893. Ausgabe

Passiertes! – Passierte es?

 

Die Anrede Du mit Vornamen ist weiter auf dem Vormarsch, gefördert durch populäre Fernsehsendungen sowie das Internet, in einigen Unternehmen sogar schon zur Pflicht gemacht. Manch einer hält das für Modernität, die sich dem angelsächsischen Gebrauch anpasst. Dahinter steht peinliche Unkenntnis, denn das englische You ist sprachhistorisch kein Du, sondern ein Ihr. Ein Trugschluss auch, das Du mit Vornamen für persönlicher als das bisher übliche Sie mit Nachnamen zu halten. In Wahrheit ist die Duzerei mit Vornamen der Ausdruck von völligem Desinteresse an dem anderen und eine dumme Methode der Anonymisierung. Aber das merkt man erst, wenn man irgendwann versucht, den geduzten Fremden, von dem man nur den Vornamen weiß, zu kontaktieren. Nichts geht. Da hilft kein Telefonbuch, auch kein Google.

 

Die Hartnäckigkeit, mit der in EU-Institutionen an der Voraussetzung von Einstimmigkeit bei wichtigen Entscheidungen festgehalten wird, hat was von Altersstarrsinn. Das rechtfertigt das Erscheinungsbild der EU in den Köpfen  jüngerer Menschen: EUR OPA.

 

Aktuell gibt es drei Tendenzen, die sich partout nicht in Übereinstimmung bringen lassen wollen. Tendenz 1: Wetterkapriolen treten mit immer extremerer Wirkung auf. Tendenz 2: Die zuständigen Warninstitutionen schlagen wegen der schlechten Erfahrungen mit der Katastrophe von 2021 im Ahrtal schon bei immer geringeren Anzeichen Alarm, was unvermeidlich immer öfter Fehlalarm ist. Tendenz 3: Bei Presse, Funk und Fernsehen hält man sich mit der Wiedergabe der Katastrophenwarnungen immer mehr zurück, weil die zu befürchtenden Falschmeldungen das Image schädigen. 

 

Hybrid ist in. Kein Gedanke mehr an Bedeutungen dieses Fremdwortes wie überheblich, vermessen und übersteigert. Keine Erinnerung mehr an Abwertungen wie Bastard, Mischling oder Zwitter. Hybrid arbeiten zu dürfen, das ist das neue Glücksrezept. Es steht für die Wahlfreiheit von unselbständig Beschäftigten, sich mal im Büro, mal unterwegs und mal zu Hause für seinen Arbeitgeber abzurackern. Dank der Corona-Pandemie sind die Zahlen der glücklichen Hybridarbeiter rasant gewachsen. So ist aus Negativem etwas Positives entstanden, – auch das gibt es; muss man sich nur einmal bewusst machen.

 

In den USA diskutiert man neuerdings die Methode vieler Historiker, die Ereignisse früherer Zeiten in Bezug auf heutige Problemkreise wie Rasse, Geschlecht, Sexualität, Nationalismus oder Kapitalismus zu beschreiben. Diese Darstellungsart, Präsentismus genannt, wird dann gern zur Rechtfertigung von kritischen politischen Einstellungen zu heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen genutzt. Was ein krasser Missbrauch ist, weil damit Seh- und Denkweisen in die Vergangenheit projiziert werden, die es damals überhaupt nicht gegeben hat. Ein Fettnäpfchen auch für Autoren historischer Romane, die up to date sein möchten.

 

Sogar Papiertaschentücher verraten uns, wohin die Entwicklung unserer Sprache geht: Zu einem deutsch-englisch gemischten Gebrabbel hin. Ist doch der alte die Packungen schmückende Werbespruch Sanft & Sicher modernisiert worden zu Soft & Sicher. Wobei man sich gut vorstellen kann, wie dafür argumentiert wurde: Das Wort sanft ist zu betulich und durch den Grabspruch Ruhe sanft negativ besetzt, andererseits ist der Ausdruck safe für sicher nicht brauchbar, weil durch Tresorknacker und die Förderung von safer sex ebenfalls negativ besetzt. Also eine wilde Auswahl nach Brauchbarkeit und Belastetheit, wobei die englischen Ausdrücke immer im Vorteil sind, weil wir nicht so viel über ihre Konnotationen wissen.

 

Der mit 10.000 Euro dotierte Gossen-Preis, die höchste Auszeichnung für junge Wirtschaftswissenschaftler, ist in diesem Jahr an den Bonner Ökonomen Christian Bayer vergeben worden. Der Preis erinnert an einen Juristen, der meist fälschlich als Ökonom bezeichnet wird, nämlich Hermann Heinrich Gossen, Regierungsassessor in preußischen Diensten. Gossen wurde 1810 in Düren geboren und starb 1858 in Köln. Um die Menschheit glücklich zu machen, hat er sich fast sein ganzes Leben lang darum bemüht, die mathematische Formel für das Genießen und Glücklichwerden zu finden. Er hat die Formel tatsächlich gefunden und wurde doch selbst todunglücklich. Aber sein Wissen wurde uns überliefert, gegen seinen Willen. So wurde er zu einem der Stammväter der Nationalökonomie. Für viele Wissenschaftler ist er einer der bedeutendsten Denker, die je gelebt haben. Seine höchst unordentliche Lebensgeschichte und den Ertrag seines Lebens, das Erste und das Zweite Gossensche Gesetz, diese zeitlos gültigen und für jedermann zum Alltag gehörenden Wege zu mehr Genuss, habe ich in dem sorgsam recherchierten und spannend geschriebenen Buch „Die Berechnung des Glücks“ lesbar gemacht. Wie schreibt der Verlag: Ein Roman von beschwingter Lebenslust, ungestillter Neugier und einem tief verwurzelten Streben nach Glück: https://www.netzine.de/library/walter-laufenberg/die-berechnung-des-gluecks-das-leben-des-hermann-heinrich-gossen/ 

 

 

 

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