908. Ausgabe

Passiertes! – Passierte es?

 

Die selbsternannten Paten des Weltklimas geraten sich in die Haare, und die braven Bürger reiben sich verwundert die Augen. Jetzt haben Aktivisten von „Letzte Generation“ und „Fridays for Future“ sowie „Grüne“ sich schon wechselseitig den Missbrauch des Demonstrationsrechts vorgeworfen. Das sei elitärer und selbstgerechter Protest, hieß es. Harsche Kritik, für die man sogar Verständnis aufbringen kann, kostet doch jede Klima-Protest-Aktion, einschließlich Public-Relations-Vorbereitung und juristischer Nachbetreuung, eine Menge Geld. Das verschärft den Wettbewerb der Protest-Organisationen um die im Hintergrund bleibenden Geldgeber, ohne die nichts geht, obwohl die natürlich immer ihre eigenen Interessen verfolgen.

 

In der neuen Freibade-Saison werden wir uns mit dicken Wörterbüchern abschleppen. Denn jetzt ist sogar das Arschgeweih schon out. Oberhalb des Steißbeins, wo vor Jahren diese symmetrische Tätowierung sein musste, da gehört heute ein japanisches Schriftzeichen hin. Notfalls tut es auch ein chinesisches oder arabisches Schriftzeichen. Jedenfalls sind das die neuen Ästhetik-Favoriten für Tattoos. Da soll mir nur keiner sagen: Jetzt ist alles …

 

Nicht nur die verschiedenen Sprachen haben ihre Eigentümlichkeiten, sondern auch ihre Sprecher. Das zeigt sich beispielsweise bei Franzosen und Slawen an dem Problem, ein H zu sprechen. Ganz ähnliche Schwierigkeiten haben die Italiener mit dem CH, das bei ihnen zum SCH wird. Dieser auch bei uns Rheinländern typische „Sprachfehler“ braucht uns also nicht peinlich zu sein; denn er ist ein Zeichen altrömischer Herkunft, das uns stolz sein lässt: Unsere Vorfahren haben die römischen Besatzer erfolgreich eingebürgert. 

 

Was der Mensch isst, das verändert ihn. Das ist jetzt kein Aufruf zu einer neuen Diät und auch keine Warnung davor. Nein, es geht bloß um einen Blick auf die Menschheitsgeschichte. Als der Mensch sich vom Jäger und Sammler zum Ackerbauern entwickelte, bildete sich der gewaltige Unterkiefer zurück, den er zum Zerkauen von Fleisch und Nüssen gebraucht hatte. Die aufkommende Landwirtschaft hat uns mit dem Verzehr von Getreide, Obst und Gemüse einen kleineren Unterkiefer eingebracht. Und damit auch eine feinere Sprache. Denn der reduzierte Unterkiefer ermöglichte mit der veränderten Stellung der Unterlippe zu den oberen Schneidezähnen ganz neue Ausdrucksformen. Auf einmal konnten unsere Vorfahren sogar f und v aussprechen. So alt schon ist der Zusammenhang von Dichter und Bauer.

 

Die Milch der frommen Denkungsart im Wandel. Vor 50 Jahren, als ich für den Deutschen Entwicklungsdienst tätig war, hatten wir ein großes Thema, das mir besonders am Herzen lag: Die erschreckende Steigerung der Säuglingssterblichkeit in den Entwicklungsländern, verursacht durch die Werbefeldzüge von Lebensmittelkonzernen für künstliche Babynahrung, womit die Mütter vom Stillen abgebracht wurden. Weil dort bei den meisten Frauen das Geld nicht reichte, streckten sie die teure Flaschenmilch auf unhygienische Weise mit unsauberem Wasser, was zu typischen Mangelkrankheiten und vielfach zum Tod der Kinder führte. Heute gilt die Kuhmilch als das Problem. Dagegen geht die Lebensmittelindustrie jetzt vor, damit die Kühe nicht das Weltklima kaputtpupsen. Und wir in den Wohlstandsländern sind die Adressaten, denen in den Läden ein neues Sortiment von Veganmilch aufgedrängt wird: Hafermilch, Sojamilch, Mandelmilch, Reismilch, Haselnussmilch, Erbsenmilch, Kokosnussmilch, Dinkelmilch, Hanfmilch sowie Lupinenmilch. Und ob wir gescheiter reagieren als die Frauen in den Entwicklungsländern reagiert haben, ist noch die Frage.

 

Habe eine junge Trauerrednerin erlebt, auf dem Friedhof, am offenen Grab, die den Zuhörern, nicht dem Toten zugewandt, geraten hat, sich doch einmal klarzumachen, und das ganz ehrlich, was man an seinem letzten Tag auf dem Totenbett bedauern werde. Die ganze Trauergesellschaft ein einziges Fragezeichen. Man werde sich dann, klärte die Rednerin uns nach einer Kunstpause auf, an die Chancen erinnern, die man in seinem langen Leben nicht genutzt hat, nun aber nicht mehr wahrnehmen könne. – Und ich hörte, wie hinter mir eine Frau fragte: „Gehen wir nach dem Trauerumtrunk zu mir oder zu Ihnen?“

                                     

Seine Herkunft zu einem Stück Literatur werden zu lassen, das ist heute für viele Autoren das spezielle Anliegen. Das autofiktionale Erzählen im Extrem. Dabei geht es um die erfahrene oder erlittene Prägung durch Familie und Wohnort, was mehr oder weniger zu einem Geständnis wird. Das Leben als Großstädter (ca. 30 % unserer Bevölkerung) ist schon immer ausführlich beschrieben worden, in der jüngeren Vergangenheit auch stark das Leben als Dörfler (ca. 15 %). Jetzt ist die große Mehrheit der Kleinstädter dran. Dabei geht es immer darum, mit heutigem Bewusstsein Erlebnisse darzustellen, die man mit kindlichem Bewusstsein aufgenommen hat. Was besonders schwierige Hochseil-Artistik ist. Immerhin werden dabei sowohl der Autor als auch die Beschränktheit seiner Mitmenschen kritisch beleuchtet. Das macht diese Art Literatur so wichtig und für die Leser besonders reizvoll. Die Kleinstadt meiner Kindheit und Jugend heißt Opladen, meine Autobiografie heißt: https://www.netzine.de/library/walter-laufenberg/der-dritte-seine-praenatale-biografie-et-cetera-pp/

 

 

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