Beobachter

Book Cover: Beobachter
Editionen:Hardcover: € 22,50 EUR
ISBN: 978-3-947404-54-4
Größe: 13,50 x 21,00 cm
Seiten: 267

Ein Gott, der in Menschengestalt auf die Erde kommt, das hat es öfter und in den unterschiedlichsten Kulturen gegeben. Schon immer ein großes Thema der Weltliteratur. Der Romancier Walter Laufenberg setzt die Tradition dieser geheimnisvollen Besuche mit dem Göttervater Zeus fort.
Der hat mal wieder das Bedürfnis, eine Frau zu verführen. Dafür lässt er sich unter falschem Namen in das Schriftstellerzentrum Rhodos einladen, neben dem die heimlich Auserwählte wohnt. Ihr will er einen Sohn schenken, der in dem literarischen Umfeld gezeugt – natürlich ein Halbgott der Literatur werden muss.
Doch dann das!

Zeus achtundzwanzig Tage auf der Ferieninsel Rhodos. Augen nur für eine einzige Frau. Er muss aber einsehen: Bei der Erschaffung des Menschen haben wir Götter was falsch gemacht. Wenn der Mensch, unser schönes Spielzeug, immer tüchtiger wird, kann er eines Tages uns Götter zu seinem Spielzeug machen – wenn nicht zu noch ganz Anderem. Womit der Göttervater Zeus ungewollt zum prominentesten Warner vor den Gefahren des menschlichen Strebens nach Vollkommenheit bis hin zur Künstlichen Intelligenz wird.

Veröffentlicht:
Verlag: Salon Literatur Verlag
Genres:
Auszug:

Der Anfang als Leseprobe

Erster Tag

Hier wird es passieren: Im letzten Haus links an der Laskou-Straße in Rhodos. An dieser zwar glatt asphaltierten, aber reizlos leeren Bergstraße, die überhaupt nichts bietet und dann auch noch abrupt gekappt wird. Von diesem Rundbogentor, das zu dem Haus am Abhang führt. Zu dem fremdartigen Bau, der nach Besatzerart breitärschig dasitzt, hoch über den Wassern zwischen der Insel Rhodos und dem türkischen Festland.

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Atemberaubend steil und vielversprechend geht es von der Insel-Querung, der so abgasigen wie lärmigen Papalouka-Straße, den Hang hinauf, vorbei an der Müllsammelstelle mit den übervollen, offenen Müllcontainern und den darin wühlenden Katzen. Aber nur bis zu dem dicken Pfropfen, diesem steinernen Mastkorb, den die Engländer an das Straßenende gebaut haben. Ihr Beobachtungsposten an der Nordspitze der Insel. Das stets wache Wächterauge. Für die Britische Admiralität auch die Standarte im Wind, die stolz verkündete: Britannia Rules the Waves.  ̶  Nun ja, hat sich erledigt. Aber Stein ist Stein, und der bleibt im Weg liegen. 

                                           *

In dem prächtigen Haus der britischen Meereskontrolleure und seinem schlichten Anbau sitzen seit einigen Jahren, aber immer nur für wenige Wochen, einige Stipendiaten, Männer und Frauen aus europäischen Ländern, die Schriftsteller oder Übersetzer sind. Das stets sorgsam polierte Messingschild neben dem Haupteingang verkündet voller Stolz: International Writers’ and Translators’ Centre of Rhodes.

                                             *

Das heißt, im ehemaligen Ausguck wächst Literatur heran. In der Hoffnung, etwas üppiger zu gedeihen als der eigentlich zu erwartende klassische Palmenhain. Der dort fehlt. Ihn vertritt vor dem Haus ein einsamer, aber strammgerader Schuppenstamm mit ein paar Wedeln drauf. Gestatten: Ich bin die Palme vom Dienst.  ̶  Danke. Ich bin beeindruckt.

