Da sitzen sie wieder zusammen in der nur halbwegs bewohnbar gemachten Ruine des Heidelberger Schlosses, der Pfalzgraf Carl Philipp und der einzige Vertraute, den er am Hofe hat, der Hofnarr Perkeo. Der soll den verzweifelten Landesherrn aus der aktuellen Geldnot retten, andernfalls er den Kopf verliert. Aus der Ratssitzung wird ein Kaleidoskop des Lebens und der Liebe, des ewigen Strebens nach Geld und Geltung.
LESEPROBE
1.
Vom rechten Flussufer her gesehen, über die gedeckte Neckarbrücke hinweg, am Hang gegenüber ein erstaunlich breit protzendes Bauwerk. Das Heidelberger Schloss. Residenz der Pfalzgrafen und Kurfürsten bei Rhein. Geht jedoch ein genauerer Blick über die vielen Dächer des Städtchens hinweg, auch über die Heiliggeistkirche, vorbei an ihrem hohen Turm mit der Taube auf der Spitze, erkennt er an der westlichen Flanke des imposanten Baus einen aufklaffenden Rundturm. Eine offene Wunde. Ein Schloss sieht anders aus.
Ein Schloss ist ein Prachtbau, ein Palast. Und das Heidelberger Schloss ist gleich ein Pulk von einem Dutzend Palästen. Die umarmen einen großen Platz, eine schiefe Ebene, auf halber Höhe am Hang. Als wäre diese Zusammenrottung von Prachtbauten gerade dabei gewesen, den Berg hinauf zu klettern. In panischer Angst oder aus Größenwahn, wer weiß? Als plötzlich alles versteinerte.
Lies mehrUnd jetzt zerborstene Wehrtürme, viel dachlose Leere, Fensterlöcher mit nichts dahinter, erst teilweise wieder aufgeschichtetes Gemäuer um nichts herum, bizarre Reste, Ruinen, ausgebessertes Mauerwerk. Aber dort oben, in der Rückfront des Gebäudes über dem breiten Altan, da ist ein Fenster, hinter dem Licht zu sehen ist. Da sitzt der Schlossherr dem Hofnarren gegenüber.
„Ich bin am Ende“, so Carl Philipp zu Perkeo. Der große, massige Herrscher, mit seinen gerade erst 58 Jahren alles andere als ein alter Mann, auf seinem Sessel wie zusammengebrochen. Das Gesicht hinter beiden Händen versteckt. Ein Bild der Hoffnungslosigkeit. Kaum anzusehen.
Das war am Freitag, dem 6. Januar des Jahres 1719, Festtag der Heiligen Drei Könige. In der Morgensitzung mit Perkeo.
„So geht es nicht mehr weiter“, jammerte der allmächtige Herr der Kurpfalz. „Ich brauche Geld, Geld, Geld!“
Für seinen Hofnarren, einen spierigen Zwerg, kaum halb so alt, war das nichts Neues. Sind die Herren doch überall und zu allen Zeiten schneller im Geldrauswerfen als die kleinen Leute mit dem Abliefern der Steuern.
„Na, wenn unserem werten Landesvater sonst nichts fehlt“, tat Perkeo den Ausbruch der Verzweiflung lächelnd ab und holte aus der Tasche seines langen Rocks drei Silbermünzen. Die warf er mit lässiger Gebärde zwischen die Gläser, auf den kleinen Tisch, an dem sie sich gegenüber saßen. „Bitte sehr. Geld, Geld, Geld.“
Das ließ den Pfalzgrafen wütend aus seinem Kummersitz aufspringen. Ein wuchtiges Armschlenkern wischte die Münzen mitsamt den gefüllten Weingläsern und der Flasche vom Tisch. Mit hochrotem Gesicht stand er da vor seinem Hofnarren. Der Landesherr. Mit beiden Händen wild fuchtelnd zerriss er seine elegant gebundene und gepuderte Allongeperücke, dass es nur so staubte, als er seinen Hofnarren anschrie: „Wenn er glaubt, er könnte mich zum Narren halten, dann …“
„Du ein Narr, Pfalzgraf? Aber nein“, unterbrach Perkeo ihn lachend, „dazu fehlt dir jegliches Talent. Und das Talent zum Narrsein ist viel wichtiger als Geld, übrigens auch noch rarer.“
Der Pfalzgraf stand da wie eingefroren und starrte seinen Hofnarren an. So was ließ er sich noch sagen, der Herr des Heidelberger Schlosses. Das nahm er seinem Hofnarren nicht übel. Weil nach so einer Frechheit immer eine besonders pfiffige Bemerkung kam. Zur Entspannung, zur Belustigung oder sogar zur Lösung eines Problems.
