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Archiv der Kategorie: Irak-2003
5. Bericht
Wie es dazu kam – 1. Bericht – 2. Bericht – 3. Bericht – 4. Bericht
Der Krieg hat begonnen
Gerade noch rechtzeitig zurückgekommen. Diese bewundernswerte Geschwindigkeit, mit der man heute dem Tod entwischen kann, der Technik sei Dank. Um dann aus einigen tausend Kilometern Entfernung live mitanzusehen, wie Amerikaner und Briten den Irakern eine christliche Lektion verpassen: So müßt Ihr Euch das Jüngste Gericht vorstellen, Ihr Bösen! Nur gut sechs Stunden brauchen die mit Raketen und Bomben schwer beladenenen B-52-Bomber von London bis Bagdad, wo sie ihre gewaltigen Explosivlasten abwerfen, um erleichtert abzudrehen und heimzufliegen. Exakt sieben Minuten vor dem Beginn des Infernos heulen die Sirenen auf. Sie rufen viel lauter zum Beten als der Muezzin, unüberhörbar.
Vor dem Flug nach Bagdad nahm mir im Frankfurter Flughafen ein Sicherheitsbeamter mein kleines gebogenes Nagelscherchen ab. Aus dem Kulturbeutel in der Reisetasche. Da stand ich plötzlich ganz unbewaffnet da. Zum Glück bekam ich anschließend in der Royal-Jordanian-Maschine ein richtig stabiles und handliches Metallbesteck: Messer und Gabel, passend für die Bedrohung von Pilot und Copilot. Da konnte ich noch lachen.
Vor dem Rückflug von Bagdad befahl mir im Saddam International Airport ein Sicherheitsbeamter, mit ihm abseits zu gehen, in einen leerstehenden Raum, wo er Dollars von mir verlangte, wenn ich meinen Reisepaß wiederbekommen wollte: Erst einen Zehner, dann den zweiten, den dritten und auch noch den vierten. Das einzige unangenehme Erlebnis mit einem Iraker. Und auch das habe ich ihm inzwischen verziehen. Er wird Familie haben, und ihm und seinen Lieben geht es weit schlechter als mir. Vielleicht helfen die paar Greenbacks ihnen zu überleben. Hätte ich dem Mann nur mehr Dollars gegeben.
Und nun Stunde um Stunde vor dem Fernseher. Es ist wie beim Fußballspiel oder anderen Großereignissen: Man bekommt mehr mit, wenn man nicht dabei ist, sondern daheim vor der Kiste zuschaut. Denn die Fernsehberichterstattung über den Irak-Krieg ist schamlos direkt: Im Hauptfeld des Bildschirms die Aufnahmen von der nächtlichen Bombardierung Bagdads, darunter ein Laufband mit den Zahlen der Opfer und ein weiteres Laufband mit den neuesten Börsenkursen. So erkennt man auf einen Blick das Doppelgesicht des Krieges.
Dabei sehe ich noch das freundliche Gesicht des langen Sudanesen vor mir, der vor dem Haupteingang des Hotels Al Rasheed seinen Dienst tat: Autotüren aufreißen. Vor zehn Jahren aus seiner Heimat geflohen, um dem ewigen Krieg davonzulaufen. Mein kleiner irakischer Fahrer hat sich gutmütig neben ihn gestellt, zum kuriosen Erinnerungsfoto. Der Fahrer, der einen so herzlich anlachen konnte, aber nicht verriet, was er verstand und wem er darüber zu berichten hatte. Jetzt sind sie in den Kellern und Bunkern vereint, sobald die Sirenen losheulen. Vereint auch mit der Studentin, die Geburtstag hatte, und mit ihrer übermütig lustigen Clique, auch mit dem Wirtschafts-Professor und seiner Frau aus Rostock und ihren vier Töchtern. Dabei auch die schick aufgemachte Leiterin der Gedenkstätte Al Ameriya Shelter, die so genau weiß, wie wenig Schutz ein Bunker noch bieten kann. Die fröhlichen Koranschüler im ehemaligen Kalifenpalast von Samarra wie auch unsere Begleiterin im Palast von Babylon, die nahezu perfekt deutsch sprach, in Bagdad gelernt, Studium der deutschen Literatur, danach arbeitslos und Gelegenheits-Fremdenführerin.
Und die jungen Mütter in der Kinderklinik, die den Tag über möglichst am Bett ihrer Kleinen blieben? Diese Blicke aus den traurig-dunklen Augen, als der fremde Mann aus der anderen Welt ihr schwerkrankes Kind angelächelt und ihm ein Bonbon in die Winzhand gegeben hat. Und ich sitze vor dem heimischen Fernseher und zucke bei jedem schweren Einschlag zusammen, als säße ich in Bagdad, in Kerbela, in Babylon, in Samarra oder Basrah mit ihnen im Keller oder im Bunker, so wenig geschützt wie sie – dank der modernen Technik.
