Passiertes! – Passierte es?
Die Nachrichtensendungen sind übervoll von den Gesichtern und dem Gerede unserer Politiker. Dabei verlieren die in dem Maße an Bedeutung, in dem die Bedeutung der Staaten abschmilzt. Die juristische Definition des Staates als Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt ist ja offensichtlich im Schwinden. Durch die modernen Medien, Verkehrsmittel und Waffensysteme kriegen die Landesgrenzen schon den Retro-Look. Zudem sind immer mehr Bewohner der Länder keine Staatsangehörigen; die leben bereits massenweise woanders. Und so, wie die gewählten Regierungen ihre Macht an international tätige Großkonzerne verlieren, werden die Landeswährungen allmählich von den Krypto-Weltwährungen der Chinesen und der Amerikaner ersetzt. Lauter alternativlose Veränderungen, doch die Nachrichtensendungen sind nach wie vor übervoll von den Gesichtern und dem Gerede unserer Politiker.
Fast alle Kinder und Jugendlichen haben Plastik-Rückstände im Körper, hat das Umweltbundesamt jetzt festgestellt. Da könnte man sagen: Das ist unsere Chance. Denn sobald unsere Körper demnächst zu einem bestimmten noch viel höheren Prozentsatz aus Plastik bestehen, aus diesem erst in Jahrhunderten abbaubaren Material, haben wir uns endlich den Traum vom ewigen Leben erfüllt.
102 Staatsrechtler haben sich zu einer gemeinsamen Forderung aufgerafft: Sie verlangen eine Änderung des Wahlgesetzes, damit der Bundestag nicht immer noch weiter aufgebläht wird. Den Staatsrechtlern ist also nicht klar, dass Staat in erster Linie Versorgung heißt und nicht Recht.
27 Kommissionsposten soll es in der EU unter der Präsidentin Ursula von der Leyen geben. Mit den Bezeichnungen der einzelnen Ressorts ist das ganze Spektrum heute gängiger Reizwörter abgedeckt, nur die Kultur fehlt. Dabei erlebt Europa gerade, was Jahrhunderte lang verhindert wurde, nämlich die Ablösung der überkommenen christlich-jüdisch-griechischen Kultur durch fremde Kulturen. Dieses Riesenproblem einem einzelnen Kommissar (m/w/d) aufzupacken, ging wohl nicht. Deshalb lässt man es laufen, wie es läuft.
Ein Blick auf die Weltreligionen zeigt, wohin der Zug abgefahren ist: Das Christentum ist noch immer die größte Religionsgesellschaft, wenn auch zersplittert in diverse Ausgaben und insgesamt nur noch langsam wachsend. Der Islam steht an 2. Stelle, ebenfalls zersplittert in diverse Ausgaben, die sich zudem noch heftig bekämpfen, ist aber insgesamt stark wachsend. Bereits an 3. Stelle stehen die Agnostiker, die ehrlich zugeben, dass sie in Sachen Gott nichts wissen, weil man darüber nichts wissen kann. Sie kommen in der Statistik schon vor den Hindi-Anhängern, den Buddhisten und diversen kleineren Weltanschauungsgruppen, darunter den Juden.
