Rosenwasser und elf Jungfrauen
(Andreas Izquierdo: König von Albanien, Roman, Rotbuch-Verlag, Berlin 2007, 398 Seiten, € 19.90)
Der Autorenkreis Historischer Roman, der unter dem programmatischen Namen Quo Vadis rund einhundert Schriftstellerinnen und Schriftsteller vereinigt, hat auf seinem Jahrestreffen in Speyer dem in Köln lebenden Autor Andreas Izquierdo den Sir-Walter-Scott-Preis 2008 für den besten historischen Roman verliehen. Die Quo-Vadis-Gruppe ist so großzügig, den Preisträger von einer unabhängigen Jury ausgucken zu lassen, und das nicht allein unter den Quo-Vadis-Mitgliedern. Klar, dass diese Generosität in den eigenen Reihen nicht nur Zustimmung findet. Aber man will keine Club-Exklusivität, und der Effekt ist ja auch überzeugend.
Schon der erstmals im Jahre 2006 vergebene Preis ging ebenfalls an ein Nicht-Mitglied von Quo Vadis, nämlich an Markus Orths für den wahrhaftig preiswürdigen Roman „Catalina“ (siehe die Besprechung in diesem Magazin). Mindestens ebenso preiswürdig ist der „König von Albanien“. Während die Verlage immer noch bemüht sind, den historischen Roman ins Mittelalter-Korsett einzuschnüren, hat Izquierdo sich an eine Geschichte gewagt, die unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs spielt.
Das Ergebnis ist ein Hochstapler-Roman, also ein so vergnüglicher Lesestoff wie „Die Geständnisse des Hochstaplers Felix Krull“ von Thomas Mann. Diesem aber insoweit überlegen, als er mit authentischer Hauptfigur antritt – es hat den Rumtreiber und Kurzzeit-König Otto Witte wirklich gegeben – und mit sehr informativen En-Passant-Einblicken in die Vielvölker-Problematik des Balkans und das politische Gerangel im Hintergrund, das zum Krieg führte. So kann ein Hochstapler-Roman sogar zum historischen Roman werden. Überlegen ist der „König von Albanien“ auch damit, dass der Autor, anders als Thomas Mann, seinen Protagonisten ernst nimmt. Das Buch ist nur teilweise nach dem bewährten Muster des pikarischen Romans gestrickt, in dem der Nicht-Held auf seinem wirren Lebensweg immer wieder in Fettnäpfchen tritt und in jede Grube fällt und so gesellschaftliche Übelstände entlarvt, dabei für die Leser aber zu einer komischen Figur wird. Mit der Folge, dass man bedauert, dem Schelm bei seinem mal listigen Betrügen, mal tölpelhaften Herumstolpern nicht helfen zu können, sich aber bemühen will, in ähnlichen Situationen selbst besser die Kurve zu kriegen. Desillusionierung und Lebenshilfe für die Leser. Das ist bei dem „König von Albanien“ anders. Dieser Roman ist auch nicht ein ausgesprochen lustiges Buch nach Art des „Don Quichotte“ von Cervantes oder wie „Der brave Soldat Schwejk“ von Hašek oder à la „Gil Blas“ von Lesage. Dieser Otto Witte ist von ganz anderem Format. Er ist keiner von den Nichthelden aus der Familie Hans-guck-in-die-Luft. Er ist ein Held, mit einer ungewöhnlichen Intelligenz und Schlagfertigkeit gesegnet, wodurch er stets der Herr der Situation bleibt. Und in die unangenehmsten Situationen gerät er nicht aus Versehen, sondern weil er eine ausgemachte Spielernatur ist.