Wie es dazu kam – 1. Bericht – 2. Bericht – 3. Bericht – 4. Bericht
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4. Bericht
Wie es dazu kam – 1. Bericht – 2. Bericht – 3. Bericht – 5. Bericht
Zum Euphrat
Wie es sich für eine Großstadt gehört, ist auch Bagdad von Gemüsefeldern umgeben. An der Ausfallstraße nach Süden, die wir heute in rasendem Ritt nehmen, hocken die Bauern hinter Bergen von Grünzeug, Tomaten, Orangen, Zwiebeln und Kartoffeln. Verarbeitete, meist alte Menschen, die hier auf Käufer hoffen, die personifizierte Geduld. Solche Bilder sieht man nicht, wo gehungert wird. Die Grundversorgung der Bevölkerung ist gewährleistet, nicht zuletzt durch die ausgegebenen Lebensmittelkarten und das UN-Programm “Nahrungsmittel für Öl”. Man muß nur das Geld haben, sich die nötigen Nahrungsmittel zu kaufen, und am Geld hapert es bei immer mehr Irakern, weil die Arbeitslosigkeit hoch ist. Zu viele Unternehmen mußten schließen, eine Folge des seit 12 Jahren herrschenden Handelsembargos. Dort eine primitive Tankstelle, an der Dutzende Bauern mit kleinen einachsigen Eselfuhrwerken herumstehen und warten, da sie die aufgebundene, langgestreckte Tonne gefüllt kriegen. Und hin und wieder ein improvisiertes MG-Nest neben der Straße. Ein Dreiviertelkreis als aufgeworfener niedriger Wall, guter Mutterboden. Darauf als Wallkrone ein paar Sandsäcke, gut gegen einen Schuß aus einer der Traditionsflinten der Kameltreiber. Für einen Panzer keine Granate wert, kaum zu bemerken beim Überrollen. Dabei so geschickt gebaut, mit drei Stufen aus Sandsöcken an der Rückseite, zum bequemen Hineinsteigen ins Himmelreich. Wo sich ein kleiner Ort an die Straße anschmiegt, sitzen Händler hinter ganzen Mauern weier Säcke. Kein Sand sondern Reis, hoffentlich können das die Panzerfahrer auf die Schnelle unterscheiden. Immerhin gilt die Parole Blitzkrieg. Da kann man nicht so genau hinschauen.
Eine Brücke über den Euphrat, dann Kerbela, die heilige Stadt der schiitischen Muslime, der von der Regierung nur geduldeten Mehrheit der Bevölkerung des Irak (rund 60 %), für die es keinen Zugang zu wichtigeren Positionen gibt. Schon eher für die Minderheit von rund 4 % Christen verschiedener Art. Das Land wird beherrscht von der Minderheit der sunnitischen Muslime (rund 35 %), die aber nur als Araber akzeptiert sind, nicht als Kurden. Sunniten und Schiiten, die beiden Varianten des Islam, feindliche Brüder im Glauben, die uns an deutsche Verhältnisse zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges erinnern, als die einen Christen die schlimmsten Feinde der anderen Christen waren. Leicht vorstellbar, was passiert, wenn der starke Mann des Irak nicht mehr da ist, der das Volk mit brutaler Gewalt zusammenhält. Im Norden zwanzig verschiedene Kurden-Clans, die sich jeden Vorteil streitig machen, dazu Schiiten gegen Sunniten und die armen Marschbewohner aus dem Süden gegen die reichen Stadtbewohner, ganz zu schweigen von den Nomaden der Wüste und den Herren der Ölquellen. Ohne die brutale Unterdrückung heißt die Zukunft des Irak: Jeder gegen jeden. Jugoslawien und Afghanistan lassen grüßen.
Aber noch ist alles friedlich. Freitag, die Stadt ist voll von Gläubigen, die zu den beiden großen Moscheen hin streben, um an den Schreinen der von ihnen verehrten Märtyrer Hussein und Abbas zu beten. Die Frömmigkeit der Schiiten bringt Leben in den Endlos-Basar, der sich unter den Kolonnaden der gelbbraunen Backsteinhäuser eingenistet hat, die als moderne Umrahmung der Moscheen dienen.
Hier gibt es alles zu kaufen, von Strümpfen und Büstenhaltern bis zu Uralt-Fotoapparaten und Musikkassetten. Und natürlich überall Fladenbrot und heißer Tee.
Was wir nicht zu sehen bekommen, sind die endlos weiten Friedhöfe außerhalb Kerbelas, auf denen begraben zu werden der Traum eines jeden Schiiten ist. Und wir sehen auch keine modernen Geschäfte mit Waren der Luxusklasse, wie sie in Bagdad zu bestaunen sind. Schmuggelgut zu exorbitanten Preisen für die herrschenden Cliquen. Die Hauptstadt ist weit, und der Himmel ist den Leuten hier näher.
Das unübersehbar weite Überschwemmungsgebiet des Euphrat ist ein trockenes Sandland, platt und braungrau, nur aufgelockert durch die Plastikabfälle neben der gut ausgebauten Straße. Hin und wieder eine primitive Hütte aus aufgeschichteten Backsteinen im trostlos leeren Gelände. Ein Sandsturm fegt über die Straße. Der Fahrer hat rechtzeitig die Fenster geschlossen, die Belüftung abgestellt. Jetzt lauscht er der Anrufung Allahs im Autoradio.Völlig unerwartet ein Stück Grünland neben der Straße und darauf eine Herde Dromedare. Schon wieder vorbei. Auch einmal ein paar Schafe mit einem Schäfer. Ebenfalls sofort vorbei. Alles außer den MG-Nestern rechts und links der breiten Straße wirkt fast wie eine Fata Morgana, so unwirklich. Doch dann plötzlich Gemüsefelder und ein kleiner Ort. Wir fahren in das uralte Städtchen Al Kifil ein. Wieder ein heiliger Ort, weil hier der Prophet Hesekiel sein Grab gefunden haben soll. Wir finden einen mit ehrfurchtgebietend altem Gewölbe überdachten Basar.
Ob die Menschen hier sich so gern an die großen Figuren der Vergangenheit anlehnen, weil die Gegenwart ihnen keinen Halt gibt? Eine Frage, die nicht ausgesprochen werden kann, weil die drei irakischen Fahrer bei uns sitzen.
