Das geheime Leben der Worte

(La Vida Secreta De Las Palabras, EP 2005, 111 Minuten, Drehbuch und Regie: Isabel Coixet)

Ein ungewöhnlich kryptischer Titel für einen Kinofilm. Ein Titel, der Tiefe andeutet und damit schon das Publikum auswählt, dem man etwas sagen will. Die Spanierin Isabel Coixet kommt aus der Kreativarbeit von Werbeagenturen und vom Werbespot her. Deshalb die eiserne Zielgruppenorientiertheit. Und von daher auch die Erfahrung, dass es auf jedes einzelne Wort ankommt, wenn man etwas nicht nur sagen, sondern auch überbringen will.

In diesem Film ist eine verstörte junge Frau aus Bosnien die Überbringerin der Botschaft. Sie arbeitet stumm und zuverlässig und ohne Urlaub oder Krankheitstage in einer Fabrik in Dänemark und wird damit ihren Kollegen unheimlich. Der Chef verordnet ihr einen einmonatigen Urlaub. Doch das Urlaubsleben, das die Prospekte ihr zeigen, ist ihr ein Greuel. Zufällig bietet sich ihr eine andere Chance. Als gelernte Krankenschwester übernimmt sie die Pflege eines Schwerverletzten, der auf der Krankenstation einer Bohrinsel im Atlantik liegt. Der Mann hat schwerste Verbrennungen erlitten und ist vorübergehend erblindet. Er ist so mitteilsam, wie sie verschlossen ist. Sie schweigt beharrlich. Nichts über sich, auch nicht ihren richtigen Namen, verrät sie dem Kranken, der – so schmerzhaft das Lachen für ihn ist – sogar Witze macht, um über seine Hilflosigkeit hinwegzutäuschen und weil er mit ihr vertraut werden möchte. Doch erfährt er nicht einmal, ob sie wirklich blond ist, wie er vermutet.

Sie ist in dem ehemaligen Zimmer ihres Patienten untergebracht, wo sie immer wieder die auf die Mailbox seines Handys gesprochenen Liebesbeteuerungen einer Freundin des Verletzten abhört. Irgendwann verrät der Kranke ihr, dass er sich schuldig fühle. Und von seinen Kollegen hört sie, was passiert ist: Sein bester Freund ist nicht durch einen Unfall zu Tode gekommen. Er hat sich bei einem Brand auf der Bohrstation ins Feuer geworfen, und der Kranke hat sich seine schweren Brandverletzungen bei dem vergeblichen Versuch zugezogen, den Freund aus dem Feuer zu holen. Seine ferne Geliebte, die ihm auf der Mailbox wortreich seine Liebe gesteht und auf seinen Rückruf wartet, ist die Frau seines Freundes.

Als die Krankenschwester erkannt hat, mit welchen inneren Qualen der Verletzte kämpft, kann sie sich ihm endlich offenbaren. Sie erzählt von einem Ausflug zusammen mit ihrer Freundin in ihrer Heimat Bosnien in der Zeit der Balkankriege, der sie in die Gewalt einer Soldateska gebracht hat. In einem Soldatenbordell erleiden sie permanente Vergewaltigungen und dabei grausamste Misshandlungen, unter denen die Freundin verblutet. Die Pflegerin öffnet ihre Bluse, nimmt die Hand des blinden Verletzten und führt sie an ihren entblößten Oberkörper, der von Narben übersät ist. In Tränen aufgelöst finden die beiden unglücklichen Menschen zueinander.

Das ist sicher eine der stärksten Liebesszenen, die jemals auf die Kinoleinwand gekommen sind, dazu noch eine ohne den Liebesakt. Sicher gibt es schönere, mit schöneren Menschen, die aber austauschbar bleiben. Dagegen bleibt wegen ihrer Absurdität diese Szene in der Krankenstation der Bohrinsel in der weiten Verlassenheit des Ozeans unvergesslich. In der Terminologie des Philosophen Karl Jaspers gesagt, hat die Filmemacherin auf überzeugende Weise Grenzsituationen aufgezeigt. Und sie hat es geschafft, die Grenzsituationen so aufeinanderprallen zu lassen, dass aus lauter Negativa ein Positivum entstanden ist.

Als der Verletzte schließlich per Hubschrauber an Land gebracht werden kann, hält die Pflegerin bis zuletzt seine Hand, wie er sich das gewünscht hatte. Doch dann verschwindet sie ohne Abschied, um wieder die wortlose und auch taube Fabrikarbeiterin zu werden, die ihr Hörgerät nur einschaltet, wenn sie etwas hören will. Klar, dass der geheilte und endlich wieder sehende Mann sich später auf die Suche nach seiner Pflegerin macht. Genau das erwartet der Zuschauer. Aber ob die Konfrontation des Suchenden mit einer Psychologin nötig war, darf man bezweifeln. Damit wird zwei menschlichen Tragödien, die aus ihren Abgründen zu einem neuen Höhepunkt der Menschlichkeit geführt wurden, ein halbwissenschaftliches Gerede von Scham übergestülpt, auf das man lieber verzichtet hätte. Auch da wäre Schweigen besser gewesen.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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