Passiertes! – Passierte es?
Ein sich als Landrätin bezeichnender Landrat schafft Ordnung im Durcheinander der Genderei. Per Dienstanweisung für den internen Schriftverkehr im Landkreis Rothenburg an der Wümme schreibt er/sie vor, dass ab Oktober 2024 nur noch weibliche Bezeichnungen verwendet werden dürfen. Ein generisches Femininum hält er/sie für den gerechten Ausgleich für das bisher herrschende generische Maskulinum. Dahinter steht der naive Glaube, das grammatische Geschlecht (Genus) habe was mit dem biologischen Geschlecht zu tun. Oh heilige Einfalt! Noch nicht dahinter gekommen, dass das grammatische Geschlecht reiner Humbug ist, zufällig entstanden und nur noch völlig belanglose Tradition, die mit dem biologischen Geschlecht nicht verwechselt werden sollte. Dass es die Prostata heißt und der Busen sowie die Gabel, der Löffel und das Messer, müsste eigentlich zu denken geben.
Die Presse hat ein neues Lieblingswort entdeckt: Volumen. Bei allem Drumherumgerede zu den aktuellen Schwierigkeiten der deutschen Autoindustrie heißt es neuerdings statt Massenprodukt und Massenabsatz immer Volumenmarke und Volumenmarkt, damit die Käufer der Massenprodukte sich nicht als Massenmenschen abgestempelt fühlen müssen. Diese fürsorgliche Begriffsverschönerung wirkt so glatt wie die der Raumpflegerin, die früher Putzfrau hieß. – und ändert doch nichts.
In der Wochenzeitung Die Zeit wurde die Frage gestellt, warum man überhaupt noch Fremdsprachen lernen soll, wenn die Übersetzungsprogramme, die wir im Handy haben, immer perfekter werden. Beim Gaststättenbesuch im Ausland kommen die Leute schon damit zurecht, auch im Friseursalon. Warum also noch lernen, was man anklicken kann? Die Frage wurde nicht beantwortet. Es blieb bei der schlichten Auffassung, dass Sprache bloß ein Transportmittel ist, das sich einfach austauschen lässt. Dagegen war Sprache als das Sediment der gesamten Geschichte und Kultur eines Volkes und damit als ein Wert an sich, mit dem zu beschäftigen sich lohnt, leider kein Thema.
In diesem Jahr gab es viel Geschreibsel über den Prager Schriftsteller Franz Kafka, weil am 3. Juni sein 100. Todestag zu feiern war. Dabei ist Kafka alles andere als tot. Zwar hatte er seinen Prager Freund, den Schriftsteller Max Brod, schriftlich damit beauftragt, nach seinem Tod seine Schriften, bis auf die wenigen gedruckten Werke, „restlos und ungelesen zu verbrennen.“ Doch Brod hat den letzten Willen seines Freundes missachtet und sich im Gegenteil als Herausgeber intensiv um die Vermarktung des schriftlichen Kafka-Nachlasses gekümmert. Dafür wird er bis heute so wortreich verdammt wie gelobt. Jetzt hat ein Rechtsanwalt Kafkas letzten Willen einer juristischen Analyse unterzogen und ist zu dem Ergebnis gekommen, Max Brod sei nach dem damals in Prag geltenden tschechischen Recht nicht verpflichtet gewesen, sich an den Vernichtungswunsch zu halten. Mir fehlt in der Diskussion über die Geltung von Kafkas Vernichtungswunsch immer noch der Gesichtspunkt, dass wir Künstler generell nicht als 100-prozentige Eigner unserer Werke gesehen werden, was sich an der zeitlich begrenzten Wirksamkeit des Urheberrechts zeigt. Siebzig Jahre nach dem Tod des Urhebers wird alles von ihm Geschaffene sozialisiert. Wenn auch dieser Zeitraum in der westlichen Hemisphäre von Land zu Land verschieden ist, einig ist man sich offensichtlich in der Auffassung, dass das künstlerische Schaffen schon immer teilweise der Kulturgemeinschaft gehört. Ich möchte das sogar als berechtigt bezeichnen, schafft man als Künstler doch stets auf dem Feld, das ungezählte Vorgänger bearbeitet haben. Kein frisches Blatt Papier, keine neue Leinwand ist noch wirklich jungfräulich.
Wie gern würde ich das alte Foto von mir, das in dem Wikipedia-Artikel über mich zu sehen ist, durch ein schöneres Porträt ersetzen. Das Problem ist nur, dass man bei Änderungen beweisen muss, dass sie nötig sind. Wie soll ich glaubhaft beweisen, dass ich schöner geworden bin, wenn ich selbst nicht daran glauben kann?
In Bangladesch haben die Menschen die autoritär regierende Herrscherin aus dem Land gejagt. Damit haben sie sich gegen den Trend gewehrt, dass superreiche Familien vor allem in den Ländern Südostasiens, aber nicht nur dort, den Staat als ihr Eigentum betrachten, den sie in dynastischer Weise intern weiterreichen. So in Indonesien, Kambodscha, Laos, Brunei, Thailand und den Philippinen. Gleichzeitig werden die demokratischen Institutionen in immer mehr Ländern durch absolute Medienbeherrschung zur bloßen Maskerade. Und in den modernen Staaten des Westens wirken die Beschwörungen des Prinzips Demokratie immer hektischer. Das wirft die Frage auf: Sollten wir bei uns als Ablösung der Demokratie vielleicht einfach die aus den bunten Wochenblättern gut bekannten Figuren der früheren Herrscherfamilien ans Ruder lassen?
Der neue „Duden“ hat mehr als 150.000 Stichwörter, das „Grimmsche Wörterbuch“ sogar 350.000. Und „Laufenbergs Läster-Lexikon“ (LLL) kommt mit nur annähernd anderthalbtausend Stichwörtern daher. Aber wie die LLL-Stichwörter stechen! Wer hat den Mut, mal reinzuschauen? Vielleicht einfach den Anfangsbuchstaben seines Vornamens aufrufen – und sich wundern.