Babylon
Eine Stadt, die fünfzehn Jahrhunderte lang das kulturelle Zentrum des Landes und sein Verwaltungssitz war, von König Hammurabi, dem Gesetzgeber, bis zu Alexander dem Großen, der hier im Jahre 322 v. u. Z. starb. Ihr Zentrum, der Palast von Babylon, ist wiedererstanden, besser gesagt: der Palast entsteht in der Vorstellung eines jeden Besuchers wieder, der genügend Phantasie aufwendet, die Leere zu füllen. Die Hitze stimmt einen richtig ein, das flimmernde Licht gaukelt einem Großes vor, der Wind, der Staub, das sind die passenden Ewigkeitsdiener. Willkommene Helfer der Vorstellung. Denn was man hier sieht, das sind große Tore, die zu nichts Größerem hin führen, wiedererrichtete Mauern, die im Wüstensand stehen, ohne was zu umschließen, gewaltige Säle ohne Deckengewölbe und eine Prozessionsstraße, die nirgendwohin geht. Da sind Reste einer alten Straßenpflasterung mit verknautschter Teerabdeckung, da sind Halden alter Ziegel, über denen man sich die berühmten hängenden Gärten von Babylon vorstellen muß, eines der sieben Weltwunder der Antike.
Schon leichter die Imagination bei den halbplastischen Stier- und Greifen- und Löwendarstellungen an den Wänden. Die Erinnerung trägt einen nach Berlin auf die Museumsinsel, wo sie einem von glasierten Ziegeln entgegenleuchten. Und im Südpalast steht man in der nach oben offenen Riesenhalle des Königs Nebukadnezar II., glaubt seinen Sohn Belsazar beim wüsten Gelage zu sehen und zu hören, wie er trunken losbrüllt, einen aus dem Tempel zu Jerusalem geraubten Goldpokal voll schwerem Wein in der erhobenen Faust: „Jehova, dir künd ich auf ewig Hohn, – ich bin der König von Babylon!“
Kann man sich die Aktualität noch besser klarmachen als mit diesem lauthals deklamierten Vers Heinrich Heines? Daß die Schrift an der Wand nicht erscheint, was macht das schon? Auch ohne Menetekel wissen wir, daß Belsazar noch in derselben Nacht von seinen eigenen Leuten umgebracht worden ist. Aber dieser Spruch Heinrich Heines verrät das unübertreffliche Einfühlungsvermögen des Dichters. Wie viele Bilder des irakischen Staatschefs Saddam Hussein haben wir in den letzten Tagen gesehen. Auch mit stolz erhobener Faust, in der er ein Gewehr hochreckt. Und einen seiner neuesten Paläste hat er gleich neben den Ruinen von Babylon auf einen eigens dafür aufgeschütteten Berg bauen lassen: Ich bin der König von Babylon?
Bei allem tagtäglichen Gerede über die Notwendigkeit der Beseitigung dieses Regimes sollte nicht übersehen werden, daß es letztlich um Auseinandersetzungen zwischen Arabern und Israelis geht und daß dieser Streit der semitischen Brüder schon gut dreitausend Jahre alt ist. Stets ging es um das knappe Wasser und um die knappen Weideflächen. Heute geht es immer noch um das Wasser, doch statt um Grasflächen geht es heute um Touristenattraktionen, die abgeweidet werden. Einmal wurden die Juden in die babylonische Gefangenschaft geführt und ihrer Tempelschätze beraubt, einmal haben sie sich ihr Land von den Arabern genommen, einmal wurde ihr Gebiet mit Skud-Raketen beschossen. Lange Zeit waren die Araber die verachtete arme Verwandtschaft. Doch als sie durch Öl reich wurden, als sie sich anschickten, Israel als die Führungsmacht in der Region abzulösen, wurde nach dem Weltpolizisten gerufen. Man wird genau hinschauen müssen, ob der Sheriff bei seinem Eingreifen schonend mit den verbliebenen Zeugnissen der Weltkultur umgeht oder ob hier die eine große Vergangenheit zugunsten der anderen großen Vergangenheit zerstört wird.
Wie es dazu kam – 1. Bericht – 2. Bericht – 3. Bericht – 5. Bericht
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3. Bericht
Wie es dazu kam – 1. Bericht – 2. Bericht – 4. Bericht – 5. Bericht
Die Wüstenfahrt
m Taxi, einem Chevrolet-Geländewagen, für 220 US-Dollar von der jordanischen Hauptstadt Amman zur irakischen Hauptstadt Bagdad, gut 1.000 Kilometer. Eine Wstenfahrt bietet nicht viel Abwechslung. Um so genauer schaut man hin, wundert sich über die vielen schwarzen Vögel, die überall herumhocken und aufgeregt mit den Flügeln flattern. Die sich dann aber als Fetzen schwarzer Plastiktüte entpuppen. Kolkraben der Wüste. Eine üppige Population. Kaum zu unterscheiden von den überall herumliegenden schwarzen Reifenfetzen. Man fährt runderneuert. Hin und wieder eine kleine Schafherde mit Schäfer. Die Wollknäuel mit den Ewigkeitsblicken knabbern am Geröll, wo im Vorbeifahren nichts Grünes zu entdecken ist. Weiter abseits der Piste gelegentlich ein langgestrecktes graubraunes Nomadenzelt, daneben ein Pferch aus aufgeschichteten Steinen und ein Uralt-LKW mit Schutzgatter um die Ladefläche für den Transport der Schafe.
Im übrigen nur leere Tankwagen, die uns in irrer Eile überholen, und schwervolle Tankwagen, die uns entgegen ächzen. Nie im Leben so viele Tankwagen auf einmal gesehen. Alle Marken, aber in eindeutiger Überzahl Mercedes, schätzungsweise die letzten fünfzig Jahrgänge in allen Zuständen der Beinahe-Verrottung. Doch nicht nur gegen diesen Ölstrom fahren wir an. Neben uns eine Hochspannungsleitung, durch die auf Ölbasis erzeugter Strom aus dem Irak kommt. Unmittelbar vor der Grenze zum Irak sehen wir Vorbereitungen zum Bau von Flüchtlingslagern. Nach dem Passieren der jordanisch-irakischen Grenze notiert man: Die halbe Distanz geschafft. Aus der Steinwüste wurde Sandwüste. Der Hauptunterschied. Und die recht gute Straße gegen eine Art Autobahn eingetauscht. Der Fahrer hat erst einmal 200 Liter Sprit für 4.000 Irak-Dinar getankt, umgerechnet etwa 2 US-Dollar. Also das gelobte Land gefunden, das zwar nicht von Milch und Honig überfließt, aber von l.