Aus gutem Grund beeindruckt. Ist sie doch so unerwartet eifrig, die Palme. Zur Betonung ihrer Imposanz, die doch keiner Nützlichkeit bedarf, streut sie Jahr für Jahr zuverlässig ihre Samen aus. Zukunftshoffnungen, die auf dem kleinen Vorplatz des Hauses sofort ordentlich zusammengekehrt und den Hang hinunter gefegt werden. Wo im Müll unter dem wilden Gesträuch kein einziges Samenkorn die Chance hat, ins Leben hineinzukrabbeln.

Das wird also nichts mit Palmenhain. Dort, am Ende der Laskou-Straße, wird bloß in diversen Sprachen an Literatur gearbeitet, die  ̶ griechisch verwaltet und mit Unesco-Subsidien sowie Almosen von diversen europäischen Autorenverbänden ernährt  ̶  ihre Würzelchen im Schutt auszustrecken versucht. Die lorbeerbekränzte Stirn noch nicht in Sichtweite, eher die in Weinlaub eingewickelten Schädel der Stipendiaten. Aber dazu hier nichts weiter, denn das ist Sache meines Sohnes Dionysos.

Jedenfalls ist festgehalten: Dort muss es passieren. Gerade da und nirgends sonst. Dicht bei dem Literaturzentrum. Weil das Leben und die Literatur immer …   

Moment mal, bei der kurzen Einweisung für den neuen Stipendiaten hatte es geheißen: Alles auf dem Schreibblock Notierte sofort in dieses Laptop genannte Schreibtäfelchen eingeben. Vom Haus leihweise zur Verfügung gestellt. Na, wunderbar. Der Apparat nimmt alles, was ich eintippe, Wort für Wort auf. Das dann speichern unter Rhodisches. – Geschafft.

                                             *

Gegründet haben wir das Internationale Schriftsteller- und Übersetzer-Zentrum von Rhodos auf dem Olymp. Dort kam die Idee auf. Wenn die jetzt hier in Rhodos so eifrig an würdigen Worten würgenden Literatur-Adepten aus diesem und jenem Land das wüssten, sie wären so stolz, dass sie über ihre eigenen Füße fallen würden. Das gilt erst recht für die Griechen, die dort als Verwalter herumsitzen. Aber von dieser heroischen Gründung weiß zum Glück niemand, und es wird auch kein Sterblicher je davon erfahren.

                                               *

Doch hier, im literarischen Abseits, vor den Augen der Welt absolut sicher versteckt, kann ich es unbesorgt diesem Computer anvertrauen: In der Runde der auf dem Olymp versammelten Götter war Apollon, immerhin Schutzgott der Seher, Sänger und Dichter, von irgendwoher die Idee zugeflogen, die vielen verschiedenen Zungen der Menschen zu einem gemeinsamen Singen zu bewegen. Fiel ja in seine Zuständigkeit. Völkerverständigung nannte er das, und die sollte natürlich dem verstärkten Lob von uns Göttern dienen. Dichtung aller Art sollte gefördert werden, nur Marschlieder wären verboten. Für diese Kulturinitiative die ehemalige Beobachtungsstation der Britischen Admiralität zu nutzen, das fanden wir im Rat der Götter, wo man sich selten einig ist, erstaunlicherweise sofort alle gut.

Apollon kreierte damit eine olympische Minute der Einigkeit. Wir Überirdischen, die wir, zugegeben, uns sonst ein Vergnügen daraus machen, uns wechselseitig Steine in den Weg zu legen und immer den Gegner des göttlichen Verwandten zu unterstützen, wir schauten uns erstaunt an und sagten einer nach dem anderen zu dem Rhodos-Projekt: „Ja.“

                                             *

Sogar Poseidon, wegen seiner Neigung zur Gewalt als Beherrscher der Meere und meist vergeblich angeflehter Schutzgott der Seefahrer gefürchtet, sah sich bestätigt, weil mit der neuen Bestimmung der alten Gebäude die Erinnerung an die stolze Admiralität in London, die ihm die Herrschaft über die Meere streitig gemacht hatte, endlich ausgelöscht würde.

