Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders

(Perfume – The Story of a Murderer, D/F/Span 2006, 147 Min.; Regie: Tom Tykwer; Original-Drehbuch in Englisch: Andrew Birkin, Bernd Eichinger, Tom Tykwer und Caroline Thompson nach dem Roman von Patrick Süskind: Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders)

Wenn man zu diesem Film ein Urteil abgeben soll, kommt man nicht umhin, zunächst etwas zu dem Roman zu sagen, der ihm zugrunde liegt. 1985 erschienen und ohne Zweifel als eines der berühmtesten Beispiele des neuen historischen Romans zu bezeichnen. Der 1949 am Starnberger See geborene Patrick Süskind, Sohn des Erzählers und Übersetzers Wilhelm Emanuel Süskind, war bereits als Drehbuchautor und Dramatiker zu Erfolgen gekommen, als er den Roman „Das Parfum“ schrieb. Bei der Lektüre dieses Buches spürt man geradezu, wie befreit der Autor sich gefühlt hat, als er die Beschränkungen der dramatischen Formen auf Dialoge und kürzeste Situationsschilderungen abgeworfen hatte.

Süskind ist als Erzähler quasi explodiert, hat sich zu überkochenden Beschreibungen hinreißen lassen, die so gargantuesk anmuten, dass man Süskind in der Nachfolge von François Rabelais und Johannes Fischart sehen kann. So unwiderstehlich ist seine Begeisterung für Übertreibungen, dass sie die Leser mit in all das geschilderte Brodeln, Schäumen und Stinken hineinreißt. Der Autor präsentiert eine Sprache, die alles aufklaubt, was an den Rändern der Alltagssprache unbeachtet liegengeblieben ist. Er ist ein Messie der Sprache. Aber er versteht es, seine Funde aufzuwerten, indem er sie großzügig mit Fremdwörtern übersträuselt, die mit ihrem feierlichen Klingen und Klirren jede Seite zur Saite werden lassen. Darin James Joyce ähnlich, aber viel lebhafter, schrecklicher und auch amüsanter.

Und noch ein viertes offensichtliches Vorbild sollte erwähnt werden: Umberto Ecos Roman „Im Namen der Rose“, 1980 erschienen, 1981 auch auf Deutsch. Die Parallele in der Handlung ist überdeutlich: Ein halbwegs verrückter Serienmörder, dem lauter Unschuldige zum Opfer fallen, und das bloß, weil der Mörder ein Ziel verfolgt, das die Opfer nicht erwarten konnten und das der Leser nicht ernst nehmen kann. Doch während Eco seinen Roman in einer Katastrophe, dem Brand des Klosters, enden lässt, wagt Süskind einen großen Schlussakt à la Woodstock, in dem sein Held als eine Art Heiland dasteht. Dass er hinterher aufgefressen wird, ist ein grinsender Kommentar auf den Glauben an die ganz große Liebe.

Die Möglichkeit, dass Ecos Roman für Süskind ein Vorbild war, ist hier natürlich nicht als Herabsetzung angeführt. Es gilt vielmehr, sich klarzumachen, dass wir es bei diesen beiden Romanen, der „Rose“ wie dem „Parfum“, um die Vorreiter des neuen historischen Romans zu tun haben, der jetzt von über hundert Autoren produziert wird und stapelweise in den Buchhandlungen liegt. Dabei kann man aber weder Eco noch Süskind für den Irrwitz der heutigen Verleger verantwortlich machen, die sagen, sie brauchten beim historischen Roman immer eine weibliche Hauptperson, mit der sich die vor allem weibliche Leserschaft identifizieren könne, und die Handlung dürfe keinesfalls in dem so uninteressanten 18. Jahrhundert angesiedelt sein. Zudem wird gefordert, dass der Roman im deutschen Sprachraum spielt, der beinahe kartografisch geschildert werden muss. Das hat ihnen Eco nicht geboten. Sein wahnsinniger Mönch hat im Mittelalter gelebt, war aber alles andere als eine Identifikationsfigur. Und das olfaktorische Genie Grenouille, das Süskind uns präsentiert, lebte und starb im Paris des 18. Jahrhunderts und war ein scheußliches Monster, mit dem sich niemand identifizieren will.

Verständlich, dass man lange Zeit der Meinung war, dieser Roman sei unverfilmbar. Der Autor selbst zögerte lange, die Filmrechte an seinem Bestseller zu verkaufen. Womit er Recht hatte. Denn selbstverständlich kann die exaltierte Sprache des Romans nicht in das andere Medium übernommen werden, auch wenn der Film sich bemüht, eng an der Vorlage zu bleiben, und möglichst oft direkt aus dem Buch zitiert. Der Handlungsablauf stimmt, von dem Auftakt abgesehen, den der Film mit der Verkündung des Todesurteils bringt. Das ist eine akzeptable Konzession an das Medium Kinofilm. Weniger passt allerdings, wie aus dem Roman-Monster Grenouille ein nur noch bemitleidenswerter, weil einseitig talentierter Behinderter gemacht wird. Der junge Mann wirkt schon fast sympathisch, wie er sich zu dem letzten seiner Opfer, dem schönsten Mädchen von Grasse, hingezogen fühlt. Wieviel schönes nacktes Fleisch der Film insgesamt ausbreitet, das mag für die Kinowerbung gut sein, stellt aber das Werk Süskinds, das in extenso die Hässlichkeit und Verkommenheit und Armseligkeit des Lebens der kleinen Leute im 18. Jahrhundert schildert, auf den Kopf.
(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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