Bagdad sehen und nicht sterben
Die letzten Kilometer der Autobahn vor der Metropole großzügig beleuchtet. Um einen auf das weiträumige Straßen- und Brückensystem einzustimmen, das in seiner Mehrdimensionalität imponiert. Statt der erwarteten Schtzengrben, neben den Straßen ausgehoben, sieht man über sich bunte Illuminierung: Sterne, Blumen und Leuchtgirlanden. Dann abseits der Straße die Baustelle einer neuen Moschee, wo sich ein gewaltiges Oktogon wie eine reife Frucht aufgeschnitten präsentiert. Auch noch am späten Abend sind auf den Straßen und Bürgersteigen Bagdads die Männer mit den Kehrbesen unterwegs. Ein Bild des Friedens.
Gleich am ersten Tag lese ich in der englischsprachigen Zeitung des Landes Iraq Daily, da die Bibliothek von Alexandria in Brand geraten sei. Welch ein Schreck. Beim Weiterlesen dann aber die Erläuterung, da nur ein einzelnes Stockwerk gebrannt habe und das im Verwaltungstrakt, so da kein einziges Buch zerstört worden sei. Beruhigung, aber auch Beschämung, weil mir selbst hier, in der raketenbedrohten 5-Millionen-Stadt, das Schicksal von Büchern den größten Schrecken eingejagt hat. In der ausländischen Presse, im Internet gelesen, der Kampf um eine weitere UN-Resolution. Dabei muß ich mich jetzt um Naheliegenderes kümmern. Weil die Wasserversorgung im Kuwaitkrieg zerstört wurde und noch nicht wiederaufgebaut ist, kann man das irakische Wasser nicht genießen. Das und nicht die amerikanische Superbombe ist die akute Lebensgefahr, in der man hier schwebt. Jedem Hotelgast werden deshalb täglich zwei Größflaschen Mineralwasser in den Kühlschrank gestellt, zum Trinken und zum Zähneputzen. Im übrigen gilt beim Anblick des üppigen Frühstücksbüfetts wie auch der Speisekarte die alte Devise der britischen Troupiers: Koch es oder brat es oder back es oder la es!
Im Hotel Al Rasheed ein Aushang der Organisation Human Shields. Bei ihrer gestrigen Zusammenkunft hat es Streit gegeben. Diese Idealisten aus aller Herren und Knechte Länder wollten Krankenhäuser und Altenheime durch ihre Anwesenheit schützen und kriegten zu hören, das sei nicht nötig. Solchen Institutionen werde schon nichts passieren, dagegen brauchten die Versorgungseinrichtungen für Wasser und Strom Beschützer. Da fühlte sich manch einer instrumentalisiert und beschloß seine Heimreise. Von den rund 300 Beschützern sind etwa Zweidrittel abgereist. Unter den verbliebenen rund hundert auch ein Deutscher. Mit der Etikettierung Idealisten macht man es sich wohl etwas zu leicht. Sind das doch die Menschen, die spüren, da die Herrschenden ihre Interessen ohne Rücksicht auf die Beherrschten durchpeitschen wollen, in der Diktatur wie in der Demokratie, und die daraus die Konsequenz ziehen, unter Einsatz ihres Lebens Rücksicht zu erzwingen. Schafft die Weltmeinung es nicht, diesen Krieg zu verhindern, werden diese Idealisten das empfinden, was die Soldaten beider Seiten und die irakische Zivilbevölkerung empfinden mssen: für die Körner, die zwischen die Mahlsteine geraten, ist der eine Stein so brutal wie der andere. Und zu was die Härte gut war, werden die Zermalmten nie erfahren. Das wird das Herrschaftswissen der immer besserwisserischen Historiker sein.
Ausflug nach Samarra
Nach Norden, den Tigris aufwärts in Richtung Tikrit, der Geburtsstadt des menschlich wie machtmäßig überlegenen Sultans der Kreuzzugszeit, Saladin. Auch Saddam Hussein betont gern, da er aus Tikrit stammt, doch kann er sich dieser Parallelitt nicht so recht erfreuen, weil die Lichtgestalt Saladin ein Kurde war, während er Araber ist und mit den Kurden seine spezielle Not hat. Ein Besuch Tikrits ist in der momentanen Situation nicht opportun, heißt es. Also nur bis Samarra, wo Sightseeing angesagt ist. In drei Drei-Liter-Staatskarossen brausen wir los. Nagelneue Wagen, verhängte Rückfenster, die hinteren Scheiben getönt. Die drei Fahrer sehr freundlich und angeblich keiner Fremdsprache mächtig. Trotzdem ist die Delegation sich sofort einig, da man sich jeglichen Kommentar in ihrer Gegenwart verkneift. Die drei Wagen rasen mit 100 km/h durch Bagdad, in engster Kolonnenfahrt, immer unter sechs Metern Sicherheitsabstand. Draußen auf der Landstraße schafft man das auch bei 140 160 km/h. Der schwarze Mercedes stets vorneweg, die beiden Hyundai hinterher. Mit Lichthupe und vollem Horn alles wegscheuchend, was störend in den Weg gerät. Und die Leute erkennen die Staatsmacht auf Anhieb und kuschen. Der Kontrast zu ihren mehr oder weniger vergammelten Rostautos ist ja deutlich genug. Hauptschlich uralte, verknitterte Japaner-Wgelchen, was hier herumfährt. Und verrottete VW-Taxis aus brasilianischer Produktion. Wenn ich sehe, wie die Leute mit Blechstreifen und Kordel und Riemen ihre Karossen zusammenhalten, die zwanzig und dreißig Jahre ihren Dienst tun mssen, gingen die guten Zeiten des Irak doch 1980 zuende, kann ich mir vorstellen, wie schwer der Alltag eines kleinen Händlers oder Handwerkers oder Taxifahrers hier ist. Wie sie vor dem Staatsgast das Steuer herumzerren und ihn erstaunt anstarren, das ist peinlich. An einem Kontrollposten auf der Landstraße wird die beschrankte linke Spur, wir fahren ja nur links, fällt mir auf, eilfertig für uns aufgerissen, der Posten salutiert vorschriftsmäßig.