Eine Charakterisierung des Protagonisten Otto und seines treuen Freundes Max bringt der Autor auf S. 66/67: „Otto wusste, dass Menschen selten das sehen, was sich tatsächlich vor ihren Augen abspielte, sondern meistens das, was sie sehen wollten. In dieser Lücke des Lebens bewegten sich Menschen wie Otto und Max, aus dieser Lücke heraus erschufen sie sich die Freiheit, durch alle Gesellschaftsformen zu geistern, ohne von deren Normen und Notwendigkeiten eingeschränkt zu sein … Teil einer glücklichen Konstellation, die gerade in Zeiten der Unruhe und des großen Durcheinanders denjenigen zu außergewöhnlichen Leistungen anspornte, dessen Wille und Mut größer war als der seiner Umgebung. Es war die Zeit der Hasardeure. Und Otto Witte war ihr vornehmster Vertreter.“
Andreas Izquierdo hat nicht mehr und nicht weniger geleistet als einem Hasardeur ein Denkmal zu setzen, indem er dessen dreistestes Bubenstück zu einem Stück anspruchsvoller Literatur werden ließ. Und das auf eine so spannende und amüsante Weise, dass es sich lohnt, einmal einen Blick auf die Machart dieses Romans zu werfen. Zunächst versetzt er seine Leser in eine Irrenanstalt in Salzburg. Damit entführt er jeden aus seiner gewohnten Umgebung. Diese Situation entpuppt sich als Rahmenhandlung, die zunächst nur dazu dient, den Protagonisten Otto Witte, der als der Unangepasste zwischen den Geistesgestörten lebt, zum Erzählen zu bringen. Dies jedoch nicht in der Ich-Form, wie im Schelmenroman meist üblich.
Überraschend wird die Anstalt später wieder aufgenommen und erzählerisch ausgebaut und so zur Gegenwelt aufgewertet. Mit einem eigenen Protagonisten, und das ist ein junger Assistenzarzt namens Schilchegger, der dabei ist, seine Doktorarbeit in Psychiatrie zu schreiben. Wie dieser junge Wissenschaftler allmählich und von Otto Witte beeinflusst zu dem über sich selbst hinauswachsenden und damit seine Karriere ruinierenden Helfer der ihm anvertrauten unglücklichen Menschen wird, das lässt einen Roman im Roman entstehen, und zwar einen durchaus überzeugenden Entwicklungsroman.
Izquierdo ist ein routinierter Autor von Kriminalromanen und arbeitet deshalb selbstverständlich auf Spannung hin. Er zeigt aber, dass sich nicht immer alles um einen Mord oder ein ähnliches Verbrechen drehen muss. Er liefert die unblutige Version des Aufklärungsbedürftigen, und das ohne einen Aufklärer. Die am Anfang nur nebenbei gebrachte und auf dem Buchumschlag wiedergegebene Bemerkung, der als verrückt in die Heilanstalt eingelieferte Otto Witte sei tatsächlich fünf Tag lang König von Albanien gewesen, setzt einen Spannungsbogen, der bis zur letzten Seite trägt, obwohl die Königs-Proklamation schon auf Seite 288 erfolgt. Man kann nicht anders als dieses Buch ganz lesen. Da wären die Cliff-Hanging-Effekte, die der Autor geschickt an fast jedes Kapitelende setzt, fast schon verzichtbar gewesen.
Nicht zuletzt überzeugt die Sprache dieses Romans. Keine Larmoyanz, keine Redundanz, dafür aber feinfühlig angespitzte Dialoge. Wo Andreas Izquierdo es für angebracht hält, einmal Tageszeit und Wetter zu beschreiben, da tut er das kurz und treffsicher mit neuen und überraschend schlichten Ausdrücken. Überhaupt vermeidet er die gängigen Klischees. Er lässt einem mit seiner sublimen Ironie die Lektüre dieses Romans zu einem einzigen Vergnügen werden, so dass man schließlich bedauernd sagt: Wäre König Otto I. von Albanien doch länger auf seinem Thron geblieben, in seinem vergammelten und behelfsmäßig mit Rosenwasser ausgewaschenen Palast in Tirana mit dem schnell eingerichteten Harem, in dem die elf Jungfrauen auf ihn warteten – auf dass der Roman noch hundert Seiten weiterginge.
(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)