858. Ausgabe

Passiertes! – Passierte es?

 

Immer neue Bilder aus immer mehr Ländern, in denen die Bürger mit nackten Armen gegen roboterähnlich ausgerüstete Staatsdiener kämpfen. Immer mehr dieser asymmetrischen Kleinkriege, bei denen die Halbnackten besonders wütend macht, dass sie die Bewaffnung der Hochgerüsteten mit ihren Steuergeldern bezahlt haben.

 

Mit einem Wust von Krimis, Serien, Sportberichten, Pornoangeboten, Ernähungstipps, Kaufanreizen, Kindereien in den sogenannten sozialen Medien und dem endlosen Geplapper der Politiker wird man heute rund um die Uhr so zugeschüttet und fremdgesteuert, dass man den Titel Individuum kaum noch verdient. Da bleibt gerade noch Nachdenklichkeit als die letzte Bastion des Widerstands.

 

Wenn in der Corona-Pandemie Welle auf Welle folgt, wird die Gefahr einer Dauerwelle umso größer, je größer die Fabriken zur Produktion von Masken, Tests, Spritzen, Lipiden und Vakzinen ausgebaut werden. Denn in der freien Marktwirtschaft muss der Bedarf stets der Herstellung angepasst werden. Schon werden wir ja mit dem Gedanken an demnächst notwendige Auffrischungsimpfungen vertraut gemacht.

 

Eine von der Vodafon-Stiftung finanzierte Untersuchung zu den Lesegewohnheiten unserer Kinder und Jugendlichen ergibt ein erschreckendes Bild: In Deutschland ist zwischen 2009 und 2018 die Leselust dieser Bevölkerungsgruppe so rapide zurückgegangen, dass nur noch eine verschwindende Minderheit bereit ist, ein Buch von mehr als hundert Seiten zu lesen. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass im Schulbetrieb eingesetzte digitale Bücher durchaus nicht automatisch zu einer höheren Lesekompetenz führen; die Lesefähigkeit ging dadurch im Gegenteil leicht zurück. Aber Mädchen schnitten bei allen Fragen deutlich besser ab als Jungen. Was als ein beruhigendes Ergebnis gesehen werden darf, entwickelt sich unsere Gesellschaft doch immer stärker in die Richtung, dass überall die Frauen bestimmen, während die Männer gerade noch für Hilfstätigkeiten zu gebrauchen sind – und zum Sport- und Krimigucken.    

 

Vor 500 Jahren starb in Straßburg der Stadtschreiber (= Kanzler) Sebastian Brant. Der Mann hätte wie Faust sagen können: „Habe nun, ach, Philologie, Juristerei und Poesie und leider auch Theologie durchaus studiert mit heißem Bemühn. Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.“ Aber er hat sich nicht damit aufgehalten, sich selbst zu bemitleiden, sondern hat sich hingesetzt und ein Buch geschrieben: „Das Narrenschiff“, das 1494 in Basel erschien. Dieses Buch wurde der erste Bestseller der deutschsprachigen Literatur. Und das, obwohl der Autor mit seinen gereimten Schilderungen von über hundert miesen Ambitionen und Verhaltensweisen die Dummheit und Verderbtheit seiner Mitmenschen geißelt, also der Leute, die sein Buch kauften und zum Bestseller werden ließen. Das heißt, unsere Vorfahren lebten schon lange vor Wilhelm Busch mit der Ausrede: Ei ja, da bin ich wirklich froh, denn Gott sei Dank, ich bin nicht so.

 

Immer und überall sehe ich, wie die Leute ohne Maske zusammenstehen und sich lebhaft unterhalten und anlachen, ohne einen Gedanken daran, dass sie sich dabei gegenseitig mit unsichtbaren Wolken von Aerosolen besprühen, die voller Viren sind. Da wünsche ich mir ein Zaubermittel, das diese Sprühwolken sichtbar macht. Gibt es aber leider nicht. Wenn die Fernsehmacher wenigstens so klug wären, die Bilder, mit denen sie uns vor Monaten vor der unsichtbaren Wolke gewarnt haben, noch einmal zu zeigen. Und das möglichst immer wieder!

 

Was da in dunkler Nacht auf dem Rhein vor meinem Fenster lautlos und mit wenigen Lichtern vorbeischwebt wie an einem Bindfaden gezogen, jetzt von rechts nach links, gleich wieder von links nach rechts, also mal auf Bergfahrt und mal auf Talfahrt, das ist nicht nur ein unheimlich dunkles Führerhaus, in dem ein Mensch, die Hände am Steuerrad mit krampfhaft aufgerissenen Augen auf den Radarschirm starrt, das ist auch die gemütliche Wohnstube unter ihm, in der ein zu ihm gehörender Mensch mit einer Tee- oder Kaffeetasse neben sich vor dem Fernseher sitzt, der immer mal wieder zur Uhr hinschaut, die ihm sagt, wann es Zeit für die Ablösung ist, und manchmal ist da ein weiterer dazu gehörender Mensch, der etwa hundert Meter weiter vorn in seiner kleinen Bugkoje schläft. Frachtschiff für Frachtschiff viel schwerer als das Wasser und doch ein schwimmendes Etwas, eins wie das andere, nur dass jedes anders heißt und eine andere Flagge trägt – ach so, hätte ich beinahe übersehen: natürlich auch anderes Frachtgut.

 

Deutschsprachige Stellenanzeigen sind interessante Fundorte für Verrücktheiten. Glaubten Unternehmer früher, in handgeschriebenen Lebensläufen von Bewerbern tiefergehende Auskünfte zu finden, was sich inzwischen als Unsinn erledigt hat, so bemühen sie sich heute, mit fremdsprachlichem Kauderwelsch größer dazustehen als sie sind. Unglaublich, aber wahr: Hier braucht man dringend einen Head of Verbal Communication und meint damit eine Chefsekretärin. Da will man einen Fußpfleger einstellen und sucht deshalb den passenden Foot Health Gain Facilitator. Dort wird ein Tankwart benötigt, also schreibt man eine Stelle aus für einen Petroleum Transfer Engineer. Und den Brand-Manager sucht man nicht, weil es brennt, sondern weil einem ein Markenbetreuer oder Markenpfleger fehlt. Da fehlt mir auch was, nämlich Verständnis.

 

Mein neues Buch „Der Dritte – Seine pränatale Biografie et cetera pp“, ist jetzt in den Buchhandlungen. Ein Familienroman völlig neuer Art. Es hat mir einfach Spaß gemacht, ein Stück Literatur zu schaffen, das heißt mein Vorleben in einem ironisierenden Stil zu beschreiben, mich selber dabei nicht verschonend. Ich male das Leben vor meinem Leben, das mich ermöglicht und wohl auch mit geformt hat durch die kruden Eigenschaften und Eskapaden meiner Vorfahren. Da spricht die Vergangenheit mit vielen Stimmen, in unterschiedlichster Tonart. Alles unverschämt offen geschildert, von meiner Zeugung als ungewolltes Kind und einem Blick auf das fragwürdige Leben meiner Urgroßeltern in Paris sowie der Großeltern in Köln bis zu meinen Eltern und ihrer erstaunlichen Tüchtigkeit, die sie weder reich noch berühmt gemacht hat, nur zu Denkmälern der schweigenden Mehrheit im Lande: www.netzine.de/library/.   

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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