Dann doch lieber Sightseeing. Samarra war nur wenige Jahrzehnte lang die Kalifenresidenz, und doch stehen dort die Überreste der einst größten Moschee der islamischen Welt. Daneben das berühmte Spiralminarett, 52 Meter hoch. Na, meinetwegen Schlag auf Schlag die touristischen Höhepunkte: Die ehemalige Kalifenresidenz und die Moschee mit der goldenen Kuppel. Es ist Neujahr, nach unserem Kalender der 4. März. für uns keine Möglichkeit, die Moschee zu betreten. Jedoch den Moscheehof, der voller Menschen ist, alle feiertglich herausgeputzt. Da stehen sie bei dem Kiosk an, um ihre Schuhe in Verwahrung zu geben, hier wäscht man sich die Füße, die Hände und Arme und den Kopf. In den Nischen der Auenmauer sitzt man familienweise beisammen, einen kleinen Teppich zwischen sich ausgebreitet und die mitgebrachten Ewaren darauf. Und niemand hat was dagegen, fotografiert zu werden. Auch nicht die Frauen.
Dagegen ist es nicht erlaubt, so wurden wir vorher ermahnt, während der Fahrt Aufnahmen zu machen. Verständlich, denn an der Straße stehen nicht nur die herrlichen alten Eukalypten und die einzelnen Palmen, hin und wieder sogar Weinstöcke, da sind auch schon einzelne kleine Rundwälle aufgeworfen, mit Sandsäcken auf der Krone, und da und dort Schützenlöcher gebuddelt worden, ebenfalls sandsackgesichert. Schließlich sogar eine richtige kleine Maschinengewehrstellung an der Hauptkreuzung. Auf manchen Gebäuden sind auf dem Flachdach Sandsäcke gestapelt, eine Mini-Abwehrstellung, vorzugsweise auf einer Hausecke, wo sich bei uns die Drosseln am liebsten hören lassen. Der Gedanke an die neuesten Superwaffen, mit denen Amerika das Land bedroht, läßt all diese Schutzmanahmen zu Juxnummern werden. Lauter Peinlichkeiten. Oder will man dem amerikanischen Präsidenten damit zeigen, da man ihn nicht ernstnimmt? Will man die Werbung für die höchstentwickelte US-Waffen-Produktion ins Leere laufen lassen, die gigantische Verkaufsschlacht, die schon begonnen hat, mit Sandsäcken ad absurdum führen? Jedenfalls dienen diese Schutzmanahmen von Gestern dazu, das Volk zu beruhigen, es wird ja was getan. Und notfalls sind sie auch dazu brauchbar, es mit Gewalt ruhig zu halten.
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Al Ameriya Shelter
So die offizielle irakische Bezeichnung der Bunkerruine. Wenn man böswillig wäre, würde man sagen: Zum Pflichtprogramm einer Besuchergruppe im Irak gehört der Besuch des Bunkers, der im Kuwaitkrieg über 400 Frauen und Kindern zur Todesfalle wurde. Heute ein pompöses Memorial mit angeschlossenem Museum und mit einer großen Uhr als Denkmal, die genau die Uhrzeit anzeigt, als die Bombe fiel, die die 2 Meter dicke Betondecke durchschlagen hat. Kurz vor halb vier am Morgen. Eine zweite Bombe fiel sofort anschließend in den Bunker, per Selbststeuerung durch das große Loch in der Decke geführt, das die erste geschaffen hatte. Und diese zweite Bombe löste einen Feuersturm aus, dem niemand entrinnen konnte. Die Opfer sind meist bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, nur noch wenige Leichen konnten geborgen werden. Aber an den Wänden und auf dem Betonboden kann man heute noch die schwärzlichen Flächen sehen, wo die Menschen in den Beton eingebrannt sind. Der Bunker war nur für junge Frauen und ihre Kinder vorgesehen. Ein einziger Mann unter den Opfern und eine alte Frau, der man den Zutritt erlaubt hatte. Da steht man in dem nach oben geöffneten Bunker vor dem Drei-Meter-Loch, sieht das Gewirr von Moniereisen und Betonbrocken und fragt sich, ob man den Begriff der intelligenten Bomben so ohne weiteres übernehmen kann. Man sieht den Vertreter des Unternehmens, das die Bomben hergestellt hat, mit seinen Kunden sprechen, sieht ihn mit Text- und Bildfolien hantieren. Natrlich hat er die Bilder dieses Ereignisses in seinem Musterkoffer. Ein schlagendes Argument für die Überlegenheit der Produkte seines Arbeitgebers. Ich musste mich ablenken. Im Museum, das man neben den Bunker gebaut hat, sind die Fotos der Opfer zu sehen. Junge Frauen mit diesen angestrengten Gesichtern der emanzipierten Familienchefin und Kinder mit diesen offen vertrauensvollen Blicken ins Leben. Lauter aus dem Leben Genommene. Diese Kinder haben sich in der Obhut ihrer Mütter sicher gefühlt. Aber in dem Moment der Zerstörung des Bunkers konnte Mutterliebe ihnen nicht mehr helfen. In den Ausstellungsvitrinen Schulhefte und Kleidungsstücke und Spielzeug, das die Familien dem Museum überlassen haben. Die bunten Relikte machen die schwarzen Schatten auf den Böden und an den Wänden des zerstörten Bunkers erst recht grauenvoll.