Der Sonnengott Helios, stolzer Beschützer der Insel Rhodos, wo man ihn liebevoll Ilios nennt, fühlte sich geschmeichelt von der neuen Bedeutung, die seine Insel bekommen sollte. Und so versprach er in spontaner Spendierlaune, das geplante Zentrum der schönen Worte nach Kräften zu unterstützen. Dabei war zwar nicht von Erleuchtung die Rede, wohl aber von jeder Menge Sonnenschein und Hitze pur.

Natürlich war Dionysos, weinselig wie immer, gleich für das Projekt. Er habe den richtigen Stoff zur schnellen Animation des Gehirns,  prahlte er, wenn ein Schreiber mal nicht wüsste, was er schreiben soll.

Auch meine kapriziöse Tochter Athena war einverstanden. Als Schutzgöttin der Künste und Hüterin des Wissens, so verkündete sie, sei sie unter anderem für Spinner und Weber und alle anderen sich nur mühsam ernährenden Handwerker zuständig, also auch für Schriftsteller.

Hermes, unser windschneller Eilbote, zeigte sich ebenfalls sehr angetan von der Idee eines Schriftstellerzentrums. Würde so eine Zusammenballung von kunstbegnadeten Menschen, die potentielle Adressaten von Götterbotschaften werden könnten, für ihn die Wege doch angenehm verkürzen. Das war wieder typisch Hermes. Der schlaue Bursche weiß seine Meinung und seine Absichten immer so geschickt zu kostümieren, dass niemand weiß, ob das Schaf diesmal den Wolf gerissen hat oder doch wieder der Wolf das Schaf.  

Zuletzt meldete sich sogar noch Priapos zu Wort, der sich sonst immer sicher ist in der Meinung, bei ihm sei die wortlose Allmacht. Er stellte auf seine unverschämte Art die Vermutung in den Raum: Wenn der Göttervater Zeus was vor hat, dann weiß man, das wird ein beispielhafter Opferdienst für mich. Soll er also!                                                                         

                                                 *                         

Und wie ich, Zeus, das sah? Ich war zufrieden damit, dass ich mich einmal nicht selbst um alles kümmern musste. Wobei ich mir aber gleich vornahm, das Projekt höchstpersönlich einer kritischen Prüfung zu unterziehen, wenn es erst einmal so richtig ins Laufen gekommen wäre. Wieder einmal Mensch sein, wieder einmal mich richtig menschlich fühlen, wie schon einmal vor langer, langer Zeit. So ohne festes Fundament, alles im Wind. Mensch sein, das heißt, alles hat Hand und Fuß, wenn auch mit unsichtbaren Handschellen an allen Hand- und Fußgelenken. Ich beschloss vorzuführen, was trotzdem möglich ist. Als Gott in größtmöglicher Distanz zur Versammlung der Götter auf dem Olymp. Als Mensch einer unter allen und einer wie alle. Weil alle Eins und Nichts. Also ein Gottmensch.  ̶   Am besten wohl gefühllos bis eiskalt. Deshalb auch in Menschengestalt einfach göttlich.

Obwohl für mich als Gott der Wandel zum Menschsein ein Abstieg sein wird, die Portion männliche Lust, die ich damit gewinne, geht als Zinsertrag auf das göttliche Nullkonto, sagte ich mir. Deshalb freute ich mich schon darauf, meinem neuerlichen Besuch den fehlenden überirdischen Glanz zu verleihen. Auf der Insel Rhodos, auf einem verlorenen Fleck Erde an der öden Laskou-Straße, diesem Nebensträßchen, das den Namen eines Offiziers ertragen muss, so mein spontaner Entschluss, exakt da werde ich einen Halbgott der Literatur zeugen. Hatte ich doch gerade dort das weibliche Wesen entdeckt, das passend schien und jeder Bemühung wert. Sogar göttlicher Bemühung.

