabrina Capitani: Das Spiel der Gauklerin

Das Erdhafte ist es

(Sabrina Capitani: Das Spiel der Gauklerin, Historischer Roman, Piper-Verlag, München 2010, Taschenbuch, 410 Seiten, 9.95 €)

Die junge fahrende Musikantin Pauline, eine aus der großen Schar von herumziehenden und wenig geachteten Hungerleidern, hat sich selbst ein Streichinstrument gebaut und viele Lieder beigebracht. Und hat Erfolg bei ihren Auftritten während der Leipziger Neujahrsmesse 1573/74, sowohl auf Straßen und Plätzen als auch in einer Herberge für reisende Händler. Was wichtig für sie ist, weil sie dort das Geld für die Zeiten des Jahres verdienen muss, in denen nichts los ist. Sie bemüht sich um einen festen Platz als Musikerin in einem vornehmen Haushalt. Doch dann verschwinden zwei Bürgerkinder. Und ein Freund von ihr, der mit seiner Wunderkammer umherreisende Zwerg Jacobus, wird verdächtigt. Zudem wird eine Hure, die Pauline kannte, grausam ermordet. Das Marktgewühl mit diesen Gewalttaten in der unmittelbaren Umgebung der Spielfrau droht Pauline in den Abgrund zu reißen. Doch ihre angeborene Intelligenz und ihre aus leidvoller Erfahrung gewachsene Anständigkeit triumphieren.

Der Plot hält sich an die üblichen Forderungen für den historischen Roman: Eine junge Frau als Protagonistin, die viel erleidet und doch nichts Böses tun darf, das sie in ein schiefes Licht bringen würde, aber letztlich die Gewinnerin ist. Das muss man wohl unter dem Gesichtspunkt, dass auch der Buchmarkt seine Gesetze hat, als unvermeidlich schlucken.

Historische Romane haben Konjunktur, in den Buchhandlungen liegen sie en masse. Der Roman der Capitani, Zeile für Zeile gelesen und mancher Absatz auch zweimal, ragt aus der Masse heraus. Um das richtig würdigen zu können, muss man sich die Kriterien klarmachen, nach denen sich der eine historische Roman vom anderen unterscheidet casinos. Es ist das sicher nicht der oft genannte Gegensatz von ernsthaft und unterhaltsam, mit E und U vercodet. Denn auch der ernsthafteste Roman kommt nicht um das Erfordernis herum, unterhaltsam zu sein. Andernfalls hat er überhaupt keine Chance, aus der Dichterschublade aufzusteigen. Also ist das kein Kriterium, an dem man ein Qualitätsurteil festmachen kann.

„Das Spiel der Gauklerin“ ist – von dem etwas süßlichen Titel abgesehen, der bekanntlich meist von den Vertriebsleuten der Verlage durchgesetzt wird – eine durchaus ernsthafte Behandlung der für uns Heutige unverständlichen unterprivilegierten Stellung der Frau noch in der Zeit der Renaissance, die angeblich den Menschen entdeckt hatte. Und gleichzeitig ist das eine höchst unterhaltsame, weil ereignisreiche Geschichte, spannend wie ein Krimi.

Eine weitere Unterscheidung der historischen Romane ist die nach dem historischen Anteil. Mal stehen historische Persönlichkeiten und ihre Handlungen im Vordergrund, mal erfundene Personen aus dem Volk, die lediglich vor einem historischen Hintergrund agieren. Romane der ersten Art ähneln mehr einem illustrierten Geschichtsbuch, Romane der zweiten Art sind mehr Bänkelsang. Denn die einen sind höchst informativ, die anderen gehen ans Herz. Das eine wie das andere genau wie jede Zwischenform kann gut oder schlecht gemacht sein. Auch die Historizität bietet also keine Differenzierung nach der Qualität.

„Das Spiel der Gauklerin“ hat eine erfundene junge Straßenmusikantin als Protagonistin und hält den weiten Abstand zu dem geschichtlichen Hintergrund, den die Kleinen Leute zu der Obrigkeit haben, erst recht zu den damals aktuellen religiösen Streitigkeiten der Nachfolger Luthers. Aber gerade dadurch wirkt das selbstbewusste Auftreten der ungebildeten, armen jungen Spielfrau Pauline vor den Großen umso aufregender – und wohltuender.

Was auch immer man von historischen Romanen hält, der Qualitätsunterschied liegt – darin sind sie den Gegenwartsromanen gleich – in der Sprache der Autoren. Was in der klischeereichen Sprache der Journaille daherkommt, den Leserinnen und Lesern also Satz für Satz die Ausdrucksweise serviert, die sie kennen und selbst benutzen, ist Lesefutter für Anspruchslose und, weil das nun einmal die größte Konsumentengruppe ist, zum Massenerfolg verdammt. Es wird zum Bestseller, für Verlag und Buchhändler ein Glücksfall, für den Autor oder die Autorin eine Peinlichkeit. Dagegen ist das in einer einfallsreichen eigenen Sprache Geschriebene etwas für Genießer.

Sabrina Capitanis Roman „Das Spiel der Gauklerin“ ist eindeutig ein Leseerlebnis für Genießer, weil es alle Klischeeausdrücke vermeidet und mit Milieuschilderungen in imponierend reichem Wortschatz überrascht. Beispielsweise als die Spielfrau sich in eine leere Kirche schleicht, in der jemand an der Orgel übt: „Körperlich und greifbar schien die Musik der Orgel, wie sämige Linsensuppe. Das schnaufende Anblasen der Bälge, das Klappern der Register und Balgtreter, das Schnarren und Fiepen des Pfeifenwindes hatte etwas durchaus Diesseitiges, während die Töne sich mühevoll himmelwärts kämpften. Selten war ihr so deutlich gewesen, wie weit der Abstand war, den man zu überwinden suchte, wollte man Gott erreichen. Wie war das mit der musica coelestis, die Jacobus erwähnt hatte – ja, die musste wohl schwerelos sein und völlig frei. Das hier, das war nur allzu menschlich; Erde klebte an den Tönen.“

Ja, das Erdhafte der Schilderungen in diesem spannenden Buch überzeugt. Und das ist nicht das Rotwelsch, die Gaunersprache, die die Autorin den herumstreunenden Kindern in den Mund legt, stets mit der Übersetzung dazu, um dem Ganzen noch mehr Farbe und Authentizität zu geben. Die Autorin hat sich die Mühe gemacht, in einer eigenen eindrucksvollen Sprache das Erlebnis dieses frostigen und chaotischen Neujahrsmarktes von 1573/74 erfahrbar und intensiv nachfühlbar zu machen. Das ist es, was das Buch lesenswert macht.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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