Das Rabenviertel

(Kvarteret korpen, S 1963, Buch u. Regie: Bo Widerberg, 95 Minuten)

Nur wer die Kraft aufbringt, sofort nach dem Abblenden des Films den Fernseher auszuschalten und ohne jede weitere Ablenkung sitzenzubleiben, kann das Fazit fühlen: Frustration. Und das nicht etwa, weil es den armen Menschen, die in ihrem tristen Alltag gezeigt wurden, so schlecht geht. Weiß man doch vom Bildschirm her und aus der Zeitung von weit schlimmeren Verhältnissen.

Malmö im Jahre 1936, das Elend der Wirtschaftskrise in einem schwedischen Armenviertel vorgeführt. Ein bißchen Olympische Spiele und ein bißchen nationalsozialistische Umtriebe im Hintergrund. Der Sohn eines arbeitslosen und trunksüchtigen Vaters und einer sich hilflos aufreibenden Mutter ist es leid. Er träumt davon, Schriftsteller zu werden. Ein Mädchen, das sich von ihm schwängern ließ, gibt ihm den Rest. Er packt sein Köfferchen und verschwindet mit dem Zug in die Hauptstadt. Ende.

Einer der Filme, bei denen es sich erübrigt, mehr darüber zu sagen, was sie bringen.  Gerade noch, daß der Vater als eine köstliche Type gezeichnet ist, der hin und wieder direkt dichterische Äußerungen von sich gibt, so über Speisekarten und die gestohlenen Hotelservietten sowie über die Taucherglocke, in die er sich hineingesoffen hat. Im übrigen muß bei diesem Film über das gesprochen  werden, was er nicht bringt.

Den jungen Mann einfach von daheim verschwinden zu lassen, ist keine Auflösung der geschilderten Problematik. Mit der Fahrt in die Hauptstadt fängt sie in Wahrheit erst an. Da hätte gezeigt werden können – und müssen, wie ein junger Mensch bei seinem mutigen Aufbruch unter der Hypothek der Herkunft zusammenzubrechen droht. Wie er geprägt ist von seinen Eltern, wie er unbewußt ihre Normen, auch ihre Vorurteile und ihre Ausflüchte übernommen hat. Man nimmt halt nicht nur das Köfferchen mit, wenn man aus der Armut flüchtet. Das ganze Arme-Leute-Milieu, das der Film so selbstverliebt ausrollt, hätte in diesem Film nur den Rang einer längeren Rückblende einnehmen dürfen.

Geht diese Kritik zu weit? – Nein. Um ein Film von Belang zu sein, hätte der Streifen etwas zu sagen haben müssen, das über den gezeigten Einzelfall hinausweist. Auch bei einem Low-Budget-Film, und darum handelt es sich hier offensichtlich, kann darauf nicht verzichtet werden. Um Allgemeingültigkeit zu gewinnen, hätte der Film beispielsweise eine wirkliche Abnabelung vorführen können. Oder ihr Scheitern. Beides ganz was anderes als der Gang zum Bahnhof. Das wären elegante, weil indirekte Beleuchtungen des Themas gewesen.

Fazit: Der Film hat das Thema zwar nicht verfehlt, aber verschenkt, weil er nicht den Mut gehabt hat, das heimische „Rabenviertel” auf dem Buckel des sich in der Hauptstadt abrackernden jungen Emporkömmlings darzustellen.

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