792. Ausgabe

Passiertes! – Passierte es?

 

Der Karl-Marx-Kopf in Chemnitz, sieben Meter hoch, die Karl-Marx-Statue in Trier, fünfeinhalb Meter hoch, und die Friedrich-Engels-Statue in Wuppertal, fast vier Meter hoch, dazu die beiden Typen auch noch in Berlin, in doppelter Lebensgröße. Das sind unübersehbare Warnzeichen, die von dem Versuch abhalten sollen, sich Gedanken zu machen, wie man die Menschheit beglückt. Weil sie zeigen: Man weiß nie, was dabei herauskommt. Wir Deutschen haben die Warnung vor dem Gedankenmachen verstanden und beschäftigen uns nur noch mit Sport und Krimis, Autos, Kochrezepten und Familienschnulzen.

 

Die schöne, alte Sitte, ausgerechnet an Allerheiligen den Friedhof zu besuchen und der verstorbenen Angehörigen zu gedenken, sie mit Kerzenlicht und Blumengestecken zu beschenken, ist eine plumpe Übertreibung. Als ob die Mischpoke so heilig gewesen wäre.

 

Wochenlang haben wir uns mit der neuen so unausweichlichen wie unverständlichen Datenschutzverordnung der EU herumquälen und viele Kontakte löschen müssen. Gleichzeitig wurde die Förderung des bargeldlosen Zahlens, das den Kunden zum gläsernen Verbraucher macht, rigoros weiterentwickelt und von der Presse lebhaft begrüßt. Und klammheimlich sammeln Google und Facebook weiterhin mit immer raffinierteren Algorithmen alles über uns, um unser persönliches Profil so zu komplettieren, dass sie uns als total durchschaute Opfer an die zahlenden Interessenten aus Wirtschaft und Politik verkaufen können. Also nichts mit Datenschutz. Doch unsere Spitzenpolitiker sind nur mit ihrem Pöstchenschacher beschäftigt.

 

Das führerlose, autonome Auto der nahen Zukunft wird programmiert von Menschen der Gegenwart. Das wirft die Frage auf: Wie entscheiden die sich in all den Grenzfällen, in denen es darum geht, ein Leben in seiner Wertigkeit mit einem anderen zu vergleichen. Solche Abwägungs-Szenarien wurden in einer weltweiten Befragung Millionen Menschen vorgelegt. Beispielsweise war zu entscheiden, ob in einem unausweichlichen Alternativfall der Mann im Auto oder die Frau auf der Straße zu opfern sei, der greise Wagenhalter oder das spielende Kind, ob ein Tier eher zu opfern sei als ein Passant, eine einzelne Person eher als eine Gruppe, ein Penner eher als der Notarzt. Die Ergebnisse waren schockierend: Im Schnitt sollten Frauen eher verschont bleiben als Männer, Kinder eher als Alte. Doch schon dabei galt in Asien, wo das Alter besonders geschätzt wird, das Gegenteil. Die Deutsche Ethik-Kommission sagt, jede Qualifizierung nach persönlichen Merkmalen wie Alter, Geschlecht und Gesundheit sei strikt untersagt. Schön gesagt. Ohnehin haben wir Menschen in solchen Grenzsituationen keine Zeit zum Überlegen und reagieren spontan irgendwie. Aber ein für alles, also auch für diese Grenzsituationen programmiertes Auto, wie wird sich das entscheiden?

 

Zur Behandlung von Legasthenie soll es inzwischen zwanzig verschiedene Verfahren geben. Doch die Krankenkassen lehnen die Erstattung der Behandlungskosten ab. Genauso werden die Kosten der Zahnreinigung nicht getragen, die der Zahnarzt als dringend erforderlich bezeichnet hat. Das sind nur zwei Beispiele von unterschiedlicher Auffassung. Nun weiß jeder, dass Pharmaindustrie und Ärzteschaft sich gern neue Krankheiten einfallen lassen, die sie uns dann einreden. Könnte man deshalb anhand all der Behandlungskosten, die von den Ersatzkassen nicht getragen werden, weil sie nicht als Krankheiten anerkannt sind, ein Buch der Gesundheit zusammenstellen? Immerhin würde das dem Anspruch der Krankenkassen gerecht, Gesundheitskassen zu sein.

 

In Deutschland hat sich die Einstellung zu fremdbestimmter Arbeit in den letzten Jahrzehnten zum Positiven hin verändert. Wie die Nürnberger Bundesagentur für Arbeit, das Mutterhaus aller Arbeitsämter, bekannt gibt, hat sich die Quote der über das Rentenalter hinaus weiter Arbeitenden der Alterskohorte 65-69 Jahre von 6 % im Jahre 2003 auf 15 % erhöht, also fast verdreifacht. Und diese Leute gingen nicht aus finanzieller Not weiter zur Arbeit, heißt es voller Stolz. Na schön, aber wozu dann?

 

Die Schweden waren Jahrzehnte lang die führenden Experimentierer Europas im Kleine-Leute-Pampern, bis zu viele Unternehmer aufgaben und die Problemviertel in den Städten überhand nahmen. Jetzt haben die Schweden einen neuen Volkssport entdeckt: Die Abschaffung des Bargeldes. Das ist erfolgversprechend: Der erste total kontrollierte und manipulierte Gläserne Mensch wird Schwedisch sprechen: Tack.

 

Goethe und Schiller, dieses Autorenpaar so einsam auf hohem Podest vor dem Weimarer Theater, ihre Lebenssituation sah anders aus. In ihrer Zeit waren unsere beiden Heroen umwimmelt von rund hundert Autoren, von denen viele dem großen Publikum mehr bedeuteten als unsere Dichterfürsten, weil sie dem Geschmack des einfachen Volkes mehr entgegenkamen. Sie erzielten höhere Auflagen, hatten mehr Aufführungen, wurden mehr übersetzt, erhielten mehr Literaturpreise und waren landauf landab im Gespräch. Doch heute sind diese Wimmelautoren bis auf ganz wenige Namen total vergessen. – Wenn das nicht tröstlich ist. 

 

Wer für seine Winterreise in die Sonne noch die passende Lektüre sucht, bitte sehr: Mein Reportagebuch „Karibik ohne Kannibalen“ ist gewichtiger als die bloß 250 Gramm, die es auf die Waage bringt. Auch als E-Book erhältlich. Im NETZINE näher beschrieben unter „Bücher“.

 

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