Die Führerin sprach ein gutes Englisch. Und sie wunderte sich, dass ich ins Gästebuch auf Deutsch geschrieben hatte: “Wieder so ein Erlebnis, bei dem man sich schämt, ein Mensch zu sein.” Ich erklärte ihr auf Englisch, dass ich es schrecklich finde, mit welcher Selbstverständlichkeit die Iraker die Amerikaner als den großen Teufel bezeichnen, gleichzeitig aber die Sprache des Teufels sprechen. überall im Irak alles zweisprachig, alles in Irakisch und Englisch. “Damit schlagen Sie sich auf die Seite derer, die Ihnen dieses Leid angetan haben. Denn Sprache”, habe ich ihr zu erklären versucht, “ist mehr als ein bloßes Transportmittel für Aussagen, Sprache ist die Übernahme der Kultur des jeweiligen Landes und auch seiner Unkultur.” Da hat die hübsche und modern aufgemachte Frau mich nur noch groß angeschaut. Ich kam für sie von einem anderen Stern.
Im Saddam Medical Center
Vor dem Eingang des weiträumigen Klinikkomplexes hängt ein großes Transparent, ein überlanges Krankenhausbettuch, das darauf aufmerksam macht, dass ein Kriegsverbrechen begeht, wer dieses Krankenhaus bombardiert.
Beim Laufen durch die langen Gänge immer mal wieder eine Uhr an der Wand, doch jede zeigt eine andere Zeit. In der kleinen Kaffeeküche riecht es nach Gas, in einem Büro arbeitet eine Schwester an einer uralten Schreibmaschine. Jedoch keine Patientenbetten mit Infusionsgalgen auf den Fluren, wie in unseren Kliniken üblich. Ein paar Zimmer mit Kindern am Tropf, die nicht allein sind. Mütter schneiden aus Buntpapier Figuren aus, spielen mit ihren Zöglingen. Eine Oma mit für uns erscheckenden Schmuckttowierungen im Gesicht, viele dunkle Striche und kleine Dreiecke, schaut uns voller Vertrauen an, obwohl wir nichts zu bieten haben außer Freundlichkeit und für jedes Kind ein kleines weißes Stoffpppchen. Schon mehrfach gesehen, diesen Gesichtsschmuck. Er zeigt, wie schnell die Entwicklung dieses Landes vor sich gegangen ist. Aus der primitiven Clan-Gesellschaft hat sich in wenigen Jahrzehnten ein moderner Staat geformt. Wir haben zwar eine Menge Medikamente dabei, doch die Leitung der Klinik lässt uns sagen: Keine Medizin übergeben! So begeistert man überall von den deutschen Besuchern ist, es gibt offenbar strenge Anweisungen, die Anschläge verhindern sollen. Oder geht es nur darum, dass die Leute die fremden Medizinpackungen nicht lesen können und die Medikamente deshalb falsch einsetzen?
Im Kulturzentrum Hikma
Das Zentrum ist in einem schönen alten Palast untergebracht, den der Kalif Harun al-Rashid für eine seiner Töchter gebaut haben soll. Ein Wissenschaftszentrum, so erfahren wir, in dem neun Disziplinen zusammengefasst sind. Jetzt sitzen uns 6 Herren und eine Dame von der Leitung gegenüber. Ein langes Gespräch, natürlich wieder in der Sprache des Feindes. Das ist auch die erste Fremdsprache, die die Schüler in den Schulen lernen, die zweite ist Französisch, kommt die arglose Auskunft. Die deutsche Kulturpolitik ist hier nicht spürbar. Dafür ist um so erstaunlicher, mit welcher Geduld diese Wissenschaftler uns erklären, was sie an Seminaren und Symposien durchführen, was sie an Publikationen herausgeben. Man sitzt und sitzt und unterhält sich freundlich, natürlich bei dem obligaten Tässchen stark gezuckerten Tee, schließlich wird uns auch noch der Internet-Raum vorgeführt. Bestens bestückt. Seit gut einem Jahr ist der Internetzugang im Irak für jedermann erlaubt, er muss ihn sich nur leisten können. Schon gibt es in der Vier-Millionen-Stadt Bagdad Internet-Cafés. Und die Wissenschaftler erklären voller Stolz, dass sie ohne jede Behinderung weltweit mit den Kollegen ihrer Disziplin zusammenarbeiten und ihre Erfahrungen austauschen. Und wie Wissenschaftler so sind, brauchen sie für jede Erklärung viele Worte und viel Zeit. Dabei kann ich mir vorstellen, unter welchem Zeitdruck diese Leute stehen. Immerhin ist der Verteidigungszustand ausgerufen. Da hätten sie zuhause sicher Wichtigeres zu tun. Es gilt Vorräte anzulegen und den Keller für einen lngeren Aufenthalt vorzubereiten. Denn so entschieden die Amerikaner ihren Angriffswillen betonen, so entschieden zeigt sich die Regierung des Irak zur Verteidigung entschlossen. Eine große Militärparade hat gestern gezeigt, wie stark das Land sich fühlt. Besonders eindrucksvoll die Beduinentruppen in ihren phantastischen Gewändern. Da stoßen verschiedene Welten und Zeitalter zusammen. Plötzlich sind überall in der Stadt kleine Maschinengewehrnester zu sehen. Sandsäcke bieten einen erschreckenden Kontrast zu den prächtigen Gebäuden, zu den bombastischen Torbögen und Riesengedenkstätten, den langen, liebevoll gestalteten Mauern um die offiziellen Gebäude und Hotels, zu den Palmen und Eukalypten, zu den breiten Boulevards und Brücken, auf denen ständig Männer mit dem Kehrbesen beschäftigt sind, und auch zu den modernen Wohnhochhäusern mit aufwendig aufgelockerten Fassaden voller Balkons. Plattenbauten können gut aussehen, lernt man hier. Dass die Wohnhochhäuser in der Stadtmitte zwischen den Ministerien stehen, hat vermutlich nicht nur den Grund, dass man den Angestellten lange Wege ersparen wollte.