Es ist jetzt 32 Jahre her, dass die Zeitschrift „Das Parlament“ meinen Essay veröffentlicht hat: „Kommt bald das erste Fernsehspiel?“ Zu finden unter www.netzine.de/category/essays/. Darin hatte ich dargelegt, dass es ein wirkliches Fernsehspiel noch nicht gibt, weil die Zuschauer nicht mitspielen können. Eine Provokation, waren die Fernsehintendanten doch so stolz auf ihre produktiven Fernsehspielabteilungen. Jetzt lief im Ersten Programm ein Aufklärungs- und Warnfilm, genannt „Play“, über die Sucht, in die Jugendliche durch Computerspiele geraten, weil sie bald Wahn und Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden können und in der Psychiatrie landen. Der Film zeigte eine junge Spielerin in voller Aktion. Da musste ich mir eingestehen, dass erst mit den Computerspielen wirkliche Fernsehspiele geboren worden sind. Aber die Kette von Herausforderungen, die in „Play“ die Spielerin zu bestehen hat, erinnerte mich an die Großtaten, die der griechische Held Herakles abzuleisten hatte, und an die endlose Folge von Heldentaten, die in den Ritterromanen der frühen Neuzeit einem fahrenden Ritter abverlangt wurden, was Miguel Cervantes in seinem Buch „Don Quijote“ verulkt hat. Also alles schon mal dagewesen. Und weder die Alten Griechen noch unsere Ururgroßeltern sind davon verrückt geworden.
Früher spielten wir gern „Die Reise nach Jerusalem“, dieses Rennen um eine doppelte Stuhlreihe mit plötzlichem „Halt, setzen!“, wobei dann jedes Mal ein Stuhl zu wenig da war und deshalb einer ausschied. Das illustrierte so schön die Jahrhunderte lang übliche lebensgefährliche Pilgerreise ins Heilige Land, meist per Boot von Venedig aus, wobei die geldgierigen Schiffer stets mehr Passagiere an Bord nahmen als sie Platz und Verpflegung hatten. Die Schiffer konnten sich darauf verlassen, dass auf der viele Wochen langen Reise über die oft stürmische See ein Pilger nach dem anderen wegsterben würde. Jetzt war ich am Wochenende mal wieder bei einem Klassentreffen und verstand: Das ist „Die Reise nach Jerusalem“ andersherum. Jedes Mal ein Stuhl zuviel.
Habe mir jetzt noch einmal den Film „Hannah Arendt“ angesehen. Die deutsch-jüdische Philosophin im Auftrag einer amerikanischen Zeitschrift als kritische Beobachterin beim Eichmannprozess in Jerusalem. Mit aufschlussreichen Originalaufnahmen aus dem Prozess. Und bin überrascht, dass ich meine schon einige Jahre zurückliegende Rezension dieses Films, die unter www.netzine.de/hannah-arendt/ zu sehen ist, nach wie vor Zeile für Zeile unterstreichen kann.
Der Gossen-Preis, die bedeutendste Auszeichnung für Wirtschaftswissenschaftler, wurde jetzt dem Münchner Wirtschaftshistoriker Davide Cantoni, der an der Universität Mannheim studiert hat, verliehen. Meine Gratulation aus Mannheim, Herr Cantoni! Dass Sie in der Presse prompt mit der Zweifelsfrage konfrontiert werden, ob Ihre Forschung überhaupt noch zur Wirtschaftswissenschaft gehört, ist typisch, aber verständlich. Verehren die Wirtschaftler Gossen doch als einen der Gründerväter der Nationalökonomie, dabei war der 1810 in Düren geborene Hermann Heinrich Gossen ein Jurist und kein Wirtschaftler. Und zu allem Überfluss liegen seine überragenden Verdienste auch nicht auf juristischem Gebiet, sondern in der Erforschung der bahnbrechenden Formeln für mehr Lebensgenuss. Von Gossen kann man was lernen, und das ist sogar für jeden verständlich. Für viele Gelehrte ist Gossen einer der bedeutendsten Denker, die je gelebt haben, auf einer Stufe stehend mit Nikolaus Kopernikus. Die einzige umfassende Darstellung seines Lebens und grandiosen Scheiterns an der Ignoranz seiner Zeitgenossen ist mein biografischer Roman „Die Berechnung des Glücks“, der 2012 im Münchner Salon Literatur Verlag erschienen ist. 320 Seiten, nur 440 Gramm schwer. ISBN 978-3-939321-43-9, Preis 16,80 €. Eine amüsante Lektüre, die das Leben der Leser verändert. Überall im Buchhandel.