Capote

(Capote, Kanada/USA 2005, 110 Minuten, Drehbuch: Dan Futterman nach der Capote-Biografie von Gerald Clarke, Regie: Bennett Miller)

Auch wenn man Truman Capotes schmalen Roman „Die Grasharfe“ mit Genuss gelesen hat, ebenfalls den Kurzroman „Frühstück bei Tiffany“, ist man nicht davor gefeit, Abscheu zu empfinden bei dem Film von Bennett Miller über den Autor Truman Capote (1924-1984). Nicht weil der Streifen schlecht wäre, der ist solide Celluloid-Kunst, auch nicht, weil das Verbrechen, um das es geht,  besonders brutal war, sondern weil der berühmte amerikanische Schriftsteller als ein Scheusal vorgeführt wird.

Ein arrogant auftretendes Brillenkerlchen mit Mädchenstimme wittert in einem Mordfall, dem in Kansas eine vierköpfige Familie zum Opfer gefallen ist, ein Sujet für eine große Geschichte. Er glaube, der Fall könnte sich als eine Goldmine herausstellen, gesteht er dem Verleger des Magazins „The New Yorker“, als er ihm verkündet, er wolle in das Dorf fahren und mit den Leuten dort in Kontakt zu kommen versuchen, sich auch den Tatort, ein abseits gelegenes Farmhaus, näher anschauen. Inzwischen sind zwei junge Männer festgenommen worden, die sogar geständig sind. Der schon recht prominente New Yorker Autor macht als Reporter die Recherchereise nach Kansas, und zwar gemeinsam mit seiner Jugendfreundin Harper Lee, die kurz vor der Veröffentlichung ihres Romans „Wer die Nachtigall stört“ steht, die sich jedoch bei dem Projekt Capotes distanziert gibt. Sie scheint, bloß ein Mamaersatz für den Autor auf Abenteuertour zu sein.

Capote gelingt es, das Vertrauen der Dorfbewohner zu gewinnen, was ihm jedoch wenig bringt, weil die beiden Täter nicht aus dem Dorf stammen, sondern als Landstreicher unterwegs waren. Er verschafft sich Zutritt zu den beim Sheriff eingesperrten Tätern und baut zu ihnen einen engeren persönlichen Kontakt auf, indem er sich als einen Menschen bezeichnet, der ein Außenseiter ist, genau wie die beiden Täter. Mit weinerlicher Stimme erzählt er den Mördern Perry und Dick von seiner schweren Kindheit und Jugend ohne Eltern, der Vater ein Kleinkrimineller, die Mutter eine schöne Sängerin, die ihm davongelaufen ist. Weshalb er immer wieder von einer Hand an die nächste weitergereicht wurde. Er sagt, dass er sich in Perry wiedererkenne. „Als seien wir im selben Haus aufgewachsen. Du hast es nur durch die Hintertür verlassen, ich nach vorn.“ Diese Anbiederung ist sogar weitgehend richtig und kommt gut an.

Als ein Geschworenengericht die beiden jungen Männer zum Tod durch Erhängen verurteilt, zeigt Capote sich tief betroffen. Er besorgt ihnen einen besseren Anwalt, der den Prozess in die nächste Instanz bringt. So gehen Jahre hin. Capote hält per Sondererlaubnis zu ungewöhnlich vielen Besuchen den Kontakt mit den Gefangenen. Damit erhält er bei ihnen die Hoffnung auf Strafverschonung, sich selbst verschafft er so die nötige Zeit, neben dem Artikel für das Magazin „The New Yorker“ einen umfangreichen Roman über diesen Fall zu schreiben, den er als Tatsachenroman bezeichnet. Womit er der Belletristik eine neue Erzählversion verpasst, die nonfiktionale Literatur.

Neben seinen Besuchen bei den Mördern und dem Schreiben wird er in ausgelassener Feierlaune mit Freunden und bei einer öffentlichen Lesung aus dem Manuskript gezeigt. Gegenüber den Gefangenen behauptet er, noch kaum etwas geschrieben zu haben. Und er leugnet, dass er dem Manuskript bereits den Titel „In Cold Blood“ (Kaltblütig) gegeben habe.

Ihnen spielt er weiterhin den zutiefst betroffenen und mit ihnen leidenden Freund vor. Tatsächlich leidet er nur daran, dass er den Schluss seines Buches nicht schreiben kann, weil die Hinrichtung immer wieder aufgeschoben wird. Jahrelanges Warten, denn es fehlt dem Autor immer noch das Mordmotiv. Und es fehlt ihm die Kenntnis vom genauen Ablauf der vierfachen Mordtat. Über beides aber wollen seine angeblichen Freunde Perry und Dick verständlicherweise nicht sprechen, solange für sie noch nicht der letzte Funke Hoffnung verflogen ist. Eine Hoffnung, für die der Autor selbst ungewollt sorgt. Dabei bedrängt ihn sein Verleger, der die öffentliche Aufregung über den Mordfall für den Buchverkauf nutzen will. Das Buch erscheint erst 1966, fast sieben Jahre nach dem Mord, und wird dennoch ein gewaltiger Verkaufserfolg.

So eindrucksvoll der Film dieses falsche Spiel eines Widerlings vorführt, so beunruhigend drängt sich die Frage auf, inwieweit dieses Zerrbild eines Reporters und Schriftstellers der Wahrheit entspricht oder Truman Capote hier Gewalt angetan wird. Wenn man dann erfährt, dass das Drehbuch auf der Biografie basiert, die Gerald Clarke geschrieben hatte und die von Truman Capote autorisiert war und dass Clarke die mehr als vierzig Briefe verwenden konnte, die Dick und Perry an Capote geschrieben hatten, weiß man: Der Film bemüht sich um das wahre Bild dieses Falles und des ihn beschreibenden Bestsellerautors.

Was der Film nicht bringt: Der junge Truman Capote, der ursprünglich Truman Streckfus Persons hieß und seinen Namen Capote dem zweien Mann seiner Mutter verdankte, hatte mit seiner gut vorgeführten Außenseiterrolle als Homosexueller, ungewöhnlich gekleidet, arrogant und mit Mädchenstimme, es recht schnell geschafft, in die bessere Gesellschaft New Yorks und in die Literaturszene aufgenommen zu werden. Dabei half ihm auch die langjährige Liaison mit dem doppelt so alten Literaturprofessor Newton Arvin und anschließend das drei Jahrzehnte währende Verhältnis mit dem Schriftsteller Jack Dunphy.

Dieser Kinofilm über einen vierfachen Mord und die Entstehung eines daraus folgenden Bestsellers ist kein üblicher Krimi, glücklicherweise. Er ist ein Film über einen höchst ungewöhnlichen Aufklärer und insofern der Stammvater all der Krimis, die heute geschrieben und verfilmt werden, in denen krampfhaft versucht wird, den Ermittlern ein besonderes Faible, einen ungewöhnlichen Charakter oder zumindest eine krude Marotte anzuhängen. Der Film „Capote“ ist das bedrückende Portrait eines Autors, der die Chance seines Lebens sieht, sie ergreift und damit erfolgreich ist. So erfolgreich, wie danach nie mehr. Was ihn schließlich in die Abhängigkeit von Alkohol und anderen Drogen führt, ihn mehrfach in Sanatorien und Gefängnissen landen lässt und das Leben eines Erfolgverwöhnten auf elende Weise und zu früh beendet.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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