Während weiter von wissenschaftlichen Symposien die Rede ist, schweifen die Gedanken ab zu den Radfahrern, die man plötzlich vermehrt auf den Straßen sieht. Man stellt sich auf ein Verkehrsmittel um, heißt es, das auch dann noch fährt, wenn der Sprit knapp werden sollte. Und wer hatte davon erzählt, dass immer mehr Leute mitten in der Großstadt hinterm Haus Brunnen bohren? Schon sinnvoll, weil die Wasserversorgung der Stadt elektrisch gesteuert wird, so dass es keinen Tropfen Wasser mehr gibt, sobald bei einem Angriff der Strom ausfällt. Nur dumm, dass die Leute beim Bohren nach Wasser trotz ihrer simplen Werkzeuge plötzlich auf Öl stoßen. Das Öl ist das Glück und das Pech des Irak. Es hat ihn reich gemacht, hat aber auch die Begehrlichkeit anderer geweckt.
Das Victory-Museum
Es steht als eine überdimensionierte Normaluhr mitten in einem schönen großen Park. Man hatte offensichtlich unbegrenzt Platz und Geld. So entstanden unter der Normaluhr, die merkwürdigerweise nicht richtig geht, hallenartige Gebilde, die eine illustre Leere ausstrahlen. Man sollte den Namen des Gebäudes wohl nicht wörtlich nehmen, in Wahrheit nämlich ist es ein Saddam-Hussein-Museum. Auf Stellwänden sind die Fotos seiner gesamten Biographie aufgereiht, vom kleinen Bauernbuben bis zum großen Diktator. An der Front in Kampfuniform, beim Kleine-Mädchen-Hätscheln in Zivil. Und in Vitrinen liegen Schriften, die ihn als Autor nennen. Politische Traktate aller Formate, in jeder Vitrine in einer anderen Sprache. In der deutschen Vitrine sind die eindrucksvollsten Schriften zwei Veröffentlichungen im Buchformat. Band 1 heißt “Der Sozialismus”, Band 2 heißt “Die Demokratie”. Band 3 habe ich nicht gefunden, den Titel “Der große Diktator” gibt es hier nicht. Beim Ausgang noch schnell ein Blick auf die Wand mit den Uhren der Weltmetropolen. Selbstverstndlich neben arabischen Städten auch Washington und London und Paris und Rom, aber Berlin fehlt. Immerhin kennt man neben den Luxuskarossen von Mercedes und BMW auch den Namen Schröder und ein paar deutsche Fußballvereine und ihre ausländischen Stars.
Im Bagdad College of Economic Sciences
Das College gehört zur Universitt von Bagdad heißt es in professoralem Stolz. Im übrigen wird der am Vortag gefeierte Internationale Frauentag der Vereinten Nationen glaubhaft. Wie die Studentinnen mit den Studenten zusammensitzen, im Arbeitsraum und auf dem Campus, wie man in der Mensa gemeinsam den Geburtstag einer Studentin feiert, mit dem obligaten Kuchen, kerzengeschmückt, wie man den fremden Besucher begeistert einlädt, das ist das Leben in einem modernen Land.
Hier gibt es keine verschleierten Frauen, und nur wenige Mädchen tragen ein Kopftuch. “Jedem freigestellt”, erklärte der Dekan, “damit haben wir keine Probleme. Schon mehr mit der Schuluniform, die von manchen nicht gern getragen wird. Da muss es immer wieder Ermahnungen geben.” Das College ist eine private Hochschule. Die Studenten zahlen 100 Dollar Studiengebhren im Jahr. Nach vier Jahren haben sie den Bachelorgrad erreicht. Dann können sie in den Beruf gehen oder weiter studieren, um zu promovieren. Oder sie bleiben zunächst arbeitslos. Denn der durch das Wirtschaftsembargo abgewürgte Staat leidet neuerdings unter einer hohen Arbeitslosigkeit. Der Dekan wurde von seiner Frau abgeholt, einer Deutschen. Die Erklärung dafür: Er hat in Bagdad und zu DDR-Zeiten in Rostock studiert. Jetzt haben sie vier große Töchter. Er spricht von dem kulturellen Leben, das in schönster Blüte steht. Eine richtige Renaissance in der Musik, der Dichtung und Malerei sei das. Und sogar die verschiedenen christlichen Kirchen, die es in der Stadt gibt, seien Sonntag für Sonntag so gut besucht, dass man keinen Sitzplatz mehr findet. Mit Stolz führt er uns durch die Unterrichtsräume, jeder mit mindestens zehn Computern ausgestattet, alles brandneu. Und nach jedem Arbeitsgang kommen die Plastikhauben wieder drüber. “Damit die Geräte länger halten”, sagt er. Der Besucher verschweigt seine Bedenken. Ist doch nicht sicher, ob diese Computer, ja, ob überhaupt irgendwas von diesen Gebäuden in ein, zwei Wochen noch existieren wird. Und wenn er daran denkt, dass diese so freundlich grüßenden jungen Menschen, die strahlend schönen Gesichter schon in wenigen Tagen oder Wochen ausgelöscht sein sollen, wie die amerikanische Regierung es leichthin in Kauf nimmt, packt ihn Entsetzen und Verzweiflung ob der Wehrlosigkeit gegenber der Arroganz der Mächtigen.