Was ich aber vorsichtshalber nicht aussprach, weil meine liebe Schwester Hera, immerhin meine eheliche Bettgenossin, die neben mir an der reich gedeckten Tafel saß, schon wieder eifersüchtig Ohren und Näschen spitzte. Als ob sie meine Gedanken hören oder riechen könnte. Konnte sie vielleicht wirklich. Wer weiß. Immerhin ist sie so etwas Nichtdefinierbares: Eine Frau. Und was für eine Frau. Unübertrefflich schön und reizvoll und bemüht, mir zu gefallen.  –Deshalb brauchte ich dringend eine Auszeit vom Olympischen.

Ist doch selbst für uns Götter immer wieder überraschend, was uns alles an Menschlichem und Übermenschlichem möglich ist – schon allein, wie ich jetzt dieses Laptop-Ding meinen Fingern untertan mache. Was die Menschen sich mit diesem Wunderbrettchen geschaffen haben, das ist ihnen selbst wohl in seiner ganzen Bedeutung unerklärlich, sonst hätten sie ihm nicht so einen unsinnigen Namen gegeben. Laptop, was für ein Unding. Aber zum Glück wenigstens kein jüdischer oder christlicher, auch kein islamischer, hinduistischer oder buddhistischer Name. Also nicht von der Konkurrenz.

                                              *

Ich will und muss wieder mal ein Mensch sein. Dabei ist die Frage, was an uns Göttern göttlich ist und was schon menschlich, noch immer offen. Ich habe leider noch nicht die Zeit gefunden, für eine klare Scheidung und Beschreibung zu sorgen. Aber wofür sind wir Götter unsterblich, wenn nicht dafür, uns Zeit zu lassen und erst nach gehörigem Zeitablauf auch noch die letzten drängenden Probleme zu lösen. Kommt Zeit, kommen wir Götter. –  Aber nun Schluss mit Gott und allem Göttlichen, ich bin jetzt ein Mann, nichts als ein schon recht bejahrter Mann. Da darf ich mir wohl „Gute Nacht!“ wünschen.

Zweiter Tag                                       

Zweifle ich schon selbst an mir? – Nein. Was mir als alt erscheint und was nicht, das ist mir alles gleich unbedeutend. Mensch sein heißt, dass nicht nur die Augen kurzsichtig sind. Deshalb zurück zu meinem Plan: Verführung einer Schönen, verbunden mit der Zeugung eines Halbgotts der Literatur. Aber zunächst die genauere Ortsbestimmung: Unmittelbar vor dem abrupten Ende der Laskou-Straße mit dem Literaturhaus steht links ein unscheinbares Häuschen. Das ist die Behausung der Schönen. Fast möchte ich sagen: ihr Gral, zumindest ein Tempel des absoluten Liebreizes. Dabei sieht man nur eine plump hingestreckte Hütte vor sich, die in das struppige Gesträuch am Berghang hineingepresst wurde. Als hätte dieses Häuschen Platz machen müssen für die Straße nach Nirgendwo. Wäre ja sehr passend. Ein eingeschossiger Bau im Barackenformat. Wie übriggeblieben von den Unterkünften der Bauarbeiter, die den Engländern gedient hatten. Ein Symbol der Vergänglichkeit, von der Natur zum Teil schon gnädig überwuchert mit mediterranem Blattwerk und Blühen, trotzdem erbärmlich. Eine hoffnungslos unansehnliche Hütte.

                                              *

Aber wenn die Bewohnerin dieser Elendskate aus der grüngrauen Verstrickung hervortritt, was für ein Bild. Eine junge Frau in grellbunter Kleidung. Wie viel Frau da in dem meerblauen Hemd steckt. Und wie viel königliche Haltung. Darüber das lange schwarze Haar, auf dem Hinterkopf zusammengerafft, dass es wie eine Piratenfahne im rhodischen Dauerwind weht. Die stramme rote Hose, so kurz, darunter kräftige Beine, sonnengebräunt, und die Füße in goldenen Flip-Flops.