Doch diesmal kam sie nicht, die erlösende Bemerkung. Dabei war der Pfalzgraf wie immer mit Perkeo allein in dem kleinen Empfangszimmer, in dem die beiden beinahe täglich zusammenkamen, um zu besprechen, was zu tun wäre. In der Sitzung des Intimen Kabinetts. So hochtrabend nannten sie das, was regelmäßig in einem Vormittagsbesäufnis endete.
Unübersehbar ging es diesmal jedoch um mehr als die Planung von Vergnügungen oder das raffinierte Taktieren in Regierungsfragen. Und es ging auch nicht bloß um Trost oder Ablenkung, sonst immer auf die übliche Weise gefunden beim Pfälzer Roten oder beim Riesling. Mal so und mal so. Was bei den beiden keine Glaubensfrage und keine Sache von Überzeugungen war. Bloß eine Frage der Stimmung. Die aber war an diesem frühen Januartag, kaum dass es in Heidelberg richtig hell wurde, schon im Kippen.
„Ich brauche Geld, Geld, Geld, das kann er mir glauben“, fauchte der Pfalzgraf seinen Hofnarren an. „Ich bin ein Wittelsbacher, ich vertrete eines der ältesten deutschen Hochadelsgeschlechter, ich war einer der Befreier der von den Türken im Jahre 1683 belagerten Stadt Wien, ich war Kaiserlicher Feldmarschall. Danach residierte ich als der Statthalter unseres verehrten Kaisers Leopold I. in der prächtigen Hofburg zu Innsbruck. Wo ich ihn, den frechen Nichtsnutz, gefunden und zu meinem Lustigen Rat gemacht habe. Ja, in Innsbruck war ich wer. Wäre ich nur dort geblieben. Denn hier in Heidelberg, als Pfalzgraf und Kurfürst bei Rhein, bin ich doch kaum mehr als ein Bettler, der in Ruinen haust.“
Eine ungewöhnlich lange Rede des Langen, wunderte Perkeo sich. Doch nahm er den Notschrei seines Herrn recht gelassen hin: „Du brauchst Geld, Pfalzgraf? Ja, wenn du mir das Salär regelmäßig zahlen würdest, das du mir versprochen hast, dann könnte ich dir jetzt etwas leihen. Aber so?“
„Verdammter Kerl!“, brüllte der Pfalzgraf sein Gegenüber an. Über den Tisch hinweg packte der riesenhaft wirkende Mann den Zwerg bei den Schultern, als wollte er ihn aus den Schuhen heben und in die Luft werfen. „Ich habe ihn zu meinem Berater gemacht, und jetzt brauche ich seinen Rat. Er aber berät mich nicht. Er hilft mir nicht zu Geld zu kommen. Dabei leide ich hier wie ein Fisch auf dem Trockenen. Diese schrecklichen Ruinen um uns herum, die machen mich trübselig. Aber das von den Franzosen vor dreißig Jahren in diesem unseligen Erbfolgekrieg zerstörte Schloss wieder halbwegs wohnlich zu machen, das kostet, kostet, kostet. – Ja, das kostet mich noch das Leben.“
Damit ließ der Pfalzgraf sich schwer in seinen Sessel zurückfallen. Wie schon im Sterben. „Oder nein“, fügte er dann, plötzlich wie verwandelt, an, „es könnte sein, und das wäre viel besser: Es kostet meinen Berater das Leben, dass er mich nicht berät.“
Pause. Stille. So verzweifelt hatte Perkeo den Pfalzgrafen noch nie erlebt. „Kaum auszuhalten“, murmelte er unwillig vor sich hin, während er sein von den wilden Händen des Pfalzgrafen derangiertes Narrengewand wieder zurechtzupfte.
