Adams Äpfel

(Adams Äpfel, DK 2005, 93 Minuten, Drehbuch und Regie: Anders Thomas Jensen)

Der aus dem Knast entlassene Adam stößt als Neuer zu der Gruppe von ehemaligen Straffälligen, um die sich der Landpfarrer Ivan kümmert. Dem Skinhead wird der Apfelbaum im Pfarrgarten, der der ganze Stolz des Pfarrers ist, als Arbeitsfeld zugewiesen. Er soll ihn pflegen und eines Tage auch abernten, weil er auf Ivans Frage nach seinem Lebensziel die trotzige Antwort gegeben hatte, einen Apfelkuchen backen zu wollen.

In dieser Resozialisierungskommune trifft Adam auf den Araber Khalid, einen schießwütigen Tankstellenräuber, dem ein Menschenleben nichts bedeutet, auf den fress- und trinkbegierigen Triebtäter Gunnar, der ein ehemaliger Tennisheroe ist, ferner auf den alten Paul, der im KZ war, und auf die versoffene Sarah, die als WWF-Mitarbeiterin in Fernost von einem Einheimischen geschwängert wurde, von dem sie mehr nicht weiß.

Der unerschütterliche Gutmensch Ivan sieht in allen Menschen nur Gutes und schiebt alles Böse dem Teufel zu, der uns jederzeit zu verführen sucht. Er nimmt es wehrlos hin, dass Adam ihn zusammenschlägt. Sein Credo ist: „Wenn wir allein der Vernunft folgen würden, wäre die Welt ein düsterer Ort; man muss seinem Herzen folgen.“ Adam hält das für „Barmherzigkeitspisse.“ Der unverbildet brutale Knasti Adam erkennt, dass der Pfarrer nicht überlegen ist, sondern besessen. Und dass er sich in eine totale Verdrängung alles Negativen geflüchtet hat. Der Pfarrer will das Hitlerbild des Neonazis Adam nicht erkennen und den Namen Goebbels nicht richtig aussprechen können. Für ihn ist einer, der im KZ war, ein guter Mensch, auch wenn er wie Paul dort nicht als Häftling war, sondern auf der anderen Seite. Ivan will nicht wahrhaben, dass  er als Kind ein Vergewaltigungsopfer war, seine Frau mit Tabletten Selbstmord begangen hat und dass sein kleiner Sohn im Rollstuhl spastisch gelähmt ist.

Unerschütterlich zeigt Pfarrer Ivan dem Teufel die Stirn. Doch wird seine Oase der Gutherzigkeit vom Pech verfolgt. Der alte Paul stirbt, die Äpfel werden zuerst von Scharen hungriger Vögeln zerhackt, dann von einer Madenplage vernichtet. Schließlich wird der Baum vom Blitz getroffen und in Brand gesetzt. Adam läst die Erklärung, der Teufel sei hinter ihnen her, nicht gelten. Er sagt dem Pfarrer ins Gesicht: „Gott hasst dich.“ Damit schafft er bei Pfarrer Ivan zumindest vorübergehend eine Unsicherheit. Ivan blutet vor Aufregung aus dem Ohr. Er hat einen großen Tumor im Kopf, wie ein Arzt, ein zynisch realistischer Widerling, feststellt. Mit der Prognose, Ivan habe nur noch wenige Tage zu leben. Zu alledem überfallen Gangster die Kommune, wobei der Pfarrer einen Kopfschuss erhält.

Wie durch ein Wunder wird dadurch alles wieder gut. Der Tumor ist weggeschossen, der Pfarrer gerettet. Und neue Straffällige ziehen zu ihm. Adam ist zum Lebensretter geworden, der skrupellose Khalid ist abgehauen, und der gutmütige Gunnar heiratet die versoffene Sarah und zieht mit ihr und ihrem Kind, das ein Mongölchen ist, nach Asien, wo das nicht auffällt, weil sie dort alle so aussehen, wie er sagt.