„Nicht zu übersehen: eine Schönheit. Rundum eine wahre Freude.“

„Die Frau, ja, die kenne ich. Die kannst du vergessen. Die ist ein Flop“, verriet mir der erste Fremde, mit dem ich in der engen Gastwirtschaft ins Gespräch gekommen war. Beim zweiten Ouzo.

                                          *

Dabei hatte ich den Mann nicht nach seinem Urteil gefragt, als ich von der wunderbaren Entdeckung schwärmte. Seine Bemerkung entsprang vermutlich dem Jammerbedürfnis eines enttäuschten Liebhabers. Muss man ja Verständnis für haben, zumal als Gott. Also nichts dazu sagen. Ist doch bei den Menschen schon in der Kindererziehung der Satz ein Gesetz: Man muss auch weghören und wegsehen können. Dieses Gesetz muss für einen Gott im Umgang mit den Menschen generell gelten. Andernfalls müsste man als Gott gleich abdanken.

Doch diesmal nützte das Drüberweghören nichts. Der Mann hielt es offenbar für seine Pflicht, mich umfassend aufzuklären über das Weiberangebot am Ende der Laskou-Straße, wie er das Thema seines Palaverns umschrieb. Wohl in philanthropischer Absicht, um mir einen Reinfall zu ersparen, wie er ihn mal erlebt haben muss.

                                             *

Den Anisschnaps schüttete ich unverdünnt in mich hinein, was den Mann wunderte. „Was hast du gegen Wasser?“

„Nichts.“

„Keinen Durst?“ 

„Ich trinke lieber Wein, einen süßen Landwein, aber geharzt muss er sein.“

„Wo leben solche Leute, denen sogar das geharzte Zeug gut schmeckt?“ 

Das brachte uns von dem Thema Frau ab. Schade, aber nicht zu vermeiden. Der Fremde setzte offenbar andere Prioritäten als ich. Dabei war er etwa in meinem Alter, so um die Fünfzig, also noch, was die Menschen sprunghaft nennen.

„Ja, ich komme von sehr weit her.“ Eigentlich eine nichtssagende Antwort. Doch auch eine ehrliche. Warum nicht mal ehrlich sein? Aber ich wollte mich nicht einem Verhör ausliefern. Dafür machte der Mann mich zu unsicher. Gerade erst angekommen, musste ich doch erst einmal richtig Fuß fassen auf diesem Erdenfleck. Einfach zu lange nicht Mensch gewesen.

                                              *

Die Frage nach meiner Herkunft blieb offen. Ich wollte mich nicht genauer verorten lassen. Das musste mein Gesprächspartner schließlich einsehen. Doch zeigte sich seine Neugier immer noch wach, als er sich mir förmlich vorstellte: „Ich bin Geórgios – und du?“

In dem Moment sah ich mich wieder bei meiner Ankunft in diesem  Schriftstellerzentrum, gestern im Büro des Direktors. „Wir sprechen uns hier alle nur mit Vornamen an, um jede Fremdheit von vornherein auszuschließen“, so hatte der Direktor mich bei der Begrüßung aufgeklärt. Und meinen vorsichtig angebrachten Einwand, dass wir Autoren doch alle ein Leben lang darum bemüht seien, unseren Familiennamen als unser großes Markenzeichen bekannt zu machen, weil dieser und nicht der Vorname in die Lexika, in die Verkaufskataloge und in andere Nachschlagewerke kommen soll, hatte er kurz abgetan mit: „Das ist ein Marketinggesichtspunkt, der in unserem Haus natürlich keine Rolle spielt, weil es bei uns ausschließlich um die Förderung der Kreativität geht.“

                                               *

Für den Direktor hatte ich schnell ein verständnisvolles „Aha“ übrig,   an der Theke aber nur Widerspenstigkeit gegenüber der Wirtshausbekanntschaft Geórgios und dessen Versuch der Umarmung. Schon peinlich, wie man als Mensch dazu neigt, falsch zu reagieren. Auf mich passe jeder Name, beschied ich mein Gegenüber mit freundlichem Lächeln. Weil jeder Name bei mir im Grunde genommen auch völlig unpassend sei.