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Libelle am 17. 11. 2024 schreibt:Walter Laufenbergs Regionalkrimi beleuchtet auf ebenso unterhaltsame wie tiefsinnige Weise eine historisch turbulente Zeit in Heidelberg. Der Roman schildert das Leben am Hofe des Pfalzgrafen Karl Philipp, dessen schillernder Hofnarr Perkeo nicht nur für humorvolle Einlagen, sondern auch für das Beschaffen von dringend benötigtem Geld verantwortlich ist. Dabei nimmt der Autor seine Leser mit in eine spannende und zugleich skurrile Geschichte, in der Kriminalfall und Zeitgeschichte miteinander verschmelzen.
Der Pfalzgraf Karl Philipp steht vor einer Mammutaufgabe: Sein Heidelberger Schloss ist ...(zum Weiterlesen den Link https://literaturzeitschrift.de/book-review/weinkumpane/ anklicken)
Doris Gsell-Urbanek, Triesen in Liechtenstein, am 23. 11. 2024 schreibt:Als Regierende vorbildlich?
Anfang des 18. Jahrhunderts im Heidelberger Schloss, das nach den Pfälzer Erbfolgekriegen eine Ruine und nur noch teilweise bewohnbar ist: Der Landesherr, Pfalzgraf Carl Philipp, ist mal wieder in arger Finanznot. Er und der zweitwichtigste Mann der Pfalz, sein Hofnarr Perkeo, sitzen immer wieder beim Wein und besprechen die Lage. Wo soll Geld herkommen? Da hat Perkeo den rettenden Einfall. Carl Philipp ist von der Idee begeistert. Doch eines Morgens liegt der Hofgeistliche auf der steilen Schlosstreppe, und der Hofmedikus stellt seinen Tod fest. Daraufhin macht der Pfalzgraf seinen Hofnarren zum Ermittler, gegen dessen heftigen Widerstand. Die ungewöhnliche Art der Ermittlung, die Perkeo sich erlaubt, führt zu weiterem Mord und Totschlag.
Dabei hat der Pfalzgraf schon Ärger genug in Heidelberg mit religiösen Streitigkeiten zwischen Katholiken und Protestanten, Calvinisten und Jesuiten. Schließlich benutzt er diese Auseinandersetzungen dazu, seine Residenz von Heidelberg nach Mannheim zu verlegen und sich dort ein neues, prächtigeres Schloss zu bauen, natürlich auf Kosten seiner Untertanen.
Perkeos Ermittlungen zeugen von geistiger Überlegenheit des Spaßmachers über den Landesherrn. Carl Philipp, der Perkeo offenbar unterschätzt hat, fühlt sich bloßgestellt. Und Perkeo wird kaltgestellt. Das Buch ist also ein Doppel-Porträt von zeitloser Gültigkeit: Der absolutistischer Herrscher und sein Helfer, der, wenn er zuviel weiß, schlicht eliminiert wird. Es verliert sich seine Spur.
Perkeo ist schon öfter in Büchern von Laufenberg Thema gewesen (u.a. in der Romanbiografie „Perkeo, der Zwerg von Heidelberg“). Hier wird der historisch belegten Figur eine weitere Facette hinzugefügt, die dem Autor Gelegenheit gibt, in geistreichen Dialogen den Hofnarren lebendig werden zu lassen.
Die Vorliebe des Autors für Romane, die Menschen der historischen Bühne mit der Gier nach Macht und Eitelkeiten ausstattet, bringt der neue Roman auf den Punkt. Und wenn man "Perkeo, der Zwerg von Heidelberg" gelesen hat, ist einem das Buch "Weinkumpane" sofort vertraut. In Gedanken ist es für mich eine neuerliche Begegnung mit den beiden so ungleichen Männern, die nicht voneinander lassen können, sich wie wild streiten und ebenso wieder als ein Herz und eine Seele das nächste Abenteuer anstreben. Mit Schlitzohrigkeit von beiden Seiten wird nicht gespart. Die Schlossruine, in der gelebt, geliebt, gelogen, gestritten und versöhnt wird, könnte denkwürdiger nicht sein, wenn auch die Mauerreste von höchster kriegerischer Brutalität zeugen. Die grandiose Aussicht vom Schlosspark auf das malerische Neckartal lenkt von diesen schlimmen Ereignissen ab.
Unverwechselbar auch in diesem Roman die wunderbare Sprache und die Vielfältigkeit der Menschen, die mit ihren Eigenarten sowie Aktivitäten das Gesamtbild gestalten. Ich kann nicht genug davon lesen.