Ein Film wie ein Panoptikum, voller Extremitäten, voller Brutalität auch, also was man als gutes Unterhaltungsmaterial bezeichnen könnte. Für den Betrachter, der sich in der Bibel auskennt, aber auch ein frommer Film. Denn die Anspielungen auf das Buch Hiob sind unübersehbar. Der glaubensstarke Pfarrer Ivan, dessen Lieblingslektüre das Buch Hiob offenbar ist, wird als ein moderner Hiob deutlich, mit dem der Satan machen kann, was er will. Dass Gott mit dem Teufel eine Wette eingegangen ist, sein treuer Anhänger Hiob bleibe gläubig, egal was ihm passiert, ist eine uralte israelitische Geschichte, die schon immer als Fremdkörper im Kanon der Bibel empfunden wurde. Denn seinen treuesten Gefolgsmann zu verwetten, das passt nicht zu dem Gottesbild der Bibel. Im Buch Hiob ist es schließlich der junge Elihu, der den schwer leidenden Hiob, auf seine Frage, für welche Sünde er denn büßen müsse, mit den Bemerkungen zu desillusionieren sucht: „Mit deiner Sünde kannst du Gott nicht schaden, und alle deine Fehler tun ihm nichts. Ihm bringt’s auch nichts, wenn du das Rechte tust; er ist auf dein Geschenk nicht angewiesen … Das Schreien ist umsonst, Gott hört es nicht; er, der Allmächtige, sieht uns nicht an.“

Das ist das Credo des Deismus, den die britischen, deutschen und französischen Aufklärer propagierten. Diese Einstellung des 17. und 18. Jahrhunderts zu Gott steht zwischen Theismus und Atheismus. Der Fall Hiob illustriert die Auffassung, dass Gott sich nicht um uns kümmert. Manche Deisten sagen, dass Gott immer noch ruht, weil für ihn immer noch der siebte Tag der Schöpfung ist, also der Ruhetag. Schon merkwürdig, wie diese uralte Vorstellung in jüdischer, christlicher und auch islamischer Tradition weitergetragen wurde. Sie einmal in unsere Zeit zu übertragen und unterhaltsam filmisch darzustellen, war ein guter Einfall. Damit bekommt dieser Film, der als Komödie auftritt, eine ganz andere und viel schwerwiegendere Bedeutung.

Dabei geht der Film „Adams Äpfel“ sogar noch weit über das Buch Hiob hinaus. Er bringt eine Fülle von Hinweisen auf andere Themen der Bibel. Adam heißt nicht zufällig Adam. Der Name des ersten Menschen steht hier als der Deckname für Mensch. Und wir alle sind die Äpfel, die nicht weit von Adams Baum gefallen sind. Der Apfelbaum ist der Baum der Erkenntnis im Paradies, unter dem Eva gesündigt hat, als sie einen der verbotenen Äpfel gegessen hat. Der gutmütige Gunnar nimmt die von einem Unbekannten geschwängerte Sarah als Frau und ist mit dieser Josephsehe zufrieden. Der geschlagene Pfarrer Ivan hält auch die andere Wange hin und ist damit Jesus, der mit seiner Lehre der Friedfertigkeit die Welt verändert. Und die Vogelscheuche entpuppt sich als Kreuz.

Adams Meinung, Gott hasse Ivan, wird auf wunderbare Weise widerlegt, und Adam wird zum guten Menschen bekehrt. Ein Ergebnis, mit dem der Betrachter fertig werden muss. Er kann sich sagen: „Das Ganze ist ja nur eine nett absurde Komödie, wie die Filmkritiker der Zeitungen schreiben.“ Er kann sich aber auch sagen: „Dieser Film zeigt die Überlegenheit des Glaubens.“ Dann kann er auch gleich mit einem Vorführgerät und der Filmrolle unterm Arm von einem Pfarrsaal zum anderen ziehen und überall verdunkeln, um aufzuklären.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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