„Nämlich?“

„Sag doch einfach Xénios zu mir. Oder meinetwegen auch Meilíchios. Oder irgendwas sonst. Ganz wie du willst.“

Was wohl doch nicht das passende Entgegenkommen war. Denn damit endete unser Gespräch. Keine Chance mehr, etwas über die bunte Frau aus der Hütte zu erfahren, die er wohl kannte, weil er sie so verächtlich abtun konnte. Mein neuer Bekannter Geórgios zahlte und ging, grußlos. Ich verstand: Menschen bleiben einander gerne Rätsel, weil das ihre Bedeutung zu erhöhen scheint.

                                              *

Und noch etwas wurde mir damit klar: Menschen haben ein merkwürdiges Kontaktbedürfnis. Sie sagen, man müsste sich kennenlernen, doch meinen sie damit nicht sich, sondern einen anderen, den sie kennen lernen wollen. Und wenn der sich nicht zu erkennen gibt, fühlen sie sich betrogen. Sich selbst kennen sie ja schon viel zu lange und viel zu gut, glauben sie zumindest.

                                              *             

Alleingelassen in der mir noch etwas fremden Menschenhaut gilt für mich, zu was ich dem Fremden gerade raten wollte, was ich ihm aber nicht mehr sagen konnte. Weil er schon weg war, als ich meine Gedanken entsprechend vorgeordnet hatte. So was braucht Zeit, musste ich zu meinem Schrecken feststellen. Menschsein ist auch im Denken Zeitverschwendung.

Trotzdem schnell einmal zurückgreifen nach dem, was ich Geórgios hatte sagen wollen: Stell dich, einen Pokal voller Wein in der Hand, so in die Welt, dass dir die Sonne in den Nacken scheint, dann hast du die Ordnung des Weltalls neu hergestellt, und das nach deinem Willen. Denn du hast auf einfache Weise die Sonne verdoppelt. Hast sie jetzt im Glas und auf der Haut. Dir zu Gefallen, ja, voll und ganz zu deinen Diensten. Was dann deine Kehle hinunter läuft, hat es so eilig, weil es das Ziel verfolgt, den Gedanken so vom Alltag abzulösen wie die Sonne von ihrer Bahn. In dem Moment hast du die Umlaufbahnen des größten wie des kleinsten Gestirns umgelenkt, und du fühlst dich plötzlich den Göttern gleich.

Dann, Glücklicher, nutze die Stunde und zeig deine Spielpossen. Damit die Götter einmal alle Missgunst vergessen können, auch den Neid und die Lust zu quälen, und dich gern als Gespielen akzeptieren. Für einen großen Augenblick dir zugetan, weil du ihre olympische Langeweile unterbrichst, diese endlose Qual der vermeintlichen Vollkommenheit.

                                              *

Dieser Geórgios hat Glück gehabt. Was hätte der Kerl mit meinem Geschwätz anfangen sollen. War das doch keine Orientierungshilfe. Die Welt, die wir geschaffen haben, sie ist zu verwirrend geworden für derart feine Sätze. Ich glaube, hier auf Rhodos muss ich mir alles Heilige und den großartigen Ausspruch verkneifen, Alles Erhabene passt nicht zum Kostüm. Und ich muss möglichst noch am selben Tag löschen, was ich an Gedanken aufgeschrieben habe, die mir zwischen die Erlebnisberichte geraten. Weil sie mich verraten könnten. So wird mein tägliches Schreiben ein Pflanzen und Jäten mit ein- und derselben erdverschmutzten Hand.

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