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Der Brummkreisel
Mittwoch der 5. März 2003.
Auch ich im Hotel Al Rasheed, in dieser Bettenburg für ausländische Frontberichterstatter.
Eine riesige Halle, ein riesiger Restauranttrakt, die Rezeption an drei langen Theken, sechs Aufzüge zu den 14 Stockwerken. Eine moderne Variante des Turms zu Babel. Denn hier spricht jeder eine andere Sprache. Und man spricht mit dem Personal und untereinander Englisch.
Wer hier herumläuft, hat eine schwere Videokamera geschultert oder wenigstens ein Stativ. Alles andere sind Leute von der schreibenden Clique. Sie weisen sich dadurch aus, daß sie ein handtellergroßes Schild auf der Brust baumeln lassen, das sie in Farbe und mit Foto als akkreditierte Journalisten ausweist. Ich habe nichts auf der Schulter und nichts auf der Brust. 39 deutsche Journalisten sollen im Moment hier herumwedeln, dazu ein deutscher Schriftsteller.
Dabei hat jeder zunächst nur mit sich selbst zu kämpfen. Mit seinen Gelüsten beim reichhaltigen Frühstücksbuffet und bei allen anderen Mahlzeiten, die er einnehmen kann, wann immer er gerade Zeit dazu findet. 24-Stunden-Service. Doch die Rache Montezumas verfolgt einen schon am zweiten Tag, selbst wenn man sich mit Säften und Salat und frischem Obst eisern zurückgehalten hat. Also nur Kartoffeln und Brot und Eier und Spaghetti und eingepackten mitteleuropäischen Käse essen. Mineralwasser zum Trinken und Zähneputzen ist reichlich vorhanden. Und alles im Preis inbegriffen, besser gesagt, es hat das alles keinen Preis. Denn wir bekommen von den vielen herumtänzelnden Kellnern immer nur die Damenkarte gereicht – ohne Preisangaben. Dafür zweisprachig, in Arabisch und Englisch.
Gestern war für die Araber Neujahr, heute wird wieder gearbeitet. Den Unterschied sieht man in der Stadt. Denn ab heute stehen an allen wichtigeren Straßenecken Soldaten unterm Stahlhelm mit Tarnüberzug und der Kalaschnikow im Arm. So prompt der kundige Kommentar eines Journalisten. Ein anderer sagt, daß er Freitag heimfliegt, weil nach seiner Erfahrung in den letzten Tagen vor Ausbruch der Kämpfe ein Wettrennen um Plätze in den letzten Fliegern und in den Taxen stattfindet, bei dem man horrende Summen zahlen muß, in Dollar, um überhaupt eine Chance zu haben. Und keine Versicherung zahlt jetzt mehr, weil die deutsche Botschaft die dringende Aufforderung zum Verlassen des Landes ausgesprochen hat. Mein Rückflug soll kurz nach Mitternacht in der Nacht auf Montag stattfinden. Wenn ich noch rechtzeitig von Basrah zurückkomme, wo ich mit der Delegation am Samstag und Sonntag sein werden. Die deutsche Botschaft schafft die letzten Deutschen am Montag im Konvoi über die Grenze außer Landes, geht das Gerücht. über welche Grenze, weiß niemand. Nach Jordanien oder nach Iran? Zur Vorsicht haben wir uns dafür angemeldet.
So bleibt mir noch Zeit, mich in der Stadt Bagdad umzuschauen und die Journalisten zu betrachten, die sich mit immer neuen Gerüchten auf Trab halten, dazwischen aber mit politischen Witzen ihre Coolheit demonstrieren. Einer hat seinen Fotoapparat im Taxi liegengelassen, doch sie kommt zuverlässig am nächsten Tag ins Hotel. Die Iraker sind so was von freundlich, daß ich bei jedem nur den einen Gedanken habe: Hoffentlich überlebt er die nächsten Wochen. Einer von den rasenden Reportern läßt sein Portemonnaie im Frühstücksraum auf dem Sitz liegen. Einer hat die Sonnenbrille im Nacken und sucht sie in allen Taschen. Es gibt offensichtlich schon jetzt eine gewisse überforderung. Der kommt man habituell bei oder auch nicht. Zu dem Thema gehören die dicken Zigarren und die Pfeifen, die geschmaucht werden. Da scheint sich ein neues Kennzeichen für den Allerweltsmann herauszubilden. Besonders widerlich im Internet-Café des Hotels, das zum Pressezentrum umfunktioniert ist. Ohne Fenster, voller Qualm und Hitze, und die elf Computer ständig besetzt, da heißt es schon wieder warten. Wir warten doch nur auf den Beginn der Kämpfe, sagt mein Nachbar. Bis dahin herrscht nur noch Langeweile. Denn was man hier an allgemeinen Hintergrundberichten machen kann, das haben wir doch längst alles rübergenudelt. Durchaus glaubhaft. Denn die Tastaturen der Computer sind so abgewetzt, daß nur noch wenige Buchstaben zu lesen sind, und das sind die unwichtigeren. Dazu sind Buchstaben vertauscht, alles eine einzige Sucherei. Zumal jeder die Sprache der Maschine auf seine Sprache eingestellt hat und man zunächst wieder nur ein Babylon-Erlebnis hat. Zum Glück werden neben all den kleinen Alltagsschwierigkeiten nicht nur bedrohliche Dinge kolportiert, es gibt auch Tröstliches. Ein Reporter weiss die Zukunft sonnenklar zu deuten: Wenn Bush losschlägt, wird er abgewählt, sagt er im tiefen Tonfall des Wissenden. Dann ist er nicht mehr immun und wird als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt. Wir dürfen also noch hoffen.
Wie es dazu kam – 2. Bericht – 3. Bericht – 4. Bericht – 5. Bericht
Veröffentlicht unter Irak-2003
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