885. Ausgabe

Passiertes! – Passierte es?

 

 

Das Recht entwickelt sich mit uns. 1990 kam endlich der § 90a ins BGB, nach dem Tiere keine Sachen mehr sind. Allerdings sollen auf Tiere die Rechtsvorschriften, die für Sachen gelten, entsprechend angewandt werden. Also nur ein halber Schritt vorwärts. Immerhin ist das die Korrektur einer früheren, zu groß ausgefallenen Korrektur, als Tiere von Straftätern zu Sachen wurden. Denn im Mittelalter waren die Tiere noch so persönlich und viel zu persönlich aufgefasst worden, dass man einen Strafprozess gegen das Rind führte, das den Bauern mit einem Hornstoß getötet hatte.

 

Öfters stößt man auf die Zeitungsmeldung, eine Führungsposition, die ein Mann wegen des Vorwurfs sexueller Belästigung Untergebener verlor, sei jetzt mit einer Frau besetzt worden. Da fragt man sich: Ist das vielleicht weniger konfliktanfällig, weil Männer sich nicht beschweren, falls sie von einer Frau sexuell belästigt werden?

 

Es wird immer schwieriger, Realität und Fiktion zu trennen. Kaum haben 13 Männer eines Kegelclubs aus Münster ihre Landung auf Mallorca gefeiert, mit viel Bier und Lärm auf dem Hotel-Balkon am Ballermann, da werden sie in Untersuchungshaft genommen, weil neben ihrem Hotel ein Lokal ausgebrannt ist. Wie sollen die Münsteraner jetzt beweisen, dass sie nicht schuld an dem Brand sind? Weil bekannt ist, dass den Behörden der Insel die wüste Ballermann-Sauferei längst ein Dorn im Auge ist, erhebt sich prompt die Stimme des Volkes: Da muss jetzt Wilsberg ran!

 

Es gibt eine starke neue Tendenz in der Rechtswissenschaft: Die Natur als solche und einzelne Naturphänomene sollen als selbständige Rechtspersönlichkeiten anerkannt werden. Das betrifft den Regenwald so gut wie die Nordsee. Ein rechtliches Subjekt hat eine stärkere Stellung in juristischen Auseinandersetzungen als ein bloßes Objekt. Vor allem ein Existenzrecht, weil damit die so selbstverständliche Nutzung und Zerstörung unzulässig wird. Dazu gibt es in manchen Ländern schon Gesetze. Der Ganges und der Yamuna-Fluss in Indien sowie große Flüsse in Bangladesch und in Neuseeland sind neuerdings juristische Personen, auch schon einzelne Gletscher im Himalaja.

 

Was verrät der Sprachgebrauch über die Mentalität der Mitmenschen? Im vorigen Jahr wurde in einer Big-Data-Exploration der Wortgebrauch in jeweils fünftausend amerikanisch- und spanischsprachigen Büchern zu der Frage untersucht, in welchem Verhältnis rationale Begriffe zu emotionalen Begriffen  stehen. Untersucht wurde, wie oft vernunftbetonte Wörter wie „urteilen“ oder „schließen“ und ähnliche verwendet wurden und wie oft irrationale wie „fühlen“ und „glauben“ und ähnliche. Das Ergebnis der Untersuchung ist aufrüttelnd: Von 1850 – 1880 waren die gefühlsbezogenen Wörter auf dem Rückzug, dann aber waren sie wieder im Steigen, und seit 2010 geht ihre Kurve sogar steil nach oben. Das überrascht nicht; denn wo immer mehr Entscheidungen aus dem Bauch heraus getroffen werden, wird alles zur Herzenssache. Manche erklären sich diese Tendenz auch damit, dass überall im Westen die Wirkung der Aufklärung nachgelassen hat.

 

Die persönliche Freiheit wurde uns Schritt für Schritt durch moderne Techniken geraubt. Das begann mit der Taschenuhr, die man zu einem begehrten Statussymbol aufwertete, um uns mit der Bindung an die Uhrzeit besser einsetzbar zu machen. Die erste Steigerung war dann die Armbanduhr, die immer schöner und immer teurer wurde und ohne die deshalb bald niemand mehr auftreten wollte, Männlein wie Weiblein. Dann kam die Kreditkarte, die uns zum leichtfertigeren Geldausgeben und zur Verschuldung führt, um uns in den Griff zu kriegen. Im Moment erleben wir die nächste Steigerung der Versklavung mit dem Smartphone, uns nicht nur als begehrenswert aufgeschwätzt, sondern von Banken, Arbeitgebern und Händlern sogar aufgezwungen. Damit ausgestattet sind wir nicht nur pünktlich zur Stelle, es ist auch immer nachprüfbar, wo wir sind und mit wem wir zu tun hatten. Und irgendwann werden wir scharf darauf sein, einen schicken Chip implantiert zu bekommen, mit dem man uns nicht nur total überwacht, sondern wie Tanzbären am Nasenring führt.

 

Kann man nicht oft genug betonen: Unsere nächsten Verwandten im Tierreich, die Schimpansen, stimmen zu 98,5 % im Erbgut mit uns Menschen überein. Forscher sehen den kleinen restlichen Unterschied zwischen uns in der gesprochenen Sprache und widmen dem ihre ganze Aufmerksamkeit. Jetzt haben sie an der Elfenbeinküste 900 Stunden Lautäußerungen von wild lebenden Schimpansen aufgenommen und dabei fast 400 Lautkombinationen festgestellt. Unsere Verwandten im Busch haben also eine Sprache, mit der sie sich verständigen. So kann ich bei meiner Behauptung bleiben: Was uns Menschen von der Tierwelt unterscheidet, ist nach bisheriger Kenntnis allein das stärker ausgeprägte Ich-Bewusstsein. So in meinem eBook dargestellt:  https://www.netzine.de/library/walter-laufenberg/ich-ist-top-selbstbewusst-ueberlegen-und-sozial-aus-egoismus/.